Nein, es geht nicht darum, Populisten zu Rettern zu stilisieren. Sondern um die Frage, was uns der Erfolg von Trump, Boris Johnson und Sebastian Kurz lehren kann. Uns, damit meine ich diejenigen, die an rationale Politik, Konzepte, Argumentation, Diskussion, vereinbarte Verfahrensweisen, z.B. den Modus des Aushandelns glauben.
Person schlägt Programm. Profil schlägt Prozess.
Der 33 jährige Sebastian Kurz zeigt, wie Boris Johnson, was zählt: Mediale Präsenz, nachvollziehbare, also im Rampenlicht der Öffentlichkeit zelebrierte Handlungsfähigkeit und Risikobereitschaft. Erfolgreiche Politik braucht, wie ein erfolgreiches Startup, eine Storyline. Schnelligkeit ist gefragt, damit die Bürgerin und die Bürger das nachvollziehen kann. So, wie Sebastian Kurz erst seine Partei radikal umgebaut und auf seine Person zugeschnitten hat. Dann erfolgreich in die Regierung gekommen ist, aber nach Ibiza nicht gezögert hat, das Risiko als Chance zu nutzen.
Polarisierung durch Person bietet Sicherheit in Zeiten der Veränderung.
Dasselbe Muster kann man auch bei Boris Johnson erkennen: Er hat es geschafft, in einer Zeit einzigartiger Polarisierung (bei der er selbst einer der wesentlichen Treiber war), zu behaupten, seinen Gegnern Niederlagen beizubringen und am Ende bis an die Spitze der Macht zu kommen.
Das, aus europäischer Sicht erstaunliche: Noch immer hat Boris Johnson, obwohl er Großbritannien in eine sehr ungewisse Zukunft führt, die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler hinter sich.
Und das, obwohl er die ungeschriebenen Gesetze des Königreichs mehrfach gebrochen hat, um sich und seine Position durchzusetzen.
Das Modell der diskursiven Auseinandersetzung ist längst überspannt. Bürgerinnen und Bürger suchen nach Identifikation.
Lessons learned: Handlungsfähigkeit fängt ganz unten an. In der Partei, dann in der nationalen Öffentlichkeit. Der eigentliche Gegner, die Labour Party, ist ja ebenfalls so zerstritten wie die Konservativen. Und letztendlich hat er das Land bei der Inszenierung des Bühnenstück Brexit dazu gebracht, sich zu entscheiden: Lieber ein selbstbewußtes Ende mit Schrecken und Boris Johnson oder ein „Weiter So“, mit ewiger Hängepartie, mit Verhandeln, innerem Dissens aller Diskussionsteilnehmer.
Offensichtlich haben sich die Bürgerinnen und Bürger entschieden.
Parteien sind keine Vordenker, sondern Nachhut, maximal Konsolidierer öffentlicher Meinungsbildung.
Und wenn wir dann noch einen Schritt zurücktreten, können wir die Rolle von Parteien in der aktuellen Situation neu, nüchtern und anders beschreiben: Parteien sind keine Vordenker, Volksparteien, ich zitiere eine besonders gewagte These von AKK in ihrer Wahlrede, sind keine Thinktanks der Demokratie, sondern Konsolidierer. Was Konzerne im Wirtschaftsbereich, das sind Parteien im politischen Meinungskampf.
Besonders deutlich wird das jetzt wieder, wenn man die Vorbereitungen zum kommenden CDU Parteitag verfolgt: Erst geht es darum, welche Themen in den Vordergrund gestellt werden: Soli, Steuerpolitik werden es diesmal sein. Und dann auf der Aussaagenebene: Als politischer Beobachter fällt es einem schwer, die immergleichen Argumentationsmuster nachzuvollziehen, bis sie sich erfolgreich innerparteilich etabliert haben.
Die Langwierigkeit politischer Prozesse ist einer der wesentlichen Gründe, dass der Glaube an demokratische Verfahrensweisen zerfällt. Wer hat als Bürger, als Bürgerin schon die Zeit, das alles im Detail nachzuvollziehen. Ähnlich bei Fachdebatten: Wenn, wie jetzt in der Wohnungspolitik auf Berliner Ebene oder der Klimapolitik ganz unterschiedliche Modelle auf den lesenden Bürger einprasseln, ist er überfordert; – in der Klimapolitik verdichtet sich die Frage jetzt doch auf zwei Elemente: Steuer oder C02 Zertifikatehandel, das scheint jetzt entschieden. Und dann der Einstiegspreis für das Zertifikat. Fachlich verwunderlich, dass jetzt der denkbar niedrigste Preis gewählt wurde. Meines Erachtens ist das Ausdruck der Verzagtheit der politischen Akteure: Es geht nicht darum, wirklich wirksame Maßnahmen zu ergreifen, sondern den inneren Konsens zu erhalten. Und die Illusion dessen, dass man etwas tut. Auch, wenn die Ziele der Politik dann verfehlt werden.
Lessons not learned: Die Linke in Deutschland.
Deswegen kann selbst ich, nüchtern und abgebrüht, verstehen, warum es Stars wie Greta Thunberg braucht. Rational ist das alles schon lange nicht mehr.
Die deutsche Linke übrigens, die hat das noch nicht begriffen. DIE LINKE zerlegt sich, öffentlich sichtbar in einen Wagenknecht-Flügel und die Pragmatiker. Die SPD übt sich in Selbstverzwergung. Und auch bei der Übung „Deutschland sucht einen SPD Vorsitzenden“ traut sich niemand wirklich, auszubrechen.
Die Grünen haben es da, noch, besser: In einem Akt glücklicher Fügung, weil, ein Plan war das ja nicht, hat sie sich eine Parteiführung gewählt, die die Themen der Ebene, das Alltagsgeschäft des Parlamentarismus, hinter oder neben sich gelassen hat und vom Starprofil ihrer beiden Vorturner, Habeck und Baerbock lebt. Und weil bei den Grünen, jedenfalls aktuell, der Instinkt für den eigenen Erfolg noch funktioniert, dürfen Sie auch ziemlich frei agieren. Hinter den Kulissen wird dann abgestimmt.
Im November steht dann der nächste Parteitag an. Es wird schon wieder an einem Antrag gebastelt, der den Weg ins klimapolitische Paradies skizziert.
Partei vs. öffentliche Wahrnehmung. Kopf gegen Bauch. Mal sehen, wie Robert und Annalena das regeln.