Die albernste Debatte, die es momentan gibt, ist diejenige, die versucht, Markt und Staat gegeneinander aufzustellen. Das stimmt schon deshalb nicht, weil auch die Immobilienblasen der USA mit freundlicher Unterstützung der US Regierung, aber auch mit dem anlagesuchenden Geld der deutschen Landesbanken, mit ebenso freundlicher Unterstützung der Deutschen Bank, genährt und weiter aufgeblasen wurden.
Wer jetzt also so tut, als ob Staat die Rettung sei, der möge sich daran erinnern, dass man Infrastrukturunternehmen vor einigen Jahren deshalb privatisiert hat, weil sie zu häufig dazu verwendet wurden, politische Freunde unterzubringen.
Warum sollte das jetzt anders sein? Sind aus Politikern denn plötzlich Engel geworden? Könnte es nicht sein, dass gut gemeint dann wieder im schlecht gemacht endet?
Tatsache ist: Schlecht ausgehandelte Verträge sind genauso schlecht wie Rekommunalisierungen, bei denen alle Illusionen genährt werden. Niedrige Preise für Wasser und Strom, Regenerative Energien, eine Top Infrastruktur. Irgendwann muss man sich dann entscheiden, was welche Priorität hat. Dann wird es spannend, weil es dann auf das Rückrat der Politik ankommt. Aber hat sie das?
Und dann gibt es immer wieder die Rede vom Neoliberalismus, der Wurzel allen Übels. Aber dem vergröberten Blick bleibt verborgen, dass die Neoliberalen immer einen starken rahmensetzenden Staat gefordert haben. Dazu auch der folgende Artikel aus der Süddeutschen.
Das mit dem starken Staat gefällt weder den Berliner Politikern noch den auf der Berliner Bühne turnenden Großunternehmen. So hilft beispielsweise das Quotenmodell, für das Marktwirtschafter immer wieder streiten, nicht dem Wettbewerb. Sondern es schafft ein Geschäftsmodell für die EVUs, die bisher bekanntlich Wettbewerb verhindert haben, jetzt aber dank Angela nackt dastehen.
Man kann das wollen, beispielsweise, weil man der Meinung ist, ein paar Großunternehmen sind gut, weil sie Handlungsspielraum haben. aber dann soll man das mit den richtigen Argumenten tun.
Hier der Beitrag über Alexander Rüstow, einem der Neoliberalen Pioniere.
Wirtschaft, 28.06.2013
Alexander Rüstow zum 50. Todestag
Die hilfreiche Hand
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Von Julian Dörr
Lange galt er als vergessen, selbst viele Ökonomen hatten seinen Namen nicht
parat. Doch seit dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise hat sich das
geändert, selbst die Kanzlerin zitiert ihn gern: Denn Alexander Rüstow hat vor
mehr als acht Jahrzehnten den Weg bereitet für eine Marktwirtschaft, die
einerseits auf die Kräfte des Marktes setzt, andererseits auf einen klaren
staatlichen Rahmen. Er ist zum Vordenker einer Denkschule geworden, die man in
Deutschland als Ordoliberalismus bezeichnet hat, er selber aber
„Neoliberalismus“ getauft hat.
Was aber verstand Rüstow darunter? Und was unterschied ihn vom
angelsächsischen Neoliberalismus? Wer also war dieser Mann, der vor 50 Jahren,
am 30. Juni 1963, gestorben ist und zuletzt als Wirtschaftsprofessor in
Heidelberg und Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft
gearbeitet hat?
Hinter Rüstow lag ein bewegtes Leben, auch ein bewegtes Leben als Ökonom.
1885 in Wiesbaden als Spross einer preußischen Militärfamilie geboren, genoss
er eine breite universitäre Ausbildung in Altphilologie, Philosophie,
Naturwissenschaft und Jura. Als knapp 30-Jähriger zog Rüstow freiwillig in den
Ersten Weltkrieg und kehrte hoch dekoriert zurück. Wie für viele seiner
Zeitgenossen bedeutete der Krieg eine Zäsur. Das militärische Versagen der
ständisch geprägten Führungsschicht ließ ihn zum „radikalen Sozialisten und
Marxisten“ werden, wie er selbst befand.
Doch schon bald wand er sich vom Sozialismus wieder ab. Mit dem beruflichen
Wechsel vom Reichswirtschaftsministerium zum Verein der deutschen
Maschinenbauanstalten (VDMA), den er nachhaltig prägen sollte, vollzog er den
Bruch mit sozialistischen Ideen. Der Rüstow-Mitarbeiter beim VDMA und spätere
Lobbyismus-Forscher Theodor Eschenburg erinnerte sich an ihn als „zu praxisnah,
um Dogmatiker zu sein“ und als einen Denker, der, „seine Prinzipien mit
überlegener Argumentation und mit fast missionarischem, doch rational
kontrolliertem Eifer vertrat“.
