Macht(Erhaltung) bricht Systemlogik. Zur Geldpolitik

Welche Rolle hat die Geldpolitik in der aktuellen Krisenaufstellung? Der FAZ Beitrag beschreibt ganz anschaulich, wie die Rollenverschiebung stattfand. War Geldpolitik erst nur für die Frage der Geldwertstablitiät verantwortlich, hat sich ihre Rolle längst verschoben. Sie sind zu den heimlichen Stabilitätsversprechensproduzenten der Politik geworden: Aus Angst vor der Wahrheit und der Ratlosigkeit, wie man mit diesen wertlosen Unsummen in den Bilanzen umgeht, machen die Geldpolitiker Wirtschafts- und Gesellschaftspoliitk, indem sie erst Aufschub geben, der dann nicht genutzt wird. Und die eindeutige Rolle, die Geldpolitiker vorher hatten, das Funktionieren des Wertmechanismus zu gewährleisten, rutscht auf der Agenda nach hinten. Sie basteln jetzt mit an Interimslösungen, ein paar tapfere Bundesbänker mal ausgenommen.

Und aus kleinen aufgeschobenen Problemen werden größere. Und die, die gezündelt haben, das Beispiel der irischen Banker ist da ein sehr illustratives, lachen sich zynisch ins Fäustchen.

Lerne: Abgebrühtheit geht vor Systematik. Und empathisches Verstehen der Politik, Win-Win-Lösungen, Konfliktmininierungsansätze, gehen in die Hose, wenn am anderen Hebel arrogante Zocker drücken, White Collar Kriminelle. Ja, man möchte die Kavallerie reiten lassen. Nein, man weiß, solange das nicht konzertiert stattfindet, geht es in die Hose. So steht man ratlos da und findet keine Lösung.

SAMSTAG 29. JUNI, 2013
Überforderte Magier
Szenen im Juni 2013: Kein Zweig der Politik steht unter einem so starken Einfluss von Fachleuten wie die Geldpolitik. Kein Zweig der Politik hat so stark an Bedeutung gewonnen wie die Geldpolitik. Und kein Zweig der Politik ist so sehr durch Überforderung bedroht. Von Gerald Braunberger
Immer im Juni eines Jahres veranstaltet die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) eine Konferenz in Luzern. Am Ufer des Vierwaldstätter Sees sprechen angesehene Ökonomen über den Zustand des globalen Finanzsystems und über die Rolle der Geld- und der Finanzpolitik. Dies sind Themen, mit denen sich die in Basel ansässige BIZ, Bank der Zentralbanken und Denkfabrik in einem, seit ihrer Gründung im Jahre 1930 befasst. In diesem Jahr zog der scheidende Chefökonom der BIZ, der Amerikaner Stephen Cecchetti, eine Bilanz seiner Erfahrungen der vergangenen Krisenjahre.

Cecchettis Fazit seiner fünf Jahre als Chefökonom in Basel lautete: Geldpolitiker sollten stärker auf die Entwicklung von Geld- und Kreditmengen achten; sie müssten sich hüten, in Abhängigkeiten von Regierungen und Geschäftsbanken zu geraten; sie müssten über den nationalen Gartenzaun schauen und auf internationale Wirkungen ihrer Politik achten, und schließlich sollten Geldpolitiker nicht zu sehr auf die Rationalität der Teilnehmer an den Finanzmärkten vertrauen. All dies klingt nachvollziehbar und logisch.

Der Clou ist: In einem um das Jahr 1970 erschienenen Lehrbuch dürften sich diese Erkenntnisse allesamt finden. In der Zwischenzeit wurden diese alten Erkenntnisse verdrängt und abgelegt. Nunmehr, in der kompliziertesten Wirtschafts- und Finanzkrise seit rund acht Jahrzehnten, hat die Geldpolitik einerseits eine im historischen Vergleich vermutlich einmalig große Bedeutung erhalten. Gleichzeitig war sie sich ihres Wissens und ihrer Fähigkeit selten so unsicher wie heute.

