Jetzt bekommen wir also eine Regierung, die niemand wollte. Jamaika. Exotischer Klang, noch nix dahinter. Bei Anne Will konnte man am Sonntag bereits beobachten, warum Parteien mehr Lösungsverhinderer denn Problemlöser sind. Einzig Robert Habeck hat scheinbar begriffen, wie es anders geht, als er dafür plädierte, jetzt mal die Programme zu vergessen und gemeinsam darüber zu reden, was zu tun ist.
Grünintern hatte ich beim „Reformertreff“ am Freitag und dem „Länderrat“ am Samstag bereits die ausführliche Chance, zu beobachten, wie in einer solchen Situation argumentiert wird. Und mir Gedanken darüber zu machen, was das bewirkt.
Grünintern wird ja immer geglaubt, es ginge in der Politik um einen rationalen Diskurs. Argumente werden vorgetragen, von den Zuhörern abgewogen. Schließlich wird entschieden. Eine freie Entscheidung freier Menschen.
So steht es im Lehrbuch. Ich mag es auch so, auch wenn ich meistens abweichende Meinungen und Schlußfolgerungen habe.
Wer also parteiinterne Treffen beobachtet und das, wie ich, mit einiger Distanz tut (was damit zu tun hat, dass ich mich kulturell bei den Grünen beheimatet fühle, argumentativ dieses „Post-Planwirtschaftsdenken“ allerdings meist als jenseitig und aus der Zeit gefallen betrachte), stellt fest, dass es eben nicht um Argumente, sondern um Hordenbildung geht.
Auch bei den Grünen sind Argumente letztlich Instrumente der Hordenbildung
Argumente sind auch bei den Grünen (sicher auch bei Linkspartei und SPD) nur die Instrumente, mit der Horden gebildet werden.
Realos und Fundis. Jamaikabefürworter und Jamaikaskeptiker.
Und so werden die absurdesten Argumente aufgetürmt. Ein paar Beispiele:
Claudia Roth, plädiert für offene Grenzen und eine liberale Asylpolitik. Grundsätzlich ok, aber wir wären doch mal interessiert daran, dieses zu Ende ausbuchstabieren zu wollen: Heißt eine offene Asylpolitik, dass wir alle, die den Weg über das Wasser, zumeist mit Schleusern, schaffen, erst mal in Asylverfahren aufnehmen und prüfen, ob Asylgründe vorliegen, damit alle Rechtswege verstopfen, die Menschen überfordern, Deutschland in Europa isolieren, die Bevölkerung, die ja, das zeigen Untersuchungen, verunsichert ist von so viel „Fremden“, überfordern und bevormunden? Dass wir das alles tun, weil wir ein Asylrecht haben, das im Nachgang der Nazizeit entstanden ist, aber deren Väter und Mütter ganz andere Bilder vor Augen hatten.
Einzig Boris Palmer hatte grün intern den Mut, diesen Gedanken, auch mit seinem Buch, auszubuchstabieren. Gegen ihn wurde aber die ganze Zeit nicht argumentiert, sondern er wurde stigmatisiert. Sein Denken tabuisiert. Auch Winfried Kretschmann, von anderen „Realos“ ganz zu schweigen, macht die Merkel, treibt Lösungen voran, spricht aber nicht darüber.
Ist das wirklich der Mut, aus dem Zukunft gemacht wird?
Umgekehrt: Der CSU-Söder kam Sonntagabend wieder mit seinen Obergrenzenforderungen. Mal ganz abgesehen davon, dass der sicher schlaue Söder ganz schön finster gucken kann (wen will er eigentlich als fränkischer „Muffel“ für sich gewinnen?), stellt sich auch die Frage, wie das Asylrecht, individuelles Recht, plötzlich mit einer abstrakten Zahl gedeckelt werden soll. Bei welcher jährlichen Anzahl hört politische Verfolgung auf? Und glaubt die CSU eigentlich, wenn sie einen Punktsieg gegenüber der Kanzlerin einfährt, hätte sich das Problem erledigt. Nein, das Wahlergebnis ist auch eine Quittung für den Radikalbettvorleger Seehofer. Der die politische Bühne mit der Wirklichkeit verwechselt.
Die blödsinnige Überhöhung ihrer Argumentation können grundsatzbetonte Politiker (Von Gesinnungsethikern wollen wir hier nicht sprechen) nur beibehalten, weil die Sendezeiten zu kurz sind, um Problemlösungen auszubuchstabieren, Problemlösungskorridore zu beschreiben, Problemlösungszenarien zu entwickeln und die Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen.
Und weil Journalisten ….. Na ja, das wissen sie selber.
