Eine Entgegnung zu Andreas Rödders “konservativer Neuerfindung des Westens”.
Andreas Rödder ist einer der wichtigsten, wenn nicht der einzige Vordenker aus dem Umfeld der CDU. Mit ihm, der von ihm mitgegründeten “Republik21” verbinde ich große Hoffnung. Die intellektuelle Dominanz der grün-moralischen Selbstgerechtigkeit benötigt eine satisfaktionsfähigen Erwiderung. Ich war gespannt und hoffnungsvoll gegenüber einer cdu geführten, von einem überzeugten Transatlantiker und eben “nicht nur Politiker” Friedrich Merz geführten Koalition. Wenngleich bereits die Handlungssymboliken, mit denen Friedrich Merz Hand an bisherige Konsense angelegt hat, rückblickend ahnen ließen, dass konservative CDU Politik sich auf schlecht durchdachte Symboliken reduziert. Spätestens die Sondierungsergebnisse lassen befürchten, dass Kaiser Merz, noch vor Besteigen des Throns, nackt ist. Schnellere schlechte Kompromisse auf Kosten Dritter, also uns Bürgern, wie es der Liberalökomom Daniel Stelter formuliert, hat es noch nie gegeben. Vom damit verbundenen Vertrauensverlust in die Politik der Mitte wollen wir gar nicht reden.
Zur Standortbestimmung: Hier schreibt ein Grüner, der allerdings, und da unterscheidet er sich vom grünen Mainstream, durchaus zu intellektueller Distanz fähig ist. Ökonomischer Sachverstand, so meine These, würde den Deutschen gut tun. Und zuweilen, so auch bei dieser Wahl, drängt sich der Eindruck auf, der trotz aller Erfolge relative Erfolg der Grünen sie nur möglich, weil sich die Deutschen ökonomischen Sachverstand weiterhin vom Halse halten.
Rödders Analyse trifft den Punkt
Doch zurück zu Rödder. Ich teile seine These, dass das grüne Agendasetting unwiderruflich dem Ende zugegangen ist. Über 40 Jahre haben sich die Grünen als universeller Hoffnungswert aufgebaut, die scheinbar alles, Gerechtigkeit, Emanzipation, Wohlstand und Klimaschutz, miteinander denken und im imponierten umfangreichen Papieren skizzieren kann. Natürlich nicht alleine, aber ein sendungsbewußtes NGO- und Stiftungswesen hat dabei mitgeholfen, diesen politisch administrativen Top-Down-Denkansatz durchzudeklinieren.
“Die deutsche Energiewende ist nicht erst an Robert Habecks Heizungsgesetz gescheitert, sondern an ihrer moralischen Hybris. Der »Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen« legte 2011 den »Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation« vor, der nichts weniger beanspruchte, als eine dritte welthistorische Revolution einzuleiten – auf einer Stufe mit der Abschaffung von Kinderarbeit und Sklaverei. Doch der moralische Anspruch zaubert Energie nicht aus der Steckdose”, verdichtet Rödder diesen Denkansatz auf wenige Sätze.
Hoffnungsfroh, wenngleich, wie eingangs skizziert, ernüchtert, teile ich die These, die CDU müsse “nicht nur Probleme lösen”, wie er einen gängigen Politikersprech zitiert. “Nachhaltig überzeugen wird eine unionsgeführte Regierung nur mit einer eigenen Idee, sowohl gegenüber grüner Ideologie als auch gegenüber neurechten Narrativen.”
Richtig skizziert ist bei Rödder auch die Funktion der Brandmauer. “Die »Brandmauer« ist die goldene Fessel, mit der die rot-grüne Linke die Union in die Gefangenschaft ihrer Deutungshoheit nimmt”, weil damit “längst nicht mehr nur die AfD, sondern mehr als die Hälfte der Gesellschaft gemeint” wäre.
Richtig auch, der Hybris der “großen Transformation” die “liberale Bürgergesellschaft” und die Stärken einer sozialen, weil auf Ausgleich bedachten Marktwirtschaft entgegenzusetzen.
Allerdings: Die Umrisse eines konservativen Lösungsansätze bleiben zu deutsch!
