Wählerinnen und Wähler sind doch klüger als man gemeinhin, insbesondere in den Parteien glaubt. Berlin hat das wieder mal gezeigt. Die Verantwortlichen wollten die Tatsache, dass sie die Wahl vergeigt haben, aussitzen. Stattdessen hat sich die linksgrünlinke Koalition in Vollmundigkