Ich bin in einer Blase aufgewachsen. Die lässt sich wie folgt beschreiben: Politik kann die Welt verändern. Und lange erschien es mir auch selbst so. Die grüne Blase, die, in der ich groß geworden bin, ist und war eine Erfolgsgeschichte. Von Newton stammt der Satz, wir, unsere Erkenntisfähigkeit, seien „Zwerge auf dem Rücken von Riesen.“ Ich stelle fest, nicht nur auf dem Rücken von Riesen wird man groß, wie Newton glaubte, auch auf dem Rücken großer Irrtümer, wie ich inzwischen meine. Wichtig ist nur, dass man die wichtigsten frühzeitig ersetzt.
Wobei wir bei Martin Schulz wären.
Der Hoffnungsträger der Sozialdemokratie sagt jetzt, man könne sich irren, man müsse sie nur erkennen und korrigieren. Wenn er das sagt, spricht er über die Hartz-Reformen, darüber dass Rot-Grün, in ihrer bisher einzig erfolgreichen, weil weichenstellenden Regierung auch unschöne Entscheidungen getroffen hat. Diese Regierung hat das Land, sprechen wir es aus, ungerechter und robuster gemacht (neben anderem, der Energiewende, dem neuen Umgang mit Minderheiten, etc. etc.). Heute, 2017, also zwölf Jahre danach, möchte die Sozialdemokratie die Anpassung Deutschlands an die Wirklichkeit wieder korrigieren.
Die neue Ehrlichkeit ist die neue Unehrlichkeit.
Ich finde: Eine Partei, die 12 Jahre braucht, um, getrieben von Umfrageergebnissen, als richtig erkanntes, aber unschönes, dann an das Wunschbild ihrer Wähler anzupassen, die gefallen will, nicht gestalten, hat ihre Zukunft schon hinter sich. Auch wenn Umfragen anderes erzählen.
Und nicht genug. Auch Angela Merkel schwingt ja, da hat die FAZ in ihrem heutigen Kommentar recht, mit ein. Halbgare Zusagen, dass Peugeot bei Opel alle Arbeitsplätze erhält. Dabei weiss man, dass Peugeot und Opel ein Überkapazitätsproblem haben. Rettung für das Ganze kann also nur in einer Aufgabe von Teilen bestehen.
Vielleicht bin ich stur. Oder ignorant. Oder von gestern. Aber solange die Politik, und da nehme ich keine der derzeitigen Bundestagsparteien aus, solange die Politik also nur an den Erzählungen arbeitet und nicht an der Wirklichkeit, der deutschen, der europäischen, ihren kompetitiven Herausforderungen, in Sachen Unternehmertum, Wettbewerblichkeit genauso wie dem Bekenntnis zu Meinungsfreiheit und Rechtststaatlichkeit, solange sie sich nur in politische Träume flüchten, um die Wirklichkeit zu übertünchen, so lange wird der wilde Populismus von rechts und links weiter wildern können.
Es geht wild zu auf der Welt.
Das nehmen via medialer Bühne doch alle wahr. Also, warum dockt Politik nicht an dieser Wahrnehmung des Ungezähmten an? Und beginnt, das Wichtigste und Dringlichste von anderem zu trennen, sich auf Zusagen für die nächsten vier Jahre zu konzentrieren.
Und gut ist es…
Gesucht ist eine Partei, die sagt, ja, wir schaffen das, wir machen Deutschland zu einem Leuchtturm von Liberalität, Fairness, Fähigkeit und Bereitschaft zur Veränderung und zum Zusammenhalt.
Wir machen das aber gemeinsam. Als Gesellschaft. Und wir wissen, Zukunft ist offen.
Das ist die Erzählung, mit der wir die vor uns liegende Zeit begreifen und verändern können. Und die die Leistungswilligen in unserer Gesellschaft hören wollen. Es gibt keinen Umbauplan, nach dem alles erledigt werden könnte. Es gibt kein Rezept, wie disruptive Innovation pflegeleicht wird.
Es gibt aber die Idee der Antifragilität. Gesellschaft also nicht als festgemauertes Riesengebäude, das bei der geringsten Erschütterung einstürzt, sondern ein flexibles, in sich anpassungsfähiges Ganzes. Passt auch ganz gut zu marktwirtschaftlichen Ideen.
Passt aber nicht gut zur derzeit um sich greifenden Größenwahnsimulation der Politiker in der Vorwahlkampfzeit.
Passt nicht zu Martin Schulz Retro-Look!
Wir schaffen das!, diese Zuversicht angesichts der Unsicherheit ausstrahlende Satz Angela Merkels ist noch immer die Leitdidee, die mir am Besten gefällt. Deutschland steht gut da, dank seiner Nüchternheit und dank seiner Menschen. Auch dank der Politik, die zwar die Backen aufbläst, aber dann doch nicht so viel Selbstbezogenheit zeigt wie die italienische Politik.
Dank einer Politik, die noch nicht so verkommen ist, wie anderswo.
Ich komme zum Anfang zurück. Ich bin aufgewachsen in einer Blase, in der man glaubte, Politik verändert die Welt. Ich habe inzwischen dazu gelernt. Ich habe Bescheidenheit gerlernt in Sachen Gestaltungsanspruch der Politik. Diese Unbekümmerheit, die grüne Politik ausgestrahlt hat, als noch niemand an seine Karriere dachte, die fehlt dieser heute. Pensionszusagen und Karriereplanungen von Politikern lähmen die Rede- und Handlungsfähigkeit der Akteure. Die persönlichen Win-Win-Pläne stimmen nicht mehr mit den politischen Win-Win-Plänen der Wählerinnen und Wähler, der Untestützerinnen und Unterstützer zusammen.
Und so wird Politik „nachlaufend“, statt pro-aktiv, vorwärtsdenkend.
Und wer ist jetzt mutig genug, das mal einzupreisen? (Nein, ich weigere mich noch, zu sagen, die FDP, das kommt mir noch so vor wie „Zwerge, auf dem Rücken von Scheinriesen“.)