Nur: Zu befürchten ist, dass auch Rödder der Illusion einer konsistenten und letztendlich “gerechten” Gesellschaftskonstruktion unterliegt, wenngleich auf globaler Ebene.
So richtig es ist, wie er schreibt: “Die deutsche Trias – alles elektrisch, alles aus Erneuerbaren, keine Kernenergie – funktioniert nicht.” So unzureichend ist es, wenn er das harmonistische deutsche Politikmodell einfach auf globaler Ebene fortschreibt: “Funktionieren würde eine marktwirtschaftliche, technologieoffene und international abgestimmte Klima- und Energiepolitik mit ambitionierten, aber realistischen Zielen, die auf den Emissionshandel als Alternative zu Subventionen und Verboten setzt.”
Von einer wirkungsvollen konsensuellen Klimapolitik in Zeiten von Putin und Trump, also der versuchten Wiederkehr imperialistischer Weltordnungen nur zu träumen, verbietet sich schon intellektuell. Bahnt sich da eine konservative Hybris politischer Machbarkeit an?
Was dann? Um nicht besserwisserisch missverstanden zu werden: Die Kritik Rödders am grünen und NGO Weltbild teile ich zu 100 Prozent. Den Einbruch der Wirklichkeit in ihre Transformationsträume haben Grüne intellektuell noch nicht verdaut. (Wiewohl ich Robert Habeck weiterhin für einen der Wenigen halte, der dieses Scheitern auch intellektuell produktiv verarbeiten kann). Die Schlußfolgerungen für Migrationspolitik, den Verweis auf die liberale Bürgergesellschaft unterstreiche ich doppelt. Die pragmatische Haltung “der Deutschen”, zu denen ich alle hier arbeitenden Eingewanderten natürlich zähle, die Welt aus ihrem eigenen Tätigkeits- und Verantwortungsbereich zu definieren, ist die Stärke gerade der dezentralen deutschen Gesellschaft.
Die Wiederentdeckung der liberalen Bürgergesellschaft alleine genügt nicht.
Nur, wer suggeriert, eine auf Ermöglichung ausgerichtete Gesellschaft würde die Probleme, quasi im Alleingang lösen, setzt in einer Zeit des Vertrauensverlustes der Politik einer Illusion eine andere Illusion gegenüber.
Wir leben in einer Zeit, in der die USA sich aus einer Rolle des kraftvollen Wahrers der “freien Welt des Westens” befreit und seine Macht und Dominanz zu einer Art us-amerikanischem “Vorkaufsrecht” für “great Amerika” umzudeuten beginnt. Zu dieser Vision einer phantasielosen, in seiner Ausgestaltung unter Trump zudem innenpolitisch antiliberalen und rassistischen Gesellschaft gilt es eine Antwort zu finden.
Was kann Politik in einer unberechenbaren und sich immer schneller verändernden Welt?
Meine These: Nur, wenn es “uns”, also denen, die sich über Gesellschaftsmodelle Gedanken machen, gelingt, den Beitrag der Politik und der unterschiedlichen, hier parteipolitisch dominierten Politiken in und für unsere Gesellschaft angemessen zu beschreiben und daraus die richtigen Strategien und Botschaften zu abzuleiten, nur der wird in und mit, und vor allem durch eine Mobilisierung der Menschen in der Gesellschaft das notwendige Potential entfalten können, die notwendig ist, die institutionalisierte Trägheit dieser durch haltlose politische Wohlstandsversprechen und eine auf Verteidigung von gruppenspezifischer Durchschnittsinteressen (Verbändedemokratie) sedierten Gesellschaft zu durchbrechen.
Wie sehen richtige politische Antworten auf Unberechenbarkeit und Veränderung aus?