Gangbare Wege liegen jenseits politischer Kulissen
Die Wahrheit, also ein Weg zur Problemlösung, liegt nämlich weit unterhalb dieser Pole. In der Lösung der Flüchtlingsfrage liegt er in etwa bei Angela Merkel. Die hat dem Druck des Augenblicks 2015 nachgegeben, danach aber alles getan, damit solche Flüchtlingsgrößenordnungen nicht mehr am Mittelmeer erscheinen. Ohne darüber zu reden. Was jetzt, mit den hohen Verlusten, letztlich ihr Problem geworden ist.
Kontrafaktisches Handeln.
In der Politik, so meine Schlußfolgerung, gibt es zwei Handlungsebenen: Die substanzielle oder faktische (was können wir tun, um ein Problem in Griff zu kriegen) und die kommunikative. Die kommunikative Handlungsebene beschäftigt sich damit, welche Bilder müssen wir in die Welt setzen, um uns als Partei zu profilieren und uns genügend von den anderen Parteien abzusetzen. Wenn die Bilder dann aber zu stark werden, (Wieder ein Beispiel: Wenn Claudia Roth etwa auf alle AfD Wähler als Rassisten und Nationalisten draufhaut, mobilisiert das zwar ihr Kernwählerpotential, gleichzeitig aber auch das der AfD-Wähler. Will sie diese Polarisierung?) stehen sie den Lösungen im Wege.
Wer also macht den ersten Schritt, überkommene Bilder über den Haufen zu werfen?
Ich stelle fest, dass sich hinter den Kulissen die faktischen Handlungsebenen der „etablierten“ Parteien immer stärker angleichen (das gilt sogar für die Linke), nur vor Wahlen wird regelmäßig ein anderes Bild erzeugt. Martin Schulz sollte mal drüber nachdenken, ob er nicht an diesem Politikdilemma gescheitert ist.
Für die Wähler drängt sich damit das Bild auf, den „etablierten Parteien“ einfach nicht mehr trauen zu können. Weil unterschiedliche Wahlprogramme letztlich in immer derselben Politik münden. (By the way: Die innergrüne Diskussion, man müsse jetzt auch die soziale Flanke stärken, ähnelt sehr der CSU Argumentation. Seehofer sprach bei seiner Pressekonferenz am Montag nach der Wahl ja von einer tiefen Spaltung der Gesellschaft, die dazu führen würde, dass der „kleine Mann“, in Wirklichkeit eher die kleine Frau, „abgehängt wird“ Das klang wie 100 Prozent Martin Schulz). Sozialpolitisch ziehen also CSU und Grüne ähnliche Schlußfolgerungen. Unzufriedenheit mit Geld zuschütten.
Meine Schlußfolgerung: Das Ungleichheitsproblem kann man nicht lösen, lediglich moderieren oder reduzieren. Dazu müsste man Strategien mit ihren Folgewirkungen abschätzen und dann Lösungwege finden.
Ohnehin ist die „Formel“, dass Politik darüber nachdenken muss, die „Entheimatung“, die viele Menschen fühlen, Verunsicherung über ihre Stellung in der Welt, aufzulösen.
Es gilt: Erst Emotion, dan Ratio!
Das Problem: Verunsicherte oder Menschen mit Wut im Bauch kann man argumentativ nicht überzeugen. Erst Emotion, dann Ratio.
Weil der emotionale Faktor so stark ist, haben wir jetzt die AfD als drittstärkste Partei im Parlament.
Dämonisierung und Stigmatisierung haben also nicht gegriffen. Ein erheblicher Teil der Bürgerinnen, mehr der Bürger, wollte mal seine Wut über das politisch alerte Establishment rauslassen. Ist ihm gelungen!
Jetzt wird es ziemlich ruppig werden im Parlament. Weniger höflich, weniger Grundkonsens. Dafür auch weniger kulturelle Klassengesellschaft. Es beginnt jetzt der Wettlauf, wer seine Horden vergrößern kann, wer verringern. Wohlgemerkt, die Horden außerhalb des Parlaments. Die, die sich repräsentiert fühlen.
So tut jede Partei, die nach vorne denkt, gut daran, ihr früheres Selbstverständnis mal ein bißchen einzudampfen und darüber nachzudenken, ob es nicht schwer erneuerungsbedürftig ist.
Angela Merkel, die führende Anti-Politikerin hat das übrigens am schnellsten begriffen. Ehe für alle ist so ein Beispiel, lieber ein „Schein“-Momentum der Identifikation des Gegners vor der Wahl abräumen lassen als zu einem Wahlkampfthema der „linksliberalen Öffentlichkeit“ hochpoppen zu lassen.
Aber ja, jede Strategie hat ihre Schattenseiten. Das konservative Profil der CDU hat sie damit weiter geschliffen. Das werden dann ihre Nachfolger klären müssen. Jede Zeit hat seine Politiker.