Mittelstandsorientierung. Was heißt das? Und: Ist das gut.

Als überzeugter Marktwirtschaftler denkt man: Mittelstandsorientierung ist der richtige Weg. Wenn die Rahmenbedingungen transparent sind, haben alle dieselben Wettbewerbsbedingungen und das beste Unternehmen gewinnt.

Wie ist das aber nun in Marktsituationen, in denen Technologiesprünge möglich wären, aber mit einem Verlust von Markteinfluss verbunden wäre? Das im Handelsblatt beschriebene Beispiel Industrie 4.0 beschreibt die Marktlage. Maschinenbauunternehmen wollen vernetzte Branchenlösungen, IT-Unternehmen branchenübergreifende Industriestandards.

Eine Denkübung.
Wären alle Unternehmen gleich groß, würden sich die Branchenlösungen so lange weiterentwickeln, bis ein IT-Unternehmen daraus eine übergreifende Lösung formt, die alle überzeugt. Wie beschrieben, sind aber die Marktverhältnisse nicht so. Einmal hat SAP hier eine Schlüsselrolle inne, da sie ohnehin Unternehmen vernetzen, zum anderen steht mit Google ein Unternehmen in den Startlöchern, das so viel Geld in der Schublade hat, dass es damit einfach mal spielen kann. ….. Sie sind sehr erfolgreich dort, ihre Spielplätze zu Erfolgsplätzen auszubauen.

Unter dem Strich kommt es also darauf an, dass Branchenunternehmen die Wettbewerbssituation richtig einschätzen und gemeinsam nächste Schritte machen, vielleicht auch mit einem IT-Unternehmen zu sammeln (oder einem Normierungsunternehmen), um mit der zweitriskantesten Lösung die riskanteste zu verhindern. Man sieht, es kommt auf eine ganze Reihe von Faktoren an, wenn die richtige Entscheidung getroffen werden soll. Es geht um die Abwägung von Kooperation und Wettbewerb, mit wem und gegen wen soll ich mich zusammenschließen. Und wann führt das Ganze wahrscheinlich zum Erfolg? Kalküle sind Entscheidungen, bei denen eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle spielen. Jeden Tag kann Endspiel sein.

Der Beitrag:
Maschinen lernen denken

Deutsche Firmen wollen IT und Produktion miteinander verschmelzen. Denn alle schwärmen von den Möglichkeiten der vierten industriellen Revolution – aber vieles ist noch ungeklärt.

Martin Wocher | Düsseldorf | Donnerstag, 3. April 2014, 20:00 Uhr

Ist das schon die Zukunft der deutschen Industrie? Heißer Kunststoff schießt unter hohem Druck in Hohlräume, Sekunden später öffnen sich die massiven Metallblöcke und spucken 16 kleine Teile aus, die eher an Elemente aus dem Lego-Baukasten erinnern als an hochkomplexe Bestandteile einer elektrischen Steckverbindung. Alle acht Sekunden wiederholt sich der Vorgang – so weit, so profan.

Mehrere Milliarden Kunststoffteile werden hier im Jahr hergestellt, damit betreibt der Verbindungs- und Automatisierungsspezialist Wago eine der größten und modernsten Spritzgussfabriken der Welt. Dass sich hinter der Herstellung grauer Kunststoffteilchen im ostwestfälischen Minden eine neue industrielle Welt verbirgt, offenbart sich erst auf den zweiten Blick. Was die Produktion heraushebt, sind ihre Vernetzung und das hohe Maß an Autonomie und Automatisierung.

Natürlich sind alle sechs Werke in Deutschland, der Schweiz, Polen, Indien und China miteinander über das Internet verbunden. Jede einzelne der rund 400 Wago-Spritzgussmaschinen weltweit gibt laufend ihre Daten ab, kann von der Zentrale überwacht und gesteuert werden. Kundenaufträge werden elektronisch erfasst. Über digitale Knotenpunkte verteilen die Maschinen die Arbeit dann und entscheiden selbstständig, welches Vormaterial, welche Werkzeuge und wie viel Personal nötig sind. „Wir sind auf dem Weg zur virtuellen Fabrik“, sagt Ulrich Bohling, Geschäftsführer Produktion des Mittelständlers mit 600 Millionen Euro Umsatz. „Nur so sind wir fähig, auch in Hochlohnländern zu produzieren.“

