Opposition ist Mist, sagt Franz Müntefering. Das ist aber nur richtig, wenn man Oppositionszeit nur zum Opponieren nutzt

Im Vorhof der Macht zu lagern, hat einen ganz faden Beigeschmack. Aber manchmal ist es eben so. Und manchmal ist es auch ganz nützlich. Wenn die GRÜNEN die Chance, die in ihrer kommenden Oppositionsperiode steckt, nutzen, kann der Weg zurück zur Macht kürzer sein, als viele heute ahnen. Die Zukunft ist offen.

Einige Wegmarken, worüber sich in grüner Perspektive nachzudenken lohnen würde.

Ich schicke eines voraus: Stillschweigend setze ich voraus, dass die GRÜNEN nach wie vor Politik entwickeln wollen, mit der sie einige der wesentlichsten Probleme des Landes lösen können. Dass das nicht selbstverständlich ist, zeigt der liberale Hattrick zurück zur Macht. Denn da hat die programmatische Kulisse nur dazu getaugt, um an die Macht zu kommen. Jetzt, wo der Learjet der Bundeswehr und der Sessel von Heidemarie Wieczorek-Zeul erobert sind, wird das programmatische Arsenal gleich mal weg geräumt. Statt Auflösung des Entwicklungshilfeministeriums gibts dessen Chefsessel, statt Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit neue Arbeitsmarktprogramme. Statt Abwicklung des Gesundheitsfonds eine Kommission. Statt Steuersenkung und Drei-Stufen-Tarif gibt’s noch ne Kommission. Und einen Schäuble, der das Gröbste richten wird. Nee, Opposition muss nicht nur Mist sein, wenn man die Zeit gut nutzt.

Was Politik braucht, ist Glaubwürdigkeit. Und da, das sagen Umfragen, haben die GRÜNEN eine ganz gute Ausgangsposition. Was aber heißt Glaubwürdigkeit, wo der Rest der Parteien probt, in die alten Schützengräben von rechts-links zurück zu robben?

Glaubwürdigkeit heißt, zu allererst, als Partei ein gefühltes Ganzes zu sein (das steht jetzt ganz oben auf der sozialdemokratischen Agenda).

Glaubwürdigkeit heißt aber auch, die Welt so zu sehen, wie sie die Bürgerinnen und Bürger sehen. Denn von diesem Blickwinkel hat sich Politik in Berlin (dem inzwischen voll ausgestatteten Raumschiff Berlin) bereits ziemlich entfernt.

Einige Schlaglichter:

  • Noch immer inszeniert die Politik den Macher, obwohl es gar nichts mehr zu „machen“ gibt. Beispiel Opel: Wer sich aus taktischen Gründen in Gefahr begibt, der kommt drin um. In einem Weltautomobilmarkt, auf dem die Hälfte der Kapazitäten überflüssig sind, kann es nicht darum gehen, den erstbesten Arbeitsplatz zu retten.
  • Dann redet die Politik immer über Maßnahmen. Und den Bürgerinnen und Bürgern ist noch immer nicht klar, ob die Macher auf der Bühne denn ihren Blickwinkel, ihre Gefühlslage, ihre Befindlichkeit teilen. Das Problem ist nicht ganz trivial. Denn die Berliner Öffentlichkeit ist eine andere als die alltägliche BürgerInnnen-Öffentlichkeit. Das tägliche Tricksen und Täuschen im Bundestag, in den Lobbys und auf der Berliner Bühne ist weit weg von den Menschen. Und es interessiert sie auch nicht.
  • Noch immer redet die Politik von Reformen. Und sugggeriert den Bürgerinnen und Bürgern dabei, dass irgend etwas für Sie besser wird. Das Gegenteil ist der Fall. Der Begriff der Reform ist bei den Bürgerinnen und Bürgern schon längst – und zwar mit Recht- schlecht besetzt. Sie wissen, es wird ihnen was versprochen, da muss ihnen auf der anderen Seite etwas genommen werden. Das ist ja auch bei schwarz-gelb nicht anders. Wir sehen schon jetzt, wie sie das Geld, das den Menschen durch Steuerreform in der rechten Hosentasche verbleibt, durch steigende Gesundheitskosten etc. wieder entzogen wird. Man kann den politischen Rahmen nicht für die Menschen verändern (das ist Klientelpolitik), man muss es mit ihnen tun. Für die Zukunft unserer Kinder. Und für unsere eigene.

Meine These: Die Bürgerinnen und Bürger spüren, ob die Politik etwas ernst meint. Ob sie sagt, dass wir alle in einem Boot sitzen und sich tatsächlich mit rein setzt. Oder ob sie sich hinten wieder aus dem Boot raus schleicht. Weil sie Zumutungen nur „denen da unten oder draußen“ zumuten will. Sich aber nicht mit den Bankern anlegen will. Oder sich wieder eine Novelle zur Absicherung der eigenen Altersversorgung gönnt. Nee, nee, die Bürgerinnen und Bürger haben ein gutes Gefühl für die Politik. Und ihre Hilflosigkeit. Jetzt kommt es darauf an, keine Wunderkerzen zu zünden und auf Brot und Spiele zu verzichten. Denn die Rechnung für die letzte -und teuerste- Krisenbewältigung der modernen Weltgeschichte wird uns noch präsentiert.