Die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre mit ihren fatalen Auswirkungen auf
das Leben der Menschen zeigte nicht allein die Sprachlosigkeit der
vorherrschenden Nationalökonomie, sondern befeuerte auch alle Apologeten der
Planwirtschaft. Rüstow zog jedoch andere Schlüsse. Zwar galt auch ihm der
Liberalismus eines Adam Smith als überholt, den er aufgrund seiner Lebensferne
als „Paläoliberalismus“ bezeichnete, doch er war davon überzeugt, dass es einen
Weg zu einem modernen, neuen Liberalismus gab.
In den Mittelpunkt rückte er das Zurückdrängen privater Macht, insbesondere
die Macht der zahlreichen gesetzlich geduldeten Kartelle und Monopole, um so
die Freiheit auf dem Markt garantieren zu können. Im Aufsatz „Freie Wirtschaft
– Starker Staat“ forderte Rüstow 1932 eine privilegienfreie Wirtschaftsordnung
und einen „starken Staat“, der über den Privatinteressen einzelner Akteure zu
stehen habe. Nicht ohne Verbitterung kommentierte er das „Kartellland
Deutschland“. Rüstow schrieb: „Der Staat wird von den gierigen Interessenten
auseinandergerissen. Jeder Interessent reißt sich ein Stück Staatsmacht heraus
und schlachtet es für seine Zwecke aus.“ Der Laissez-faire-Liberalismus und
dessen Hoffnung auf das Wirken der unsichtbaren Hand, die Adam Smith beschrieb,
habe es versäumt, die Wirtschaftsfreiheit ausreichend zu schützen. Hierin
stimmte Rüstow mit dem Begründer der Freiburger Schule, Walter Eucken, überein.
Fast zeitgleich, aber wohl unabhängig voneinander forderte auch Eucken einen
starken Staat oberhalb einer freien Wirtschaft – 1932 kann so als Geburtsstunde
des deutschen Neoliberalismus gelten.
Rüstows Ansichten wurden von den Nazis abgelehnt, und deshalb floh der
Ökonom 1933, so wie zahlreiche andere deutsche Wissenschaftler, in die Türkei
des Kemal Atatürk. In den beschaulichen Istanbuler Jahren fand er die Zeit,
sein Hauptwerk zu verfassen, in dem er die losen Enden seiner Ideen zu einem
Gesamtkonzept verband. Die dreibändige „Ortsbestimmung der Gegenwart“ spannt
den Bogen von der Diagnose einer durch Klassen und Machtasymmetrie geprägten
Gesellschaftsordnung bis hin zu Vorschlägen für eine Therapie. Diese Therapie
hatte für Rüstow einen klaren Zielpunkt: Im Zentrum des Wirtschaftens hat der
Mensch zu stehen. Nur wenn eine Gesellschaftsordnung das Verlangen nach
Freiheit, Sicherheit, Solidarität und Gemeinschaft vereint, kann von einer
„vita humana“ gesprochen werden.
Vitalpolitik, wie Rüstow seinen Ansatz bezeichnete, ist eine „Wirtschafts-
und Sozialpolitik, die bewusst nicht nach irgendwelchen Rekorden und
Höchstleistungen strebt, nicht danach strebt, dass irgendwelche Kurven der
Lohnentwicklung oder von sonst etwas möglichst steil aufwärts gehen, denn von
aufwärtsgehenden Kurven kann man schließlich nicht leben und nicht glücklich
werden, sondern die bewusst die Frage stellt, was getan werden kann, um
einzelne Menschen glücklich und zufrieden zu machen.“
Den Weg zu einer solchen menschengemäßen und gerechten Welt wollte Rüstow
nicht einem zentralistischen Leviathan überlassen. Vielmehr sollten sich die
Menschen frei entfalten können. Da aber nicht jeder von Geburt aus gleich gute
Startbedingungen ins Leben hat, muss, anders als im Nachtwächterstaat, die
Politik dafür Sorge tragen, die Bürger zu befähigen, ein selbstverantwortliches
Leben zu führen. „Nicht dem Zufall des Geldbeutels seiner Eltern“ sollen
Lebenschancen eines Menschen überlassen werden.
So verlangte Rüstow: „Die Gesetzgebung, die Wirtschaftsgesetzgebung muss in
die Richtung tendieren, einen Ausgleich der Chancen zu geben, eine Gleichheit
der Chancen so herzustellen, dass endlich jeder wirklich seines Glückes Schmied
ist.“ Anstelle von Bevormundung und Alimentierung (und das schließt zu
großzügige Sozialtransfers ein) soll Hilfe zur Selbsthilfe gegeben werden. Vor
diesem Hintergrund klingt das gern zitierte Bonmot Rüstows auch nicht mehr
zynisch: „Brauchst Du eine hilfreiche Hand, so suche sie zunächst am Ende
Deines rechten Armes.“
Julian Dörr ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für ökonomische
Bildung (ZöBiS) der Universität Siegen.