Wie hier in Minden werkeln hierzulande Zehntausende Unternehmen am Bau intelligenter und vernetzter Maschinen. Die deutsche Industrie verspricht sich viel von der Verschmelzung industrieller Produktion mit IT und Internet. „Integrated Industry – Next Steps“ heißt dann auch euphorisch das Leitmotto der diesjährigen Hannover Messe. Die Vision ist gigantisch: Es winken neue Geschäftsmodelle, weniger Energieeinsatz, mehr Effektivität. Die Produktivität soll in einigen Bereichen um bis zu 30 Prozent steigen, verspricht die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Acatech). Vor allem aber lässt sich der Produktionsstandort Deutschland sichern.

Noch ist es allerdings nicht so weit. Denn wichtige Fragen sind noch ungeklärt. Im Mittelpunkt stehen die technischen Standards, die für eine großflächige Vernetzung und den Umbau der Industrie unabdingbar sind. Sprechen alle die gleiche Sprache? Werden alle Signale verstanden? Welche Inhalte sind es wert, ausgetauscht zu werden?

Derzeit arbeiten viele Firmen an eigenen 4.0-Projekten: „Gerade der deutsche Mittelstand lebt ganz gut davon“, sagt der Wissenschaftler und IT-Unternehmer Matthias Brucke. Doch nur wenige denken in branchenübergreifenden Dimensionen – dem Kernpunkt von 4.0. „Da fehlt dem Mittelstand die Kooperation“, kritisiert Brucke. Viele fürchten, Geschäftsgeheimnisse an die Konkurrenz zu verlieren, wenn beide auf einer übergeordneten Serviceplattform agieren. Das führt allerdings dazu, dass Maschinen unterschiedlicher Hersteller und Branchen häufig nicht kooperieren können – ein Manko für Industriekunden, die Vorteile aus der Vernetzung ziehen wollen.

„Wer in einem spezialisierten Bereich Weltmarktführer ist, weiß natürlich, dass er mit einer eigenen Lösung kommerziell unglaublich erfolgreich sein kann“, sagt der Acatech-Präsident und frühere SAP-Chef Henning Kagermann. „Wir müssen aber zu offenen Standards kommen, wenn wir auf anderen Märkten erfolgreich sein wollen.“

Dabei zeigen sich zwischen den Partnern, die doch immer enger kooperieren sollen, erhebliche Mentalitätsunterschiede: Maschinenbauer gegen IT-Industrie, Konzerne gegen Mittelständler. So lassen sich kleine Maschinenbauer nur zögerlich auf die Debatte nach einheitlichen Standards ein. „Das braucht seine Zeit“, heißt es beim Branchenverband VDMA. „Viele Firmen wissen noch nicht, wie weit sie springen wollen.“ Dagegen treibt das Thema die IT-Industrie viel stärker um. Sie möchte gern Plattformen errichten, auf denen sich größere Netzwerke mit möglichst vielen Beteiligten knüpfen lassen.

Darüber könnte dann der Materialeinkauf, die Transporte, die Maschinen, deren Wartung bis hin zum Energieeinsatz der Produktion gesteuert werden. Für den Kunden ein Vorteil, weil er den ganzen Produktionsfluss mit einem Blick verfolgen kann. Für den mittelständischen Maschinenbauer ein Alptraum, weil er nur noch Teil einer Kette ist und fürchten muss, einen Teil seiner Kompetenz zu verlieren. „Wer startet die neuen Geschäftsmodelle? Wer profitiert?“, ist eine Debatte, die bei vielen Maschinenbauern derzeit geführt wird.

Aus der zögerlichen Grundhaltung erwächst ein Risiko: Die deutsche Industrie droht ihren Vorsprung bei 4.0 leichtfertig zu verspielen. „Die digitalen Konzerne sind die großen Unbekannten“, sagt Booz-Experte Dietmar Ahlemann. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Google eine Rolle bei 4.0 spielen wird.“ Schließt sich der Internetgigant mit großen Industriekonzernen zusammen, könnten sie allein über die schiere Größe die Standarddiskussion für sich entscheiden. So wie es Google schon beim Android-Betriebssystem für Smartphones vorgemacht hat. Gerade der viel gelobte deutsche Mittelstand hätte das Nachsehen.

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Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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