Piraten 1.0. Gedankensplitter

Jetzt haben sie einen unfallfreien Parteitag hinter sich gelassen, die Bundespiraten. Doch bleibt die Frage: Wie nimmt man das wahr, was sich da tut. Und manches klingt so, als ob die Partei dem Rückwärtsgang zur Realität einschlägt. Piraten 1.0. Ein paar Gedanken.

Das hat mich schon an GRÜNEN immer gewundert: Die Direktheit, mit der die Partei die Dinge erst wahrgenommen hat, wenn sie damit direkt konfrontiert war. Die Frage persönlicher Verantwortung vs. imperatives Mandat, die Frage Pazifismus vs. Frieden schaffen mit ein paar, vielleicht ein paar weniger Waffen, es gäbe da auch noch ein paar Fragen mehr, an denen die Entscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik nachvollziehbar wäre.

Wenn ich über die Piraten vom Wochenende lese, kommt mir sofort in den Sinn, das ist Grün im
Turbo Modus. Piraten sind ohnehin programmatisch ein ganz großer Haufen WÙNSCH DIR WAS, Grundeinkommen, Freier Personennahverkehr, freier Zugriff auf geistiges Eigentum, weil man fasziniert ist vom Neuen. Und für viele die Frage, wovon lebe ich, wovon möchte ich in Zukunft leben, was tut sich in der Netzwelt (einer zunehmend klassisch oligopolistisch, weltweit auf Superprofit gepolten ökonomischen Welt) ökonomisch, damit möchte man nicht so viel zu tun haben.

Übersetzen wir WÜNSCH DIR WAS in ein anderes Bild, dann ist es das Bild, dass die Piraten, wie die GRÜNEN auch, damals auch, ein Radikalausdruck einer neuen Soziokultur sind. Die Grünen repräsentieren die Jahrgänge von ca. 1950 bis 1975, jetzt sind die Piraten dran. Offensichtlich, wenngleich wir noch nicht wissen, in welche Richtung es sich entwickelt.

These: Die alten Altparteien vertraten Sozialmilieus, die zerfallen sind. Sie vertraten auch die Sozialmilieus, die die Modernisierungsverlierer sind, sozialdemokratische Malocher und christlich bescheidende Menschen mit hoher Akzeptanz für das Gegebene.

Oranisiert wurde das ganze rund um einige Stammesmythen, Kampf der Arbeiterklasse, Selbstbewußtsein hier, Christliche Leitbilder des Festhalten am Gegebenen dort.

Mit unterschiedlichen Mitteln haben die beiden Parteien ihre Modernisierung betrieben. Die Sozialdemokratie konnte, moderne Partei wie sie ist, die Bildungsaufsteiger an sich binden, jedenfalls zeitweise, bis sie die heranwachsende grüne Generation, das grüne Lebensgefühl nicht richtig erkannt hat und in der sakralen Anbetung von Modernität und Wachstum (und dem Glauben an den unendlichen Erfindungsreichtum der Menschen) die Welt nicht mehr gesehen hat.

Davon hat sich diese Partei nicht erholt. Bis heute nicht erholt. Weil sie den Spagat zwischen zwei sozialen Realitäten (Bildungsaufsteiger und Modernisierungsverlierer) und deren Politikparadigma, „den Tiger reiten“ vs. staatliche Schutzgarantien und Abschöpfung und Umverteilung von Reichtum, nicht weiter organisieren kann.

Zerfallende Sozialmilieus dort, ein sich stabilisierendes Sozialmilieu rund um die Grünen, postmaterialistisch, selbstbewusst, reflexiv, abwägend, zweifelnd und im Zweifel sich vortastend, hier.

Und jetzt die Piraten. Vom Duktus her das Gegenteil. Frech, selbstbewußt, gegen den Mainstream, obwohl man weiß, dass man keine Antwort hat (insofern das Gegenteil von selbstreflexiv). Aber, es geht nicht darum, die Piraten als Dumme zu verkaufen, das nicht selbstreflektive muss kein Dummenmodus sein, wenn die Partei und die Menschen das Nachdenken und Umdenken als selbstbewussten Modus der Vorwärtsbewegung verstehen.

Die Piraten als Reflex einer Generation, die mit dem „alles kann sich immer ändern“ groß geworden sind und die das immer wieder umdenken halt einfach in die Mitte ihrer politischen Identität stellen und ihren Tanz um dieses goldene Kalb herum organisieren: Liquid Democracy heißt das dann. Und die nicht hämischen, sondern reflektierten Berichte der Medien zeigen, wie das dann funktioniert, wie wenige mitmachen, wie sich eine Binnenlogik der Vermachtung schon längst ausgebreitet hat.

Politik als Eroberung der Öffentlichkeit durch eine Generation. Weil das Lebensgefühl einer Generation authentischer ist als alte Sozialmilieus?

Ist mal eine These. Obwohl noch nicht klar ist, was die richtige Antwort darauf ist. Jedenfalls weder nachrennen, noch altkluges Besser wissen.

Wir sollten weiter nachdenken.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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