Open your eyes! There is an Alternative!

Die Alternative zum Veggieday heißt vielleicht Kunstfleisch! Kling jetzt ekelig, aber auch Hühnerställe sind kein Idyll. Was wir alle lernen müssen, ist, dass wir nicht in die Zukunft sehen können. Was wir demütig erkennen sollten, ist, dass es mehr Optionen gibt, als und möglicherweise durch unser Weltbild erscheint. Was Grüne besonders ernst nehmen müssen, ist, dass ihr kein-fein-schnuckelig-Weltbild EINE Leididee ist, anhand derer man erforschen kann, ob es, in der Energiepolitik beispielsweise, nicht anders geht als mit fetten Kohle- und Atomkraftwerken. Aber dass ein dezentrales Energiesystem noch lange nicht heißt, dass alles klein sein muss. Das Internet beispielsweise ist es ja gerade nicht.

Die Vorstellung des ersten Kunstfleischburgers bedeutet noch nicht die Lösung aller Probleme. Es ist erst ein Anfang. Aber wenn dieser Anfang, anders auf die Dinge zu sehen, als wir es bisher tun, politisch blockiert wird, fährt Deutschland ins Abseits. Die Grünen sind in dieser Frage Matchmaker. Schaffen sie es, sich von ihrem klein und fein Weltbild zu lösen und wieder neugierig in die Welt zu gucken? Ralph Fücks Buch „Intelligent wachsen“ ist ein erster Anfang dazu. Mal sehen, was nachkommt.

P.S. eine Literaturempfehlung habe ich auch: Paul Feyerabend, Wider den Methodenzwang (für die Wissenschaftler unter uns) und „Erkenntnis für freie Menschen“, auch 1978 könnte man schon zeitlose Bücher schreiben!

Wie die Süddeutsche über die Kunstfleischpremiereessensveranstaltung berichtet hat:

Ein interessanter Artikel aus der iPad-App der Süddeutschen Zeitung:

Titelseite, 06.08.2013

Lebensmittel

Mahlzeit
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Von Karin Steinberger

London – Irgendwann an diesem Montag, als der Burger gebraten, gegessen und
ausgiebig besprochen worden war, als die Riverside Studios wieder leer und ein
wenig vergessen am Ufer der Themse standen, kam Mark Post aus dem Gebäude. Er
sah aus wie einer, der gerade eine gute Mahlzeit hinter sich hat. Das kann
täuschen. Denn viel hat er nicht bekommen von seinem In-vitro-Burger.

Aber wenn man die Sache richtig verstanden hat, dann war das zwar nur ein
kleiner Bissen für Mark Post, aber ein gewaltiger Happen für die Menschheit.

Die Burger-Show fing um 13.08 Uhr Londoner Zeit an, da hob der holländische
Wissenschaftler Post den silbernen Deckel hoch und die Menschheit konnte den
ersten In-vitro-Burger der Welt sehen. 140 Gramm. Ein historischer Moment. Die
meisten, die im abgedunkelten Studio 1 saßen, lachten.

Ein Koch stand neben Mark Post, dem Burger und den zwei Freiwilligen, die
ihn essen sollten. Der Koch hatte nur lobende Worte, prima Textur, prima Farbe,
alles gut. Er gab ein bisschen Sonnenblumenöl in die Pfanne und legte das Stück
vorsichtig hinein. Die Moderatorin war froh, dass sie das 250 000 Euro teure
Teil nicht fallen gelassen hatte, als sie es dem Koch gab.

Da saßen sie also, der Burger brutzelte, um 13.13 Uhr gab der Koch ein
kleines Stück Butter dazu und lobte, wie gut der Burger sich braten lasse, wie
er die Form halte. Mark Post saß daneben, er war nervös. Fünf Jahre hat er an
diesem Ding gearbeitet. Das Fleisch für diesen Happen, sagt er, war in drei
Monaten fertig. „Schneller als eine Kuh“, Post lacht.

Als Frankensteinburger haben manche den In-vitro-Burger beschimpft. Mark
Post sagt in das Brutzeln hinein: „Wir machen Fleisch nur nicht in der Kuh. Es
geht jetzt darum zu zeigen, dass wir es machen können.“

20 000 winzige Muskelfäden, aufgemotzt mit einer Prise Salz, mit
Brotstücken, Eipulver, einem Schuss Rote-Bete-Saft und einem Hauch Safran,
schon der Farbe wegen. Kunstfleisch, Shmeat, Fleisch aus der Retorte,
In-vitro-Burger, Laborrind: Das erste Mal von Menschen verspeist am Montag, den
5. August 2013, Punkt 13.23 Uhr Londoner Zeit in den Riverside Studios, mit
Blick auf die Themse.

