Los geht anders. Eine Antwort auf Heribert Prantls Kommentar “Es geht: Los!”.

Die Diagnose ist richtig. Eine Demokratie, in  der nur noch 55% der BürgerInnnen zur Wahl gehen, ist müde. Sein Vorschlag, über neue, ausgewürfelte Bürgerinnen und Bürger mehr Engagement und Beteiligung zu erreichen, falsch. Indem er, wie auch andere Propagandisten, dafür plädiert, ihnen dabei Aufpasser, neudeutsch Moderatoren, zur Seite zu stellen, halte ich für falsch. Sie verstärkt einen falschen Trend, immer mehr Menschen an Entscheidungen zu beteiligen. Das verlängert nur den Zeitraum, Lösungen zu finden. Es verwässert Verantwortung. Es  überhöht die Bedeutung von Partizipation für funktionierende Entscheidungen.

Ich halte dagegen: Weniger Partizipation wagen! Dafür mehr mit Engagement und Herzblut geführte Debatten um Richtungen. Mehr klar erkennbare Positionen, freie Debatte, mehr Stammtisch, weniger Gremiengehocke.

Die richtigen Rezepte von Gestern können heute grundfalsch sein.

Ein Rückblick: Als Grüner der zweiten Generation, für 68 war ich rund 5 Jahre zu jung, zudem habe ich in Bamberg, einer Provinz-Uni, studiert, habe ich die gesamte Zeit der die gesamte deutsche Gesellschaft durchziehenden Politisierung miterlebt und -entwickelt. Ziviler Ungehorsam, Hausbesetzung, ja, das ging auch im tiefschwarzen Bamberg, Anti-Atom-Demonstrationen, Friedensbewegung, Menschenkette, Wackersdoft, Brokdorf, mit dabei beim “anachronistischen Zug”, zudem zahlreichen Ostermärschen, habe ich, haben wir dazu beigetragen, dass politische Themen inmitten der Gesellschaft angekommen sind. Die Zivilgesellschaft hat der gesamten Gesellschaft eine Kursänderung abgetrotzt. Ein Erfolgsrezept für heute?

Ich bin da skeptisch. Weil sich die Situation längst geändert hat. Sowohl die Friedensbewegung als auch die Anti-Atomkraftbewegung waren davon geprägt, dass in der sehr konformistischen deutschen Gesellschaft der 60er und, auslaufend, der siebziger Jahre, Diskurse einfach nicht stattfanden. Demokratisierung der deutschen Gesellschaft nachgeholt. Wegen der Stromlinienförmigkeit der damaligen Gesellschaft mussten sich die damaligen anti-autoritären Bewegungen ihr Wissen und ihre Konzeptionen selbst erarbeiten. Der Glaube, Atomenergie wäre eine Art perpetuum Mobile der Energiegewinnung stellte sich, bei distanzierterer Betrachtung als Irrglaube heraus. Die Energiewende war ein Konzept aus der Feder einiger Autoren des Öko-Instituts. Der Irrsinn der Blockkonfrontation und der atomaren Aufrüstung fiel, powered by Realem Sozialismus, nur einer jungen Generation auf, die, ohne Kriegserfahrung aufgewachsen, im Vergleich zu ihrer Elterngeneration quasi im Schlaraffenland aufwuchsen. Und die, als Sprösse der heranreifenden Wissensgesellschaft gleichsam den Nukleus der künftigen gesellschaftlichen Mitte bilden.

Reflexive Modernisierung ist heute das heimliche Leitbild. Auch wenn es nur Robert Habeck angemessen interpretiert.

Aber jetzt, wo der Marsch durch die Institutionen gelungen ist, wo sich das Blickfeld politischer Entscheiderinnen und Entscheider geweitet hat, wo reflexive Modernisierung, zumindest heimlich, zum Leitbild zeitgemäßer Politik weiterentwickelt hat, wie Robert Habeck erfolgreich vormacht, benötigen wir einen anderen Blick auf das Wirken der Politik und ihre Rückwirkung auf die Gesellschaft. 

Weniger Partizipation wagen. Dafür Unternehmen machen lassen, Verwaltungen in ihrem Selbstbewußtsein und ihrer Handlungsfähigkeit stärken (und aus parteipolitischen Abhängigkeiten lösen), Zivilgesellschaft anhören, aber ihre Vorschläge in dem Bewußtsein einordnen, dass sie es nicht sind, die diese Dinge umsetzen müssen. Und nein, Verwaltungen zu stärken heißt nicht, mehr Geld für Verwaltung, sondern Verwaltung effektiv und effizient machen. 

