Eine sehr schöne „kurze Geschichte des Immobilienbooms und wie er die Weltwirtschaft aus den Latschen kippte.“ Ich wusste gar nicht, dass die Geschichte der staatlichen Immobilienfinanzierer so lange zurück geht. Und dann stellt sich noch die Frage, ob die Abwicklung von Fannie und Freddie eine echte ist. Oder nur eine Umverpackung.
Anyway: Für alle, die immer noch glauben, der Staat müsse uns vor dem Markt retten, die Geschichte lautet: Der Staat wollte ein Wohlstandsversprechen für immer mehr. Die Finanzwirtschaft hat die Instrumente entwickelt, die das ermöglicht hat. Hat sich auch damit bereichert, ja. Aber Verantwortungslosigkeit, auf den Nenner ließe sich das bringen, gab es bei beiden Akteuren. man müsste jetzt noch analysieren, ob es ein schleichender Gang in die Verantowrtungslosigkeit war oder ob es einen „Sprung“ gab.
Handelsblatt, 9.8.2013
Die schleichende Revolution
Die Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac lieferten lange das Schmieröl für die US-Wohlstandsvermehrungsmaschine. Nun will US-Präsident Obama den beiden an den Kragen und den Immobilienmarkt reformieren. Ein tiefer Einschnitt für ganz Amerika.
Moritz Koch | Mittwoch, 7. August 2013, 18:16 Uhr
Es war in den 50er-Jahren, die Schrecken des Krieges mussten verdrängt werden, als der amerikanische Traum in Massenproduktion ging. Ein Stückchen Land, ein kleines Haus, für jeden erhältlich, der hart arbeitete und sich anständig verhielt. So lautete das Kompensationsangebot, das Amerika seinen heimkehrenden Soldaten gab. Suburbia entstand, die Utopie der eigenheimgesäumten Straßenzüge, die sich überall im Land wie ein grob gewebter Teppichvorleger um die Städte warf. Washington erfand die Eigentümergesellschaft, baute sie zur Wohlstandsvermehrungsmaschine aus. Häuserkäufer konnten sich über Wertzuwächse freuen, Banker ein sicheres Geschäft abschließen und Politiker als Wohltäter auftreten. Ein schöner Traum war das.
Nur hätte Amerika auf den Ökonomen Herbert Stein hören sollen: „Wenn etwas nicht für immer weitergehen kann, wird es irgendwann aufhören.“ Und wenn es aufhört, tut es weh. Das Börsenbeben von 2008 war keine Laune der Natur, der Crash war politisch programmiert – der Selbstzerstörungsmechanismus eines Systems, das sich nicht entscheiden konnte. Amerika hat den Immobiliensektor in ein Zwitterwesen aus Markt- und Planwirtschaft verwandelt und Profitgier mit Korruption verbunden. Das Rückgrat dieser politisch gewollten Misswirtschaft bilden die Katastrophenzwillinge Fannie Mae und Freddie Mac. Ohne sie wäre das System nicht vorstellbar. Jetzt soll es ihnen an den Kragen gehen. Endlich.
Präsident Barack Obama hat am Dienstag sein Reformkonzept für den Immobilienmarkt umrissen. Er will mehr Markt, mehr Eigenverantwortung, mehr Stabilität, weniger Staat, weniger Verlustsozialisierung, weniger Spekulation. Es ist nichts anderes als eine schleichende Revolution. Die Umdeutung des amerikanischen Traums, zaghaft zwar, aber dennoch ein Tabubruch. Obama wagt auszusprechen, was noch vor ein paar Jahren als Abschiedsbotschaft eines politischen Selbstmörders verstanden worden wäre. Nicht jeder Amerikaner muss ein Hausbesitzer sein, „nicht jeder ist bereit und hat das Geld dafür“. Darum will der Präsident Mietshäuser bauen lassen. Und vor allem: Fannie und Freddie abwickeln.
Um die Bedeutung des Vorhabens zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, welche Rolle die beiden Baufinanzierer spielen. Sie liefern das Schmieröl der großen, wundersamen Wohlstandsvermehrungsmaschine, indem sie Banken und Sparkassen Hypotheken abkaufen und ihnen damit Geld für neue Darlehen geben. Die aufgekauften Hypotheken werden mit einer Garantie versehen, zu Wertpapieren verarbeitet und an Investoren aus aller Welt verkauft. Die Endprodukte dieser finanziellen Alchemie gelten als genauso sicher wie amerikanische Staatsanleihen. Solange die Häuserpreise steigen, sprudeln die Gewinne, und wenn sie fallen, muss der Steuerzahler einspringen.
Als die Finanzkrise aufflammte, dauerte es nicht lange, bis Fannie und Freddie von ihren Verlusten überwältigt wurden. Sie mussten mit 188 Milliarden Dollar gerettet werden. Auch wenn sie inzwischen wieder Gewinne abwerfen und dem Staat mehr als 130 Milliarden zurückgezahlt haben – der Volkszorn über den „Bail-out“ ist nicht verflogen. Das ist die Chance, die Obama nutzen will. Einfach wird es nicht. Die Abwicklung von Fannie und Freddie wird auf höhere Zinsen hinauslaufen. Sie sind der Preis für Stabilität, nicht jeder wird ihn zahlen können oder wollen. Die Widerstände werden beträchtlich sein, gerade in seiner eigenen Partei, die sich als Schutzmacht der Mittelschicht versteht. Vielen Republikanern hingegen werden die Vorschläge nicht weit genug gehen.
Der Ausbau des halbstaatlichen Häusermarkts war eine paternalistische Ersatzhandlung. Der Ausgleich dafür, dass es Washington versäumt hat, die Erosion der wirtschaftlichen Sicherheit zu stoppen. Die Lohnentwicklung in den USA stagniert, das mittlere Einkommen ist seit Anfang der 80er-Jahre kaum gestiegen. Nur Spitzenverdiener legen kräftig zu. Die Förderung des Eigentums war der Versuch, die wachsende soziale Kluft zu kaschieren. Das Eigenheim verwandelte sich vom Wohn- zum Spekulationsobjekt. Steigende Häuserpreise nährten die Illusion vom steigenden Wohlstand – und spornten die Konsumenten zu Höchstleistungen an. Das ist noch immer so. Der Hauptgrund für das wachsende Verbrauchervertrauen ist die Erholung des Immobiliensektors. Wie brüchig dieses Fundament ist, weiß alle Welt.
Den Häusermarkt reformieren heißt also, Amerika zu reformieren. Und das ist der Grund, warum Obama auf eine Schocktherapie verzichtet. Fannie und Freddie sollen zwar verschwinden, aber durch eine neue Agentur ersetzt und Hypotheken auch weiterhin garantiert werden – wenngleich erst ab einer gewissen Schwelle. Privatinvestoren müssen künftig das Gros der Verluste tragen.
Dafür will Obama beim Volk beliebte Kuriositäten des staatlich gestützten Immobiliensektors erhalten: etwa die festverzinsliche Hypothek mit 30-jähriger Laufzeit, ein Geschäft, auf das sich Banken kaum einlassen würden, wenn ihnen der Staat nicht zur Seite stünde. Außerdem will der Präsident überschuldeten Kreditnehmern helfen, ihr altes Darlehen durch ein neues, zinsgünstigeres zu ersetzen. Diese Wohltaten sollen den Menschen die Furcht vor der Wurzelbehandlung nehmen, die Amerika bevorsteht. „Wir können die Blase am Immobilienmarkt nicht einfach wieder aufpumpen“, sagt Obama. Wer will ihm da widersprechen!
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