Es ist die österreichische Future-Food-Spezialistin Hanni Rützler, die sich
als erster Mensch öffentlich ein Stück vom gebratenen In-vitro-Burger in den
Mund schiebt. Ein Raunen geht durch das Publikum.

Und?

„Ich dachte, dass es weicher ist.“

Stille.

„Aber es ist schon sehr nahe am Fleisch dran. Nicht so saftig. Und das
nächste Mal brauchen wir mehr Salz und Pfeffer.“

Als kurz darauf der amerikanische Autor Josh Schonwald probiert, sagt er,
„die Textur ist wie Fleisch.“ Da er aber auch jedes Mal, wenn er gefragt wird,
den Titel seines Buches erwähnt, kommt er dann nicht mehr so oft zu Wort.

Es klingt wunderbar einfach: Da wachsen Zellen nicht im Tier, sondern im
Labor. Dafür entnimmt man einem Rind Muskelstammzellen, vermehrt sie massenhaft
und versucht, sie dazu anzuregen, dass sie sich zu Muskelzellen entwickeln.
Theoretisch könnte man so aus einer Stammzelle 10 000 Tonnen Fleisch
herstellen. Und das Rind lebt fröhlich weiter. Theoretisch.

Von Tonnen war in London erst mal keine Rede, 140 Gramm wog der
Fleischbatzen, der in die Pfanne kam. Mühsam gezüchtet in fünf Jahren.

Und weil der Konsument ein unangenehmer Zeitgenosse sein kann und auch bei
Kunstfleisch genau wissen will, wo und wie es aufgewachsen ist, erfährt man
über diesen Retorten-Burger noch Folgendes: Die Stammzellen lieferten zwei
Rinder, ein in Belgien lebender Weißblauer Belgier und eine Blonde d’Aquitaine,
beide aufgewachsen auf einer Bio-Farm. Ob man auch das schmeckt?

Aus ihrem Nacken wurden die Stammzellen in einer – das für die Tierschützer
– harmlosen Biopsie entnommen. Die Stammzellen wurden kreisförmig um einen
Hügel Nährlösung gelegt, wie ein Donut, in extrem dünnen Schichten, weil sonst
die Zellen im Inneren keine Nährlösung bekommen hätten.

Dann wuchsen sie, duplizierten sich, leider nicht endlos und leider nicht
immer so, wie Mark Post es wollte. Er brauchte Muskelzellen, aber bei manchen
fehlt es an Masse, oder sie bilden neben Muskelzellen auch Haut- und
Fettzellen. Also musste er mit den heranwachsenden Stammzellen trainieren, sie
bekamen Stromstöße. Es war mühsam.

Ein Hamburger, ein Batzen Kunstfleisch, für eine viertel Million Euro.
Dagegen ist Kobe-Rind ein Schnäppchen. Ist das also die Zukunft des Essens?

Mark Post ist ein ernster Mann. Manchmal sieht es so aus, als sei ihm der
ganze Trubel unangenehm. Aber es sieht nur so aus. Er hat die Sache seit Jahren
selber angeheizt, hat Termine verkündet und wieder verschoben, er hat
Interviews gegeben, Pressekonferenzen abgehalten, er hat auf Fachkongressen für
sein Kunstfleisch geworben, er hat sogar einmal gesagt, sein Vorhaben sei so
etwas wie das „Manhattan-Projekt der Welternährung“. Nur dass es diesmal nicht
um die Atombombe und um die Vernichtung der Welt, sondern um einen Burger, also
um die Rettung der Welt geht. Er hat jedenfalls ein Riesenbohei gemacht. Er hat
aus diesem Häufchen Kunstfleisch so viel Aufmerksamkeit herausgepresst, wie er
konnte.

Bis vor ein paar Tagen wusste noch niemand, wo genau in London er das Ding
braten würde, wer es essen würde. Und dann fing plötzlich der Countdown an zu
ticken. Auf einer eigens eingerichteten Kunstfleisch-Internetseite wurden die
Tage, Stunden, Minuten, Sekunden heruntergezählt, bis zur öffentlichen
Verspeisung des ersten In-vitro-Burgers der Welt. Coming soon. Darunter das
Foto von einem schwarzen Rind, sehr malerisch, zwischen Himmel und Wiese. Wenn
wahr wird, was Mark Post vorschwebt, wird wohl bald kein Rind mehr auf unseren
Wiesen herumstehen. Und wenn, dann wäre es ein sehr einsames.

