Nebst einigen Anmerkungen zur Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Integrationspolitik
Wo setzt eigentlich gute Integrationspolitik an. Mein Eindruck: Anderswo als die „offizielle“ Integrationspolitik glaubt. Die kondensierte mehrheitsdeutsche Sicht auf die Dinge liest sich doch so: Sollen DIE Migranten, die nach Deutschland kommen, doch erst mal Deutsch lernen und sich hier anpassen. Dann können wir gerne weiter reden. Und, getreu der Idee von „Fordern und Fördern“, machen sich die mehrheitsdeutschen Politiker daran, ihre „Agenda“ zu stricken. Zum Beispiel Neuköllns Bürgermeister Buschkowski, der sich, im Gegensatz zu einem in dieser Frage weitgehend ahnungslosen Sarrazin, mit großem Engagement und Bodenhaftung, aber halt doch mit einem klassisch altdeutschen Weltbild, daran macht, in Neukölln Infrastruktur zu entwickeln, die auch Menschen mit Migrationshintergrund Einstiegsmöglichkeiten bietet. Tatsache ist aber: Die „offizielle“ Integrationspolitik hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der Schlüssel zu einer wirkungsvollen Integrationspolitik heißt Respekt. Und wenn man „Respekt“ in den Mittelpunkt einer neuen Integrationspolitik stellt, definiert sich vieles anders. Einige Beobachtungen und Gedanken nach Lektüre des FAS-Sportteils und dem Besuch des Kongresses der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Integrationspolitik.
Ich beginne mit Bruno Labbadia. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von gestern, 25.4. beschreibt der Autor (fei) Labbadias Werdegang:
„Wer den Fußballspieler Bruno Labbadia verstehen will, muss den Menschen Bruno Labbadia kennen. Aufgewachsen in Weiterstadt, Südhessen, neuntes Kind einer süditalienischen Familie, die in den sechziger Jahren aus dem Dorf Lenola nach Deutschland zog. Der Vater schuftete im Kanalbau, die Mutter in einer Gardinenfabrik. Die großen Kinder erzogen die kleinen, bei Tisch durfte nicht gesprochen werden. In so einem Alltag geht es um Respekt – den man sich erkämpfen muss. In der Grundschule wurde Bruno Labbadia als „Spaghettifresser“ beschimpft; er beschloss an einem für ihn wichtigen Tag, ab sofort nie wieder ein italienisches Wort zu sprechen. Und um seiner Lehrerin zu imponieren, begann er Fußball zu spielen – in seinem ersten Spiel schoss er zwei Tore, und er wurde besessen nach Toren. Er wühlte sich durch deutsche Strafräume, bejubelte jede Trophäe nicht glücklich, sondern rasend wie ein Krieger. Es war ein Schrei nach Respekt, nicht nach Liebe. Man nannte ihn „Bruno Ballermann“, oder „Pistolero“, und die Fans verehrten den südhessischen Sturmarbeiter.“
Bruno Labbadia hat sich seinen Weg an die Spitze erkämpft. Sein Fuß war seine Waffe. Der Anlass dazu war aber, dass er einen Menschen fand, die ihn als Person wahrgenommen hat und die er überzeugen wollte: Seine Lehrerin. Das ist ihm gelungen und aus seiner Perspektive hat er dazu die Konsequenzen gezogen, die ihm sinnvoll schienen: Kein Wort italienisch zu sprechen, zum Beispiel, um nicht als „Spagettifresser“ aufzufallen. Und er hat sich auf seinen Weg gemacht in die vorderste Reihe der Bundesliga-Trainer. Ein Erfolgsmodell, das jetzt, wie alle Bundesligatrainer damit leben muss, dass sich alle Welt dafür interessiert, warum er so phantastische Einstiegsphasen als Trainer hat und ihm dann doch bei den „Mühen der Ebene“ immer wieder die Luft ausgeht. Da muss er, ob mit oder ohne Einwander-Hintergrund durch.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung. Und das Poppersche Wissenschaftsideal
Szenenwechsel. Mittwoch, 21.5.2010, Friedrich-Ebert-Stiftung, Tagung Integrationspolitik. Einen Überblick über die aktuelle Forschungssituation zum Thema Integrationspolitik soll die Tagung geben. Tatsächlich ist die gesamte Tagung ein Einblick in die Perspektivlosigkeit, wie die Friedrich-Ebert-Stiftung sich dem Thema Integrationspolitik nähert. Es ist, als wolle die Friedrich-Ebert-Stiftung, das Fremde der „Migranten“ dadurch verstehen, dass sie diese in immer wieder neuen Versuchsanordnungen beobachten möchte. Ohne, und jetzt kommt das entscheidende Momentum, ohne im Idealfall jemals mit Menschen bikultureller Herkunft und Erfahrung gesprochen zu haben.