Die modernen Gesellschaften, dh. die aktuellen, sehr unterschiedlichen Gesellschaften weltweit, also auch der “Entwicklungs- und Schwellenländer” sind geprägt von einem globalisierten Blick auf die Welt, der in seiner unberechenbaren Komplexität das Interpretationsvermögen jedes Einzelnen, aber auch die institutionalisierte Handlungsfähigkeit zumindest der statisch gedachten und verfestigten westlichen Gesellschaften (bei aller Unzulänglichkeiten doch die “besten aller bisherigen Welten) überfordert. Vor diesem Hintergrund scheint es sinnvoll, nicht weiter “statische” Gesellschaftsbilder als Analyse- und Handlungsmodelle anzubieten, sondern die anstehenden Aufgaben eher von ihrer Relevanz und Dringlichkeit zu definieren. Und plötzlich müssen und können wir das Kettensägeschwingen und ethnisch weiße Kraftmeiertums Donald Trumps anders interpretieren: Für viele Menschen, die ihre Hoffnung auf alltagsrelevante Veränderungen durch Politik aufgegeben haben, sind Populisten aller Coleur die “last choice”. Für Politiker und Parteien der Mitte allerdings sollten sie Weckrufe sein, die Backen nicht so weit aufblasen, sondern die Ärmel hochzukrempeln, von sich aus staatliche und öffentliche Strukturen, Institutionen und Konstellationen, wenn es notwendig ist, auch unkonventionell zu “entrümpeln”, um gemeinsam mit den anderen Parteien der Mitte (und mit einem pragmatischen Blick auf die anderen liberalen, demokratischen und aufstrebenden Gesellschaften) neue Agilität AUS DER GESELLSCHAFT HERAUS zu entwickeln.
Handlungsfähige Politik muss auch das Selbstverständnis und das Binnenverhältnis politischer Parteien neu justieren.
Zukunft ist offen, das bedeutet auch, dass wir anerkennen müssen, als Politik, im Wettstreit der politischen Parteien Prioritäten setzen zu können, aber nur wenn es uns gelingt, auch Konflikte mit mächtigen “Stakeholdern”, also Interessenvertretern bestehender und „unterprivilegierter“ Gruppen einzugehen, wird es uns gelingen, die notwendige Agilität zu entfalten und schneller zu treffsicherer zu werden. Die Parteien der Mitte werden nur dann erfolgreich sein, wenn sie den vordergründigen und tatsächlich wirkungslosen Versprechenswettbewerb überwinden, sich trotz kontroverser Debatten darauf achten, dass Politik in Zeiten tiefgreifender Erschütterung und weitreichender Veränderung nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie sich gegenüber ihren Funktionärschichten Spielräume und Handlungsfreiheit erstreitet und eine Aufbruchstimmung etablieren kann. Gesellschaftliche Teilhabe bedeutet künftig nicht länger Teilnahme an Diskursrunden, die fast jeden bestehenden Konflikt verlängern und -gegen Bezahlung- moderieren wollen, sondern ihn einfach entscheiden und “abräumen”.
Das setzt die Bereitschaft der jeweils Unterlegenen voraus, Niederlagen auch zu akzeptieren und auf Basis des dann Entstandenen besser zu agieren. Konkret und pragmatisch gewendet: Den lange artikulierten Konsens der deutschen Gesellschaft, aus der Atomenergie auszusteigen, zu akzeptieren und nicht über Jahre stillgelegte Atomkraftwerke wieder ans Netz bringen zu wollen. Aber auch gegenüber “neuen” Ansätze der Nuklearenergie, Small Modular Reactors (SMR) oder Neutronenreaktoren offen zu bleiben. Aber offen zu bleiben, muss auch nicht bedeuten, den übersteigerten regenerativen Hoffnungen jetzt alles auf einen neuen Hoffnungswert zu setzen.
Was mir, um zu Rödder zurück zu kommen, richtig erscheint, ist der Verweis auf das “Wir machen das”. Aber vielleicht sollten wir dem von ihm eher zähneknirschenden Merkel’schen Mantra hinzufügen, “auch wenn wir nicht wissen, was dabei herauskommt”.
Aber dass eine Gesellschaft, die ihre Kraft aus einer, wenngleich oftmals intuitiv gewonnenen, freien Wahrnehmung schöpft und daraus gemeinsame Handlungsfähigkeit gewinnt, scheint mir erfolgversprechender und für den Einzelnen im Schnitt auch “erfüllender” als eine Gesellschaft, die sich anschickt, ihre Gedanken erst einmal darauf zu überprüfen, ob sie dem dominierenden Framing und den wohlgeratenen Narrativen des politischen Orbits entsprechen. “Entscheidend ist, was hinten rauskommt”, nicht was von den Lehrstühlen und den Moralwächterinnen und Wächtern dieser Welt für adäquat erachtet wird.