Was hier um 13.13 Uhr englischer Zeit in die Pfanne geworfen wurde, soll den
Klimawandel stoppen und die drohende Ernährungskatastrophe verhindern. Nicht
mehr und nicht weniger. Post will die Welt retten.

Nun sehen die Riverside Studios nicht gerade aus wie ein Ort, an dem der
Lauf der Dinge nachhaltig verändert wird. Im Café Plum gleich gegenüber setzen
sie auch nach wie vor auf Echtfleisch, es gibt Chili-Chicken Tacos und
Quaterpound Steak Burger mit geschmolzenem Cheddar. Gut möglich, dass die zwei
Freiwilligen, Rützler und Schonwald, später dem In-vitro-Burger einen
Quaterpounder nachschieben.

Mark Post, der sagt, dass das Zeug, das bisher als Fleischersatz angeboten
wird, zu teuer ist und nicht schmeckt, weiß selber, dass man geschmacklich,
visuell und auch preislich an seinem Kunstfleisch noch nacharbeiten muss. Er
weiß, dass es sich irgendwann so anfühlen muss, dass es so aussehen und so
schmecken sollte wie echtes Fleisch. Sonst wird er damit nicht die Welt retten.
Beim Essen ist der Mensch wählerisch. Essen ist Emotion. Hunger ist – wie die
Liebe – ein Urtrieb. Die Zubereitung der Nahrung war entscheidend für die
Evolution der Menschheit, mit dem Fleisch machte der Mensch einen riesigen
Entwicklungssprung. Sie waren wie gemacht füreinander. Aber Fleischesser lassen
sich nicht irgendwas auf den Teller legen.

Gut, biologisch gesehen ist das, was sie hier in London gerade verspeist
haben, genau dasselbe wie das Fleisch einer Kuh. Aber eben nur biologisch
gesehen.

Im Netz witzelten sie schon Tage vor der großen Verköstigung. „Here comes
the Double Double Laboratory Style.“ Und wer einmal Zellkulturen in einer
Petrischale hat heranwachsen sehen, der weiß: Hunger bekommt man davon nicht,
geschweige denn Appetit.

Mark Post sitzt da, neben ihm die zwei Freiwilligen, aufrecht, lächelnd.
Tapfer? Wenn jetzt einer von ihnen plötzlich vom Stuhl kippen oder grün
anlaufen würde, dann könnte man sich schon vorstellen, was morgen in den
Zeitungen stehen würde. Aber es kippt keiner vom Stuhl.

Post ist an die Häme mittlerweile gewöhnt. Sie macht ihm nichts aus. Er hat
diesen Burger aus Überzeugung gemacht. Er glaubt, dass sein Kunstfleisch die
Lösung vieler großer Menschheitsprobleme ermöglicht. Eigentlich ist er
Gefäßmediziner und forscht an Mitteln gegen Gefäßverschluss beim Menschen. Seit
2004 leitet er das Institut für Physiologie an der Universität Maastricht. Er
ist an das Kunstfleisch eher aus Versehen geraten. Er hat 2008 mehr aus Spaß
angefangen. Dann hat ihn der Ehrgeiz gepackt. Er ist jetzt besessen von der
Idee, Fleisch herzustellen, das wirklich aus Fleisch besteht, nicht aus Soja
oder Austernseitlingen. Post will Rindfleisch aus Rindfleischzellen machen, nur
ohne Kuh.

Klar ist: Es gibt immer mehr Menschen, bald werden es neun Milliarden sein.
Klar ist auch: Von diesen vielen Menschen können sich immer mehr Fleisch
leisten. Der weltweite Fleischkonsum ist in den letzten Jahren dramatisch
gestiegen. Und die Welternährungsorganisation FAO geht davon aus, dass der
Fleischbedarf der Welt in den nächsten 40 Jahren nochmal um mehr als zwei
Drittel ansteigen wird. Das ist das Problem, das Mark Post in rosa schimmernder
Nährflüssigkeit zu lösen versucht.

