Kann eine westliche Nation überhaupt einen Krieg führen? Ernst gemeinte Frage.

Nach dem Krieg waren die Deutschen international sehr zurückhaltend, eine Friedensnation. Rotgrün hat begonnen, den unbedingten Pazifismus über militärische Einsätze aufzubrechen, um eine „normale“ Nation zu werden, auch international wieder eine „normale Rolle“ zu spielen. Es folgten die Einsätze im Kosovo und in Afghanistan.

Was aber aussteht (und zwar von allen Parteien), das ist eine differenzierte Bewertung solcher Auslandseinsätze.

Dabei stellen sich folgende Fragen:

Auf politischer Ebene:

Lassen sich westliche Werte und Menschenrechte, immer das offizielle Motiv kriegerischer Einsätze, überhaupt militärisch implementieren oder sind solche Einsätze nicht durch die kulturellen Differenzen von vorne herein zum Scheitern verurteilt.

Sind nicht die unterschiedlichen Auffassungen von Kriegsführung, das robust amerikanische, „wie du mir, so ich dir“, vs. die weltverbessernde deutsche Idee vom Friedensengel, nicht miteinander unvereinbar? (Siehe dazu den Beitrag in der FAS)

Ist nicht die Feigheit der Politiker, über Krieg als Krieg zu reden, ein wesentliches Element, dass solche kriegerischen Einsätze eben nicht erfolgreich geführt werden können? Weil erfolgreiche militärische Strategie eben voraussetzt, dass man aus dem eigenen Hinterland nicht ständig befeuert wird? Weil das auch bedeuten müsste, dass sich einer der Lehnstuhlstrategen in der Politik mal hinstellen müsste und Klartext reden müsste, was jetzt genau am Hindukusch verteidigt wird, wie man die Lage beurteilt, dass „unsere“ Soldaten mit ihrem Leben für jede noch so wackelige Strategie haften. Und dass wir das alles nicht leugnen müssen.

Zu den Folgen solcher Kriege:

Was bedeutet das, wenn Menschen aus diesen Einsätzen zurück kommen und traumatisiert sind? Das sind sicher nicht alle, ich erinnere mich, es gab da mal ein interessantes SZ am Wochenende Heft, aber diese existentiellen Erfahrungen müssten doch in er offiziellen politischen Debatte eine Rolle spielen; sonst sind es doch nur Pseudodebatten.

Meine Schlussfolgerung: Es gäbe politische Debatten, die man führen müsste und sollte. Sie sind aber nicht auf schnellen Punktgewinn abgestellt, sondern auf die Bewntwortung fundamentaler Fragen. Solche gibt es jede Menge, zu westlichen Werten, zum globalen Händeln des Westens in der Welt, der richtigen Balance zwischen Intervention, eigenen Interessen und der Chance auf Entwicklung dieser Länder. Der Verantwortung gegenüber der eigenen Armee und den Spielräumen, die man ihr lassen muss, dem Respekt vor der Andersartigkeit des Handlungsraums Krieg und Militär. So viele Fragen. Aber die Politik gibt keine Antwort. Kein Politiker keiner Partei.

Verlorengegangene Führungsaufgaben

FAS, SONNTAG, 04. AUGUST 2013
POLITIK
Holt mich raus, ich sterbe!
Ein Deutscher wird in Kundus von Taliban angegriffen. Er ruft telefonisch um Hilfe, die Bundeswehr ist nur drei Kilometer entfernt. Sie bleibt im Lager. Warum? Von Marco Seliger
Rouven Beinecke steckte in einem schwarzen Leichensack, auf der Todesbescheinigung stand „nicht natürlicher Tod“. Vor dem Kühlcontainer, in dem sein Leichnam aufgebahrt war, hatte der Kommandeur des Feldlagers Kundus eine Ehrenwache aufstellen lassen. Es war die letzte Anerkennung für einen Landsmann. Der Oberst hätte das nicht tun müssen. Der Tote war kein Soldat. Er war ein Söldner, 32 Jahre alt, und starb dreitausend Meter vom deutschen Camp entfernt.

Vor seinem Tod hatte Beinecke zweimal die Gefechtszentrale der Bundeswehr um Hilfe gerufen, per Telefon. Ein Soldat, mit dem er in jener Nacht sprach, erinnert sich daran und an die Worte: „Holt mich raus, ich sterbe!“ Zu diesem Zeitpunkt lag er blutend auf dem Dach eines vierstöckigen Gebäudes in Kundus, in den Etagen unter ihm wütete ein Selbstmordkommando der Taliban.