Denn eines zeigt sich heute deutlicher als jemals zuvor: Es fehlt nicht an Erkenntnissen, es fehlt nicht an Plänen, es fehlt vielfach am Mut, die Schwachstellen dieser Pläne zu benennen, nachzuzeichnen,  was davon umgesetzt wurde und was nicht. Und dann die Finger in die Wunden zu legen, damit wichtige Stellschrauben auch tatsächlich gestellt werden. Der aktuelle Spiegel (26/2022) zeichnet im Beitrag “Wir Gas-Junkies” nach, dass das Versagen viele Väter und Mütter hat. 

Kann „Würfeln“ also die Lösung sein?

Kann, um auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen, das Würfeln entsprechender Entscheiderinnen und Entscheider darauf eine Antwort sein? 

Ganz klar: Nein. Prantl selbst deutet an, dass die “Entscheider” ja moderiert werden sollen. Ein Experiment solle es sein, Partizipation als pädagogische Aufgabe, immer unter dem Signum der Emanzipation. Was aber, wenn die Bürgerinnen und Bürger zu Recht keine Lust auf diesen abgehobenen Parteien-”Diskurs” haben? Weil sie längst verstanden haben, dass Politik nur selten das macht,  was sie verspricht. Oder weil sie nicht spürt, was von dem ganzen politischen Geraune in ihrer Alltagswirklichkeit ankommt. Die “Blühenden Landschaften” von Helmut Kohl sind das prägnanteste Beispiel für uneingelöste Versprechen, obwohl in die neuen Bundesländer Milliarden investiert wurden; –  die zwar für denkmalschutzrestaurierte Innenstädte, aber nicht zu blühenden Industrielandschaften und entsprechenden Arbeitsplätzen geführt hat. 

Ehrlicher wäre es, nach dem Vorbild der Schweiz “echte Partizipation” einzuführen, Volksabstimmungen, die die Macht der Parteien schwächen. Politiker, die Mandate auf Zeit haben. Einen politischen Diskurs, an dem Bürgerinnen und Bürger tatsächlich teilnehmen,  Teil dieses “Zwei Schritte vor, zwei Schritte zurück” Prozesses werden. Mitleiden müssen, anstatt nur am Rande zu stehen. 

Nicht würfeln, sondern die „Selbstwirksamkeit“ der Gesellschaft stärken, ist die Lösung. Auch die Selbstwirksamkeit von Unternehmen und unternehmerischer Lösungen anerkennen.

Wohlgemerkt: Ich plädiere nicht für eine solche Basisdemokratie. Aber das wäre ein konsequentes Umsteuern im Sinne Prantls. Aber nicht die Verlängerung des “politischen Diskurses” auf Kosten seiner Entscheidungsfähigkeit. 

Ich plädiere hier für eine Trendwende: Statt alles und jede gesellschaftlich relevante Entscheidung in politischen Gremien zu erörtern, sie dadurch zu kanalisieren und parteipolitisch zu monopolisieren (Was, nur nebenbei bemerkt, dazu führt, dass die FDP in Sachen steigender Energiepreise als erste Partei für die Subventionierung der “Freie Fahrt für freie Bürger” Benzinpreise plädierte, was für ein Irrsinn), müsste es jetzt darum gehen, die Stärken einer offenen und marktwirtschaftlichen Gesellschaft wieder zu entdecken, in der Startups, Erfinder, Unternehmer neue Lösungen entdecken, in der Schulen mehr Freiraum erhalten, um atmen zu können, in der alle, und zwar ohne die Forderung nach mehr Geld durch die Politik zu fordern, Gesellschaft gestalten (das beliebteste Wort im derzeitigen Politiksprech) können. Es geht also um weniger Parteipolitisierung, dafür mehr Mut zu Meinung der Politikerinnen und Politikern. Und nicht nur wachsende Zugriff auf Prozesse und Ressourcen der Gesellschaft. 

Der Mensch denkt, Politik lenkt. Keine Red‘ davon!

Wer heute (selbst)-kritisch Talkshows, die Lagerfeuer der postmodernen Gesellschaften verfolgt, der kann sich nur wundern. Grundsätzliche Lebenslagen, Armut, Diskriminierung,  mangelnde Aufstiegschancen werden zwar zum Einstieg benannt, die Argumentationsketten, die dann das Problem lösen sollen, überzeugen immer weniger Menschen. Politiker aller Parteien, Robert Habeck möchte ich davon ausdrücklich ausnehmen, stets den Eindruck, alles wäre geregelt, wenn man nur die jeweilge Partei wählen würde. 

“Der Mensch denkt, Politik lenkt. Keine Red davon”, könnte man in Rückbesinnung auf Bert Brecht und den aktuellen Glauben an die Leistungsfähigkeit der Politik sagen. Politikerinnen und Politiker sollten sich auf ihre Aufgabe zurückbesinnen, Orientierung zu geben, „ins Risiko“ zu gehen, wie es heute jeder und jede,  im Alltag, im Beruf oder als unternehmerischer Entscheider, Entscheiderin tun muss. 

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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