Man könnte sagen, das ist das Ideal Popper’scher Wissenschaftsphilosophie. Das muss auch gar nicht falsch sein. Aber es nutzt nichts. Weil der Gegenstand der Betrachtung, die eingewanderten deutschen Minderheiten, eben keine statische Masse sind, die man nur nach wissenschaftlichen Kriterien kategorisieren und danach behandeln müsste, damit sie sich erfolgreich entwickeln, sondern weil sich der Gegenstand bei genauerer Betrachtung in sehr unterschiedliche Elemente auflöst und sehr wohl auch selbst definiert. Und sich damit auch immer wieder neu definieren kann.
Sage mir, wer dich hört. Und ich sage dir – wer fehlt!
Das Publikum der FES zu diesem Themenkreis ist immer wieder etwas Besonderes. Ein weißes deutsches Publikum, mehrheitlich über die Fünfzig, sicher zum Großtteil aufgeschlossen und informiert zum Thema, Experten der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft. Und doch in dieser Eindeutigkeit eher Ausdruck der Exklusion visibler Minderheiten als ihrer praktischen Inklusion. Und ein Veranstalter, dem es nicht gelingt, seine Fremdheit zum Thema zu überwinden.
Ein Eindruck, der sich schon bei der Veranstaltung (k)eine Angst vor dem Islam ? am 24.2. aufgezwungen hat. Vorgezeigt wird eigentlich vor allem die eigene Ratlosigkeit, die man dadurch immer wieder kaschiert, indem man Menschen und Organisationen doch ziemlich planlos einlädt, um sie reden zu lassen. Das kann man pluralistisch nennen. Aber nur, wenn man die Tatsache leugnet, dass Integrationspolitik doch ein ziemlich praktisches Anliegen ist.
Wissenschaft. Was bedeutet Relevanz?
Zurück zur Veranstaltung: An den Referenten als solchen hat es nicht gelegen. Sicher, der Überblick von Dr. Frank Gesemann hat deutlich gemacht, dass manche Menschen besser schreiben als reden können. Wissenschaftlichkeit muss ja nicht immer in Betonungslosigkeit vorgetragen werden. Die Forschungsansätze des „Heitmeyer“ Insituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung sind handfest und wurden so vorgebracht. Sie können das Phänomen der sozialen Desintegration auch plausibel erklären. Aber eben das Problem des Scheiterrns, wogegen wir Wege des Gelingens suchen, wenn wir was verbessern wollen.
Auch das von Klingholz vorgetragene „Screening“ der unterschiedlichen eingewanderten Minderheiten auf Basis des Microzensus hat neue Quantifizierungen erlaubt. Und wenn Klingholz auf noch unerforschte Tatbestände verweist, dann ist das sein gutes Recht, um weitere Gelder zu akquirieren. Aber ist es auch der richtige Ansatz, um Minderheiten besser zu integrieren?
Praktisch nutzbar für die erfahrungs- und kontaktarmen Mitglieder der altdeutschen Mehrheitsgesellschaft dürften aber immer noch die von Carsten Wippermann vorgetragenen Sozialmilieu-Bilder der entsprechenden Sinus-Studie sein. Deren schlichte Botschaft: Die Mgrantenmilleus sind den deutschen Milieus sehr ähnlich.