Die Bürgerinnen und Bürger spüren das auch deshalb, weil die Grundidee der neoliberalen Ära, also die Idee, wir müssen die öffentlichen Haushalte sanieren, wir müssen sparen, der Staat soll sich nicht überheben, ja nach wie vor richtig sind. Es ist ganz interessant und beeindruckend, zu sehen, wie die Menschen jetzt in der Krise tatsächlich zusammen rücken. Wie die Arbeitszeitverkürzungen bei den großen Autoherstellen gemeinsam geschultert werden, um Entlassungen zu vermeiden. Wie die Gewerkschaften viel besser sind als ihr Ruf. Weil sie an Lösungen mitarbeiten.

Diese Bürgerinnen und Bürger sind irritiert, wenn die Politik jetzt, nachdem man über Jahre gespart und versucht hat, sparsamer zu wirtschaften und auch an morgen zu denken, wie die plötzlich über Nacht die zehn oder fünfzigfache Verschuldung plant und durchsetzt. Das macht die andere Perspektive „da draußen“ aus. Das Paradimga, der Staat kann nicht alles leisten, hat die Menschen überzeugt. Und deshalb reiben sie sich verdutzt die Augen, wenn jetzt stillschweigend Haushaltsrisiken übernommen werden, von denen man noch vor einem Jahr nicht hätte träumen können. Auch nicht in seinen Alpträumen.

Damit will ich nicht behaupten, die ganzen Rettungsmaßnahmen wären falsch. Die Abwrackprämie war falsch, ja, aber Stützung, um den Kollaps zu verhindern, das war richtig. Doch die Bürgerin und der Bürger spüren, dass es jetzt viel einfacher geht, Geld auszugeben. Zum Beispiel, um eine Steuerreform durchzuboxen, die nur einen Grund hat: Die FDP hat wie ein trotziges Kind immer weiter von Steuersenkungen gesprochen, jetzt soll sie sie erhalten. Das merken die Menschen. Und sie registrieren ganz schnell, dass gleichzeitig darüber geredet wird, wie man das durch andere Abgaben wieder hereinholen kann. Politikverdruß, selbst gemacht. Der Bürger hat den Machtverlust der Politik schon längst verstanden. Nur die Politik hat noch keine Antwort darauf gefunden, wie sie ihre Rolle dann richtig ins Bild setzen kann. Die Folge ist dann eben eine absurde Inszenierung wie Opel. Da beginnt die Kanzlerin durchaus mit Prinzipien, nicht zu verstaatlichen. Und auf einmal verliert sie dann doch die Distanz, öffentlich zwischen unterschiedlichen Konzepten abzuwägen. Jetzt hat sie den Salat. Und wird für etwas geprügelt, was sie zu Anfang gar nicht haben wollte. (Und die FDP gleich dazu).

 

Opposition ist Mist. Wenn man nur Opposition macht. Aber, was ich sagen will: In einer Zeit, in der die Politik auf der Berliner Bühne längst ihre Glaubwürdigkeit verloren hat, tut die Grünen gut daran, einmal über den Berliner Tellerrand hinaus zu denken. Zum Beispiel, wie man aus dem Teufelskreis der Politiksurrogate heraus kommt. Mehr Hartz IV zu fordern. Und mit einem anderen Namen. Mehr Geld für die Bundesanstalt für Arbeit. Mehr Einmischung der Bundespolitik in die Hochschulen. Durch Excellenz-Initiativen und andere. Mehr Geld rein zu stecken. Aber immer weniger dafür zu kriegen.

Die Politik willnoch immer Wohltaten verteilen, aber das Volk spürt: Der Kaiser ist nackt. Weil er die Zeichen der Zeit nicht wahrnehmen will. Weil er nicht darüber redet, wie er trotz Globalisierung und Freizügigkeit von Kapital und Arbeit Ordnung schaffen will. Wie er den Rahmen neu setzt. Für die Freizügigkeit von Kapital und Arbeitskräften. Für den Interessensabgleich von Konsumenten und Arbeitskraftanbietern. Für die Widersprüche in uns.

Diese Regierung wird im „Weiter so“ stecken bleiben. Weil keine Perspektive war, wurde Angela Merkel gewählt: Keine Experimente! Aber alle wisssen, das löst die Probleme der Zukunft nicht. Jetzt kommt es darauf an, ob die GRÜNEN Verantwortung übernehmen. Und in die Zukunft denken: Ja, ich will. Und ich will keine politischen Visionen und Phantastereien a la Linkspartei entwickeln, sondern ich will gemeinsam mit den Menschen, die auch Verantwortung übernehmen wollen, eine Zukunftsperspektive erarbeiten. Und umsetzen.

Einen Weg für Deutschland finden, der neue Ideen und Kräfte frei setzt, denn nur so können wir die Spielräume entwickeln, die wir brauchen, der Sicherheiten für existenzielle Fragen gibt.

Einen Weg, der die ökologischen und Menschheitsherausforderungen im Auge behält.

Ein Weg, auf dem die ganze Gesellschaft Verantwortung übernehen kann und nicht nur die Politiker Verantwortung auf Kosten Dritter simulieren.

Einen Weg der Bürgergesellschaft, die Probleme zu lösen. Denn Kopf in den Sand gilt nicht!

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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