Doch die Bundeswehr blieb im Lager. Ihr Kommandeur wollte das Leben der Soldaten nicht riskieren. Die F.A.S. wollte mit dem Offizier darüber reden. Der Oberst ließ über das Verteidigungsministerium mitteilen, er sei dazu nicht bereit.

Rouven Beinecke war Soldat, bevor er sich als Söldner im Dienste einer ausländischen Organisation verdingte. Er kannte Kundus, einige Jahre zuvor hatte er für die Bundeswehr in der afghanischen Bevölkerung Informationen beschafft und ausgewertet. Feldnachrichtensoldaten wie er machen einen riskanten Job, weil sie oft auf sich gestellt arbeiten. Beinecke hielt das vor seinen Eltern stets geheim. Er wollte sie nicht beunruhigen. Der großgewachsene, stämmige Oberbootsmann mit blonden Haaren galt in der Truppe als rauher, aber herzlicher Typ, der hin und wieder aneckte, weil er Befehle missachtete. Freunde beschreiben ihn als hilfsbereiten Menschen.

Nach zehn Dienstjahren entschied sich Beinecke im Juni 2009, die Bundeswehr zwei Jahre vor Auslaufen seines Zeitvertrags zu verlassen. Dadurch verzichtete er freiwillig auf viel Geld. Er ließ sich zum Personenschützer ausbilden und gründete die Sicherheitsfirma B2 in Owschlag, einer 4000-Seelen-Gemeinde bei Rendsburg. Er nahm einen Kredit auf und kaufte ein Haus, das er aufwendig renovierte. Dann wurde das Geld knapp und seine Frau schwanger. Die Bank drehte den Geldhahn zu. Beinecke erreichte der Anruf eines in Südafrika lebenden deutschen Söldners. Er solle im Auftrag des britischen Sicherheitsunternehmens Edinburgh International (EI) in Kundus afghanische Bodyguards ausbilden und das Gebäude der amerikanischen Hilfsorganisation Development Alternatives Incorporated (DAI) bewachen. Die Konditionen: 150 Dollar pro Tag mit der Option auf baldige Gehaltssteigerung.

Für Rouven Beinecke bot sich ein Ausweg aus seiner Finanzmisere. Für einen Menschen, den die Schulden erdrücken, sind 4500 Dollar im Monat viel Geld. Doch es ist wenig für einen lebensgefährlichen Job. Viel zu wenig. In Kundus herrschte Krieg. „Wenn ich zurück bin, sind wir die Schulden los“, sagte der werdende Vater beim Abschied zu seiner Frau. Am 5. Juni 2010 schickte er seinem Vater eine Kurznachricht: „Hi Paps. Bin in Dubai und checke gerade in Richtung Kabul ein.“ Da hatte er noch einen Monat zu leben.

Seine Mörder verdingten sich ebenfalls als Söldner. Das Kommando, das am 2. Juli 2010 das DAI-Büro überfiel, bestand aus sechs Tschetschenen, die für das Haqqani-Netzwerk, eine afghanisch-pakistanische Terrororganisation, arbeiteten. Ihren Lohn sollten sie nicht in Dollar, sondern in Form von Jungfrauen erhalten, die im Paradies auf sie warten. Wochenlang studierten die Märtyrer das an einer Seitenstraße in Kundus gelegene Gebäude mit seiner drei Meter hohen Außenmauer, dem Metalltor und dem Stacheldraht auf dem Betonwall dahinter. Das Haus glich einer Festung. Die Bewohner verließen es meistens nur in gepanzerten Jeeps. Von dort aus organisierte DAI den Bau von Straßen, Schulen und Gebäuden in den Gebieten, aus denen die Rebellen von den amerikanischen Truppen vertrieben worden waren.

Doch Development Alternatives Incorporated ist mehr als ein Kooperationspartner der amerikanischen Streitkräfte. DAI arbeitet überwiegend im Auftrag der amerikanischen Entwicklungsbehörde USAid, die wiederum mit der CIA kooperiert. Das ist bewiesen, seit die amerikanische Regierung kürzlich einen Vertrag aus dem Jahr 1973 zur Veröffentlichung freigab, in dem der Informationsaustausch zwischen dem Geheimdienst und USAid vereinbart wurde. In Kundus wusste es sowieso jeder. Die Kooperation von USAid und ihrer Partner mit der CIA sei für die Helferszene in Afghanistan sehr problematisch, berichtet der Sicherheitschef einer deutschen Entwicklungshilfeorganisation. Denn dadurch würden auch deutsche Hilfsorganisationen diskreditiert und gefährdet.