Womit eine auf „den Migranten“ zielende Integrationspolitik ohnehin längst auf den Müllhaufen der Integrationspolitik gehört.
Und doch ergaben sich weder aus diesen, noch aus den Studien der zweiten Runde zum Thema Muslime in Deutschland, eine praktische Handlungsperspetive. Man könnte zum Beispiel fragen: Wie gelingt es dieser Gesellschaft, den Selbstbehauptungswillen von Menschen mit bikulturellen Hintergründen zu wecken. Wo sollte eine auf Inklusion und Aufstieg (nee, der Begriff ist jetzt von der Konkurrenz besetzt) orientierte Politik ihren Ansatzpunkt finden? Die Frage wurde von Anfang an nicht gestellt. So konnte auf diese Schlüsselfrage auch keine Antwort gefunden werden. Und, by the way, der Titel „Integrationsforschung“ ist demnach auch falsch gewählt, vielmehr hätte er „Migrations- und Migrantenforschung“ lauten müssen, denn die Erforschung des Fremden war das Thema.
Da wundert es auch nicht, dass aus neuen Zahlen und Typologisierungen keine neuen Erkenntnisse erwachsen sind. Sondern nur mehr Undurchsichtigkeit.
Es gibt eine Wirklichkeit. Auch wenn wir nicht darüber sprechen!
Eine kleine Episode, die viel erklärt. Während der sich dahin schleppenden Diskussion über die Studien sprach ich eine vor mir sitzende türkische (Achtung, Kopftuch) Studentin an, ob sie mir in der Pause denn mal sagen könnte, wie ihr das Ganze vorkäme. Und in der Pause sprach sie viel diplomatisches und höfliches in Sachen Forschung. Um dann über sich selbst zu sprechen. Bei ihr wäre das so: Sie wäre eines von vier Kindern, ich weiss nicht mehr, ob alle Töchter waren, ich denke, es war so. Ihre Eltern würden noch immer sehr schlechtes Deutsch sprechen. Aber alle vier Kinder hätten studiert. Ihr einfaches Fazit (sie schreibt auch an einer Arbeit über erfolgreiche Bildungsbiographien) wäre, ihre Eltern hätten sie immer mit Respekt behandelt und erzogen. Und aus dieser Perspektive würden sich dann auch die Fragen mangelnder Deutschkenntnisse sehr nachgeordnet einordnen lassen. Die des persönlich erfahrenen Respektes aber ganz vorrangig.
Womit wir wieder bei Bruno Labbadia wären. Respekt erkämpfen und erhalten.
Warum es nichts nutzt, Menschen dauernd über irgendwelche Stöckchen springen zu lassen.
Mich erinnert dieses „deutsch-lernen“-Verhalten immer an die Frage nach der Anerkennung des Gewaltmonopols durch die neue Linke im Nachgang der 68er Bewegung. Das war auch so eine rhetorische Unterwerfungsnummer, durch die die Machtfrage geklärt werden sollte. Aber weil die Nach-68er Revolutionäre halt dann doch die Söhne und Töchter derer waren, gegen die sie revolutioniert haben, war die Frage nicht theoretisch zu beantworten. Die Frage nach dem Gewaltmonopol hat sich dann ganz praktisch geklärt, ohne dass die Anerkennung des Gewaltmonopols ständig wiederholt werden musste.
Die andere Wahrheit über das Einwanderungsland Deutschland.