Die Viehmast beansprucht heute schon dreißig Prozent aller eisfreien
Landflächen und fast zehn Prozent des Süßwassers, sie verursacht fast ein
Fünftel aller Treibhausgase, mehr als das gesamte globale Transportsystem. Um
in Brasilien ein Kilo Rindfleisch zu produzieren, werden 15 000 Liter
Trinkwasser verbraucht und es wird so viel klimaschädliches Kohlendioxid
erzeugt wie bei einer 1600 Kilometer langen Autofahrt. Wie gesagt: ein Kilo,
nicht die ganze Kuh. Die Nutztiere fressen ein Drittel der weltweiten
Getreideernte weg. Schweine und Kühe verwandeln nur 15 Prozent der Vitamine,
die sie essen, in tierische Vitamine. Der Verbraucher zahlt das Fleisch und mit
seinen Steuern zahlt er noch einmal: die neuen Ställe und die Umweltschäden.

In einer Studie der Oxford University wurde festgestellt, dass
In-vitro-Fleisch, je nach Tierart, 35 bis 60 Prozent weniger Energie, 98
Prozent weniger Land und 96 Prozent weniger Wasser benötigt als konventionell
erzeugtes Fleisch. Außerdem würden fast 95 Prozent weniger Treibhausgase
freigesetzt. Mark Post sagt diese Zahlen und lässt sie erst mal wirken. Dann
sagt er, dass man in zehn Jahren in jedem Supermarkt Kunstfleisch kaufen kann.
In diesem Moment klingt es wie die Erlösung.

2008 schrieb die Tierschutzorganisation Peta eine Million Dollar für
denjenigen aus, der 2012 als Erster synthetisches Huhn in die Supermärkte
bringen würde. Das war der Anfang der „test-tube meat competition“. Da zum
Stichtag kein In-vitro-Huhn in Sicht war, verlängerte Peta den Contest bis zum
4. März 2014, dem 85. Jahrestag von Herbert Hoovers Amtseinführung. Der
amerikanische Präsident versprach damals: „Ein Huhn in jedem Topf.“ Mehr als
eine Million Hühner werden jeden Tag in den USA geschlachtet und gegessen. Mit
dem Huhn hat sich Post nie beschäftigt, er hat sich gleich an den Cayenne Turbo
der Tierwelt gemacht, an das Vieh mit der miserabelsten Umweltbilanz: das Rind.
Peta allerdings bleibt beim Huhn, dem, wie die Organisation sagt, am meisten
missbrauchten Tier des Planeten.

Geld hat Mark Post trotzdem bekommen für seine Forschung. Zum Beispiel von
Google-Gründer Sergey Brin. Insgesamt sind es 250 000 Euro. Das sei nichts
gegen den finanziellen Nutzen, den die Menschheit in Zukunft von Kunstfleisch
haben werde, sagt Mark Post. Auf lange Sicht werde Kunstfleisch billiger sein
als konventionelles Fleisch: Und natürlich ist es besser für die Umwelt – wenn
sich zum Beispiel ganz Deutschland von nur einer einzigen Kuh ernährt.

Schönes neues Essen: Eier ohne Hennen, Fleisch ohne Schweine, Milch ohne
Kühe. Future Food ist billiger, effizienter, hygienischer und: politisch
korrekt.

Der Mensch war schon immer größenwahnsinnig genug zu glauben, dass er es
besser kann als die Natur. Er ist auf jeden Fall verfressener, als es die Natur
verkraftet. Während man im 15. Jahrhundert noch von Kohl, Milch, Gerste und
wässriger Suppe mit Schmalz gelebt hat und sich nur sehr selten ein Stück
Fleisch leisten konnte, essen die Deutschen heute durchschnittlich mehr als 80
Kilo Fleisch im Jahr. Auf ein Leben hochgerechnet sind das 4 Rinder, 4 Schafe,
12 Gänse, 37 Enten, 46 Schweine, 46 Puten und 945 Hühner: Steaks, Würste,
Burger – bis der Nacken spannt.

Schon Winston Churchill wusste, dass es so nicht weitergehen kann: „In 50
Jahren werden wir von dem Aberwitz abgekommen sein, ganze Hühner heranwachsen
zu lassen, um dann ihre Flügel oder Brüste zu essen, wir werden die Teile
selbst in einem passenden Medium wachsen lassen.“

Schwein oder nicht Schwein, das ist hier die Frage. Die Menschen arbeiten
schon lange an alternativen Nahrungsquellen. Allen voran die Nasa, die 2001
auch die Forschung an In-vitro-Fischstäbchen unterstützte. Die Forscher
schnitten Muskelfasern aus Goldfischen heraus, wuschen sie in Alkohol und
legten sie in eine nährstoffreiche Flüssigkeit, extrahiert aus dem Blut
ungeborener Kälber.