Kundus war im Sommer 2010 eine Todeszone. „Rouven wusste nicht im Geringsten, worauf er sich einlässt“, sagt ein früherer Wegbegleiter. CIA und amerikanisches Militär machten Nacht für Nacht Jagd auf Taliban. Sie arbeiteten eine Liste mit den Namen von Personen ab, die auch auf Informationen der Mitarbeiter von DAI beruhte. Weder USAid noch DAI wollten dazu Stellung nehmen. „Capture or kill“, gefangen nehmen oder töten, so lautete der Auftrag der Elitesoldaten. „Die Amerikaner haben gewütet und die Taliban dürsteten nach Rache“, erinnert sich ein Mann, der für eine deutsche Sicherheitsfirma in Afghanistan tätig ist. Beide Seiten seien nach dem Motto vorgegangen: Wie du mir, so ich dir.

Im Bundeswehr-Feldlager war Rouven Beinecke kein Unbekannter. Bei einem Besuch hatte er den ehemaligen Kameraden angeboten, regelmäßig Informationen über die Lage in der Stadt und der Umgebung auszutauschen. Wie er die Situation einschätzte, zeigte sich in einer E-Mail an seinen Vater. „Nachts hört man es hier manchmal krachen und sieht es blitzen. Aber die Leute sind ausnahmslos freundlich, höflich und nett“, schrieb er. „Wenn die Turbanaffen nicht so einen Rabatz machen würden, könnte man hier glatt für längere Zeit Urlaub machen.“ Mit den Turbanaffen meinte er die Aufständischen. Einem Freund in Deutschland berichtete Beinecke über Skype von nächtlichen Gelagen mit den Kollegen auf dem Dach des DAI-Gebäudes. „Ich konnte es nicht glauben: Die haben trotz der Gefahr gefeiert und gesoffen“, sagt der Freund.

Am 2. Juli 2010, gegen 3.20 Uhr morgens, explodierte vor der Einfahrt des DAI-Gebäudes ein mit mehreren hundert Kilogramm Sprengstoff beladenes Auto. Die Druckwelle riss das Tor aus der Verankerung, ein Teil der Mauer stürzte ein. Ausgerüstet mit Sprengstoffwesten, Handgranaten, Panzerfäusten und Gewehren stürmten die Angreifer das Gelände. Was dann geschah, darüber schweigen sich USAid, Development Alternatives Incorporation und Edinburgh International aus. Anfragen dieser Zeitung wurden nicht beantwortet oder Stellungnahmen abgelehnt.

Recherchen der F.A.S. ergaben, dass die Söldner vom Vorgehen der Taliban überrascht worden sind. Die Angreifer befanden sich schon im Gebäude, als sich ihnen Beinecke gemeinsam mit einem britischen Kollegen und zwei afghanischen Wachleuten entgegenstellte. Es entbrannte eine Schießerei aus nächster Nähe, bei der Beineckes Kollege getötet und er selbst schwer verwundet wurde. Mit den DAI-Mitarbeitern flüchtete er auf das Dach des Gebäudes und rief die ehemaligen Kameraden in der Gefechtszentrale des Feldlagers an.

Die Bundeswehr-Soldaten nennen die Gefechtszentrale „Bunker“. Im Zentrum des Bunkers befinden sich eine an der Wand angebrachte Lagekarte der Region Kundus sowie Computerarbeitsplätze, die mit Funkgeräten ausgestattet sind. Der Raum ist rund um die Uhr mit mindestens zwei Offizieren besetzt. Die F.A.S. hat mit einem der Soldaten gesprochen, die am 2. Juli im Bunker anwesend waren. Eine Eingreiftruppe könne in 15 Minuten vor Ort sein, antwortete demnach einer der Offiziere am Telefon auf den Hilferuf Rouven Beineckes. Zuvor solle er ihnen aber mehr Informationen über die Lage geben.

Die Bundeswehr schickte eine Aufklärungsdrohne über das Stadtgebiet. Die Aufnahmen ihrer Wärmebildkamera ließen den Schluss zu, dass zwischenzeitlich afghanische Sicherheitskräfte das DAI-Gebäude erreicht hatten. Sie feuerten wahllos mit Gewehren und Panzerabwehrwaffen auf die Etagen, in denen sie die Taliban vermuteten, ohne zu wissen, ob sich dort noch DAI-Mitarbeiter aufhielten. Eine amerikanische Journalistin, die einige Tage später nach Kundus gereist war, um die Ereignisse zu rekonstruieren, äußerte gar den Verdacht, afghanische Polizisten hätten gezielt auf die ausländischen Helfer und das Sicherheitspersonal geschossen. Beinecke meldete sich zum zweiten Mal im Feldlager und sprach von vier Angreifern in Sprengstoffwesten, die versuchten, auf das Dach zu gelangen. Der Zugang zum Dach sei verbarrikadiert, doch er wisse nicht, wie lange sie ihn verteidigen könnten. Die Soldaten vertrösteten ihn abermals.