Eine verbreitete allgemeine Kritik an Politik lautet, sie lasse sich von den persönlichen Interessen ihres Personals leiten und höre zu wenig auch fachlichen Rat. Auf die Geldpolitik lässt sich diese Kritik kaum anwenden. Im Gegenteil: Wohl kein anderer Politikzweig ist so stark durch wissenschaftliche Expertise geprägt. Nicht nur haben es in jüngerer Zeit Professoren wie Ben Bernanke und Axel Weber an die Spitze bedeutender Notenbanken gebracht. EZB-Präsident Mario Draghi trägt einen Doktorhut des Massachusetts Institute of Technology. Der frühere Gouverneur der Bank of England Mervyn King studierte in Cambridge und Harvard, sein Nachfolger Mark Carney besuchte Harvard und Oxford. Bundesbankpräsident Jens Weidmann arbeitete früher als Generalsekretär des Sachverständigenrats – eine bewährte Karriereposition für junge deutsche Ökonomen.

Fachleute finden sich nicht nur in den Notenbanken, sondern in ihrem engsten Umfeld. Ob in Jackson Hole in den Rocky Mountains, ob in Luzern in der Schweiz, in Eltville am Rhein, in Konferenzsälen großer Hotels in Boston oder auf der Insel Reichenau im Bodensee – vielerorts finden regelmäßig Konferenzen statt, auf denen sich Ökonomen mit Geldpolitik befassen. Derart von Fachwissen eingehegt, müssten die Geldpolitiker eigentlich auch in der Krise ihren Weg gehen und Vertrauen erzeugen. Stattdessen ist das Vertrauen in die Geldpolitik fragil geworden; das noch geringere Vertrauen in Regierungen und Bankmanager darf kein Trost sein.

Die Geldproduktion ist keine Geheimwissenschaft – ebenso wenig die Sicherung eines annähernd stabilen Preisniveaus für Güter und Dienstleistungen. Es ist gerade ihr Erfolg in dem Vierteljahrhundert vor der Krise gewesen, der die Geldpolitiker und ihre akademischen Berater unvorsichtig werden ließ. Zwar brachten sie die Inflationsraten auf historisch niedrige Niveaus und erfüllten damit ihren offiziellen Auftrag. Gleichzeitig erlaubten sie eine gewaltige Expansion der Mengen umlaufenden Geldes und Kredits, die Banken und andere Finanzmarktteilnehmer zu risikoreichen Geschäften ermunterten und die Preise für Immobilien und andere Vermögensgüter stark steigen ließen. Gewarnt hatten in den Jahren vor 2007 nur wenige Fachleute, darunter der frühere Chefökonom der BIZ – William White. Die meisten akademischen Berater der Geldpolitik – und hier nicht zuletzt führende amerikanische Ökonomen – hielten das Studium der Entwicklung von Geld und Kredit für vorsintflutlich und das Studium der Finanzmärkte für sinnlos, da diese nach der dominierenden Lehre ohnehin so gut wie immer perfekt funktionieren sollten.

Die Pressekonferenzen des Vorsitzenden der amerikanischen Notenbank Fed finden in einem fensterlosen Raum in Washington statt. Eher wie ein Professor als wie ein Politiker liest Ben Bernanke an einem Mittwoch im Juni 2013 rund 10 Minuten lang stoisch einen langen Text vor, der die vorangegangenen Beratungen des wichtigsten Gremiums der Fed, des Offenmarktausschusses, zusammenfasst. Während die zur Pressekonferenz geladenen Journalisten still dem einleitenden Vortrag Bernankes folgen, erläutern über Twitter Ökonomen und Journalisten im Halbminutentakt ihre Interpretation der Äußerungen Bernankes, während in den Handelssälen der Banken und Fondsgesellschaften hektisch Verkaufsaufträge für Staatsanleihen in die Computer eingegeben werden. Bernankes Ankündigung, die Fed erwäge, ihre Anleihekäufe zu reduzieren, erzeugt rund um den Globus Nervosität.

Die Geldpolitik befindet sich in der industrialisierten Welt auf einem Höhepunkt ihres Einflusses: Nicht nur soll sie den Geldwert weiter stabil halten; sie soll auch einen Beitrag zur Belebung des Wirtschaftswachstums leisten, das geplagte Bankensystem stabilisieren und die Erwartungen der Teilnehmer an den Finanzmärkten lenken.

„Whatever it takes“ – was immer notwendig ist: Dieser Satz verbindet sich mit der Ankündigung Mario Draghis aus dem Sommer 2012, die EZB werde alles im Rahmen ihres Mandats Notwendige tun, um den Euro zu erhalten. Diesen Satz hatte schon früher Ben Bernanke gebraucht: Kurz nach Ausbruch der Krise versicherte Bernanke, die Fed werde alles Notwendige tun, um eine schwere wirtschaftliche Depression zu verhindern, wie sie die Vereinigten Staaten nach dem Börsenkrach des Jahres 1929 erlebt hatten.