Nach einer Woche waren die Brocken um vierzehn Prozent größer. Man wusch die
Teile, gab Olivenöl und ein wenig Zitronensaft, Knoblauch und Pfeffer dazu, und
frittierte das Ganze. Es sah aus wie Fisch, es roch nach Fisch. Nur probieren
wollte es niemand.

An der Universität Utrecht hantierte der holländische Veterinär Henk
Haagsman am Kunstfleisch herum. 2007 kündigte er an, man werde noch sechs,
sieben Jahre brauchen, um Schweinefleisch aus Stammzellen zu züchten. Fleisch,
das die Industrie zumindest für Soßen und Pizzen benutzen kann. Kein Futter,
kein Stall, keine Transportkosten, keine Medikamente, keine Krankheiten, keine
tierischen Abgase mehr. Er hatte die gleichen Argumente. In seinen rosaroten
Petrischalen konnte man dem Fleisch beim Wachsen zusehen.

Veterinäre, Zellbiologen, Mediziner, Mikrobiologen in der ganzen Welt
arbeiteten seit Jahren am Kunstfleisch. Keiner von ihnen hält die
Massentierhaltung mit ihren Antibiotikaexzessen und industriellen Mastanlagen
auf engstem Raum noch für annehmbar. Aber die Stammzellen machen es ihnen nicht
leicht. Welche Zellen machen wann was? Wie kann man sie effektiv züchten? Wie
kann man verhindern, dass aus ihnen Nerven werden, nicht Muskeln? Auf welcher
Nährlösung wachsen sie am besten?

Mark Post ist jetzt sichtlich erleichtert. Der Burger hat den Testpersonen
sogar geschmeckt. Das ist mehr, als er erwartet hat. Er sagt: „Vegetarier
sollen Vegetarier bleiben, das ist noch besser für die Umwelt. Wir wenden uns
an Fleischesser.“ Man werde schneller werden und auch besser. Das hier sei ja
erst der Anfang. Einen Namen hat er allerdings nicht. „Man sollte es Fleisch
nennen. Weil es ja auch Fleisch ist.“

Vielleicht hätten weniger Menschen Probleme mit dem Retortenfleisch, wenn
sie wüssten, was sie jeden Tag essen. Wir essen schon lange nicht mehr das, was
wir glauben zu essen. Was im Erdbeerjoghurt nach Erdbeere schmeckt, ist nur im
größten Glücksfall eine Erdbeere. Die Geschmackstoffindustrie hat allein für
die Erdbeere mehr als 200 Duftnoten.

Es geht um das perfekte Lebensmittel: eine Grapefruit, die keine
Bitterstoffe mehr produziert. Speisen, die das Hungergefühl unterdrücken,
sobald man genug Kalorien zu sich genommen hat. Die Alge Spirulina soll die
Basis für recyclingfähige Weltraumnahrung werden. Was es schon gibt: Milch mit
extra Vitaminen. Margarine, die den Cholesterinspiegel senkt. Und jetzt Shmeat,
Fleisch, im Labor gezüchtet. Nicht genmanipuliert und ganz ohne Chemikalien.

Es gibt Functional Food und Nano Food und Immortal Food, unendlich lange
haltbar. So vieles ist denkbar: Rohobst, das man im Mikrowellenherd in Sekunden
zur Reife bringen kann, Impf-Früchte, Joghurt gegen Migräne. Und wenn die
Neurowissenschaft erst einmal verstanden hat, was Zuckermoleküle beim
entsprechenden Rezeptor im menschlichen Organismus auslösen, muss man nur noch
die richtigen Hirnzellen stimulieren. Das wäre dann Mind Food, gedachte
Ernährung.

Als alles vorbei ist, als die Pfanne abgewaschen und der Burger verdaut ist,
als Mark Post die Riverside Studios verlässt, twittern sie im Netz schon wie
die Wilden über diesen einen sauteuren Burger, der in London gegessen wurde.

Und einer schreibt: „Ist das Frankensteins Monster oder die Zukunft?“

Karin Steinberger
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Karin Steinberger wurde 1967 in Gräfelfing bei München geboren. Sie ist seit
1991 für dieSüddeutsche Zeitung tätig und seit 2000 Redakteurin der Seite Drei.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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