Dann ging der dritte Anruf im Feldlager ein. Diesmal meldete sich Michael, ein Mitarbeiter der DAI. „Rouven ist tot, und ich bin schwerverletzt“, sagte er. „Wann kommt ihr endlich?“ Die Antwort hätte allein der Kommandeur geben können. Doch der Oberst zögerte. Soldaten, die 2010 mit ihm im Einsatz waren, berichten, er habe seine Entscheidungen stets lange abgewogen. Die Offiziere in der deutschen Gefechtszentrale fragten telefonisch die benachbarten Amerikaner, ob sie eine Eingreiftruppe in die Stadt schicken könnten. Die Antwort kam prompt: „Das ist euer Zuständigkeitsbereich!“

In einer Stellungnahme gegenüber der F.A.S. erklärte das Bundesverteidigungsministerium, zum damaligen Zeitpunkt habe die Zuständigkeit für die Sicherheit in Kundus schon bei den afghanischen Sicherheitskräften gelegen. Sie hätten die Deutschen nur gebeten, sich für den Fall eines weiteren Angriffs in Bereitschaft zu halten. Für den Kommandeur, teilte das Ministerium mit, habe daher keine Notwendigkeit zum Eingreifen bestanden.

Ein ehemaliger ranghoher General der Bundeswehr hält diese Erklärung für dürftig. „Ein deutscher Staatsbürger ruft am Ende der Welt die drei Kilometer entfernte Bundeswehr um Hilfe, und deren Kommandeur fühlt sich nicht zuständig?“, sagt er. „Das grenzt an unterlassene Hilfeleistung.“ Ein schwerer Vorwurf, der sich nicht allein an den Kommandeur richtet. Der frühere General vermutet, der Oberst in Kundus sei von seinen Vorgesetzten in Mazar-i-Sharif und in Deutschland am Eingreifen gehindert worden, so wie es das im Laufe des Afghanistan-Einsatzes häufig gegeben habe. „Die wollten aus politischen Gründen keine toten oder verwundeten Soldaten riskieren, nur um einen deutschen Söldner zu retten.“

Auf F.A.S.-Anfrage hieß es dazu aus dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr, über einzelne Telefongespräche der Truppführer vor Ort bestehe keine zu protokollierende Dokumentationspflicht. Eine Aussage, ob der damalige Kommandeur in Kundus das Regionalkommando in Mazar-i-Sharif in seine Entscheidungsfindung eingebunden hatte, könne daher nicht getroffen werden. Der antwortende Presseoffizier des Einsatzführungskommandos hätte dazu allerdings nur seinen ranghöchsten Vorgesetzten im Kommando fragen müssen. Der führte damals das Regionalkommando in Mazar-i-Sharif.

Das Einsatzprotokoll der Gefechtszentrale aus jener Nacht steht im Widerspruch zum Bericht eines Augenzeugen. In dem Protokoll heißt es lediglich, eine unbekannte Person habe ein einziges Mal in der Gefechtszentrale angerufen und sei von den anwesenden Offizieren als nicht vertrauenswürdige Quelle eingestuft worden.

Als die Amerikaner gegen sieben Uhr morgens schließlich doch einen Eingreiftrupp zum DAI-Büro schickten, hielten sich noch zwei Angreifer in dem brennenden Gebäude auf. Es dauerte weitere drei Stunden, bis sie von afghanischen Sicherheitskräften getötet wurden. Gegen 10 Uhr, fast sieben Stunden nach der Explosion des Fahrzeugs am Tor, war der Angriff zu Ende. Die DAI-Mitarbeiter konnten vom Dach geholt werden, einige von ihnen schwerverletzt. Sie wurden im Rettungszentrum der Bundeswehr behandelt.

Beineckes Leichnam wurde von amerikanischen Soldaten geborgen. Er trug keine Schutzweste und keinen Helm. Mit ihm starben ein britischer Söldner, zwei afghanische Wachleute, ein Polizist sowie die sechs Angreifer. USAid, Development Alternatives Incorporated und Edinburgh International nannten die getöteten Söldner „tapfere Helden“.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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