Die Geldpolitiker haben die Rolle des Krisenhelfers angenommen. Anfangs erschien ihr Eingreifen zwingend, weil in einer Welt, in der das Finanzsystem vor dem Zusammenbruch zu stehen schien, nichts schneller und zuverlässiger half als die unverzügliche Bereitstellung zusätzlichen Geldes durch Notenbanken. Aber die Nothilfe hat sich in Dauerhilfen verwandelt: Nicht nur haben Notenbanken ihren Leitzins auf null oder nahe null gesenkt. Die Fed, die Bank of England und die Bank von Japan kaufen Staats- und andere Anleihen, um die Wirtschaft anzuregen. Der Erfolg des Experiments ist ungewiss. Die EZB hat im Vergleich nur wenige Anleihen gekauft, aber dafür die Geschäftsbanken großzügig zu Niedrigzinsen mit Geld ausgestattet, damit diese Anleihen kaufen können. In der Schweiz hat die Nationalbank viel neues Geld geschaffen, um im Interesse der Konjunktur die Aufwertung des Franken zu bremsen. Im Interesse dessen, was sie als großes Ganzes versteht, akzeptiert die Geldpolitik die Nebenwirkungen ihres Handelns: Ihre Markteingriffe verzerren Preise und begünstigen die Bildung von Spekulationsblasen, die niedrigen Zinsen entwerten Ersparnisse, und alle ihre Handlungen besitzen Verteilungswirkungen.

So sind die Geldpolitiker zu scheinbar allmächtigen, aber auch überforderten und unwissenden Magiern geworden. Gerade jene Politikdisziplin, die auf wissenschaftlichen Rat zu hören pflegt, kann sich auf Rat derzeit kaum stützen. Entgegen mancher Befürchtungen sind die Inflationsraten in den Industrienationen bisher nicht deutlich gestiegen, und es sieht auch nicht so aus, als würden sie in naher Zukunft stark steigen. Aber: Die Folgen aktueller Geldpolitik kann nur einschätzen, wer die Bedeutung von Banken und Finanzmärkten für die Gesamtwirtschaft untersucht – eine Disziplin, die von der in den vergangenen Jahrzehnten herrschenden Lehre abgelegt wurde und heute an Plätzen wie Basel oder Princeton wiederentdeckt und weiterentwickelt wird. Es ist die Stunde der Forscher, nicht der scheinbar allwissenden Ratgeber.

In diesem Juni 2013 ist Jens Weidmann an die Isar gereist. Der Bundesbankpräsident hält vor dem Alumni-Club der Münchener Volkswirte einen Vortrag zum Thema „Krisenökonomik – die Krise als Herausforderung für Ökonomen“. Weidmann thematisiert das Grundproblem der aktuellen Geldpolitik: Es ist die Gefahr der Überfrachtung der Notenbanken mit Kompetenzen, die eigentlich einer gewählten Regierung zustehen, nicht den von den Regierungen unabhängigen Herren der Geldpolitik. Weidmanns Widerstand gegen das geplante Anleihekaufprogramm der EZB ist nur ein Ausdruck eines Unbehagens über eine Entwicklung, die Notenbanken in die ihre traditionellen Rollen überschreitende Funktion eines Versicherers gegen gesamtwirtschaftliche Großrisiken drängt und die Regierungen scheinbar von der Verpflichtung befreit, unangenehme Entscheidungen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu treffen.

Die Geldpolitiker drohen zu Gefangenen ihrer eigenen Erfolge in der Bekämpfung der Inflation und in der Gewährleistung der Stabilität des Finanzsystems zu werden. Weidmann akzeptiert, dass die Bedeutung einer klugen Regulierung der Finanzmärkte gewachsen ist; er akzeptiert auch die Notwendigkeit einer Bankenunion im Euroraum. Aber Weidmann sieht auch die großen Themen, die keinen Paradigmenwechsel vertragen: die Unabhängigkeit der Notenbank, ihr Fokus auf Sicherung der Geldwertstabilität und ihr Verzicht auf Vereinnahmung durch Regierungen und das Finanzgewerbe. Es sind, und hier dürften ihm Männer wie Cecchetti und Bernanke zustimmen, sehr alte Themen, die in dieser Krise wieder modern geworden sind.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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