Und sehen wir uns das ganze Bild doch mal von der anderen Seite an. Tatsächlich ist es doch so, dass Deutschland, das jetzt endlich begriffen hat, dass es ein Einwanderungsland ist, schon längst kein Einwanderungsland mehr ist. Weil alle, die irrtümlich als Einwanderer bezeichnet werden, schon längst da sind. Sie sind deutsche Inländer, auch wenn sie anders aussehen. Das europäische Anti-Wanderungsbollwerk hält alle außereuropäischen Wanderer an den Grenzen Marrokos und anderer Anrainerländer fest und schickt sie zurück. Den exklusiven Status der Nichteinwanderer-Gesellschaft, die sich als Einwanderergesellschaft fühlt, hat sich Deutschand teuer erkauft. Die visiblen Minderheitsinländer haben auf ganz verschiedenen Wegen über 20, 30 oder 40 Jahre ihre sehr individuellen Erfahrungen mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft gemacht, gute und schlechte. Sie bringen ihre Erfahrungen in die Erziehung ihrer Kinder ein, die zugleich in einer medialen Inszenierung ihrer Umwelt lebt. Soll heißen, mal mehr mit Satellitenfernsehen und somit mehr herkunftslandgeprägt, mal mehr öffentlich-rechtlichem deutschem Fernsehen, mal mehr mit Unterschichtenprogrammen und DSDS-Ansätzen, in denen sie sich möglicherweise optisch repräsentiert sehen.
Was Deutschland braucht: Eine Integration des mehrheitsdeutschen Bewußtsein in seine reale Lage!
Aus diesen ganz individuellen biographischen Settings entwickeln sich sehr individuelle Perspektiven, Träume und Ziele. Meine These: Die deutsche Mehrheitsgesellschaft, zumindest wie sie sich in der Inszenierung der FES-Stiftung darstellt, arbeitet sich immer weiter an der Frage ab, adäquate Beschreibungen und Kategorisierungen für „die Migranten“ zu finden. Und wenn diese gefunden sind, darauf hat Carsten Wippermann dankenswerterweise hingewiesen, sind diese schon längst nicht mehr so, wie wir sie gefunden haben.
Wenn die Deutsche Mehrheitsgesellschaft mal ihre finanziellen Mittel nicht dafür ausgeben würde, sich selbst ein Bild vom Zustand zu verschaffen, sondern sich auf den Weg machen würde, gemeinsam mit Menschen bi- oder trikultureller Biographie Wege von Inklusion und Teilhabe zu entwickeln, wäre uns viel geholfen. Zuhören und mitmachen (lassen), heißt die Devise, und nicht Distanz halten und beobachten. Aber dann müsste, und darin liegt die Crux, die träge politische und Wissenschaftslandschaft ihre Fixierung auf bekannte Namen und ausgewiesene Größen hinter sich lassen und investigative Forschungspolitik betreiben. Es gibt eine ganze Reihe junger Wissenschaftler mit und ohne Migrationshintergrund, die neugierig und mit einem anderen Zugang zur bikulturellen Biographien zu solchen Fragen arbeiten. Aber wenn Forschungsinstitute und jetzt auch das BIMS forschen, ohne vorhandene Erfahrung zu nutzen, wird Deutschland wieder einmal wertvolle Zeit und wertvolle Zukunftsressourcen verschenken.
P.S. In den USA werden 2050 25% aller Amerikaner Hispanics sein. In einigen Staaten werden sie dann die Mehrheit stellen. Ich kenne keine Zahlen für Deutschland, aber in den Schulen deutscher Großstädte ist die Frage von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft schon geklärt. Wer dann noch immer von Leitkultur spricht, ohne schamrot zu werden, hat die Lage noch nicht begriffen. Eher könnte man die Lage dann als Kulturkonflikt einer öffentlichen Institution Schule sprechen, die ihren Kunden, Eltern und Kindern mit bikulturellem Hintergrund, sprachlich und sachlich nicht gewachsen ist. Wir hätten dann nicht mit einem Versagen der Menschen mit Migrationshintergrund zu tun, sondern sprechen von einem Institutionenversagen. Und schon lautet die Frage anders: Wie können wir den öffentlichen Bereich so organisieren, dass er Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen diskriminierungsfrei begegnen kann. Aber wir wissen schon: Diese Perspektive beinhaltet, dass wir weißen altdeutschen Mehrheiten begreifen, dass Integrationspolitik nichts ist, was ohne uns stattfinden kann. Sondern lediglich ein Setting definiert, das von uns mitgestaltet werden muss. Und sich selbst zu ändern, ist schmerzhafter als noch ein paar Millionen in die Integrationsforschung zu stecken, damit wir mal endlich verstehen können, was „die“ denn nicht begreifen an der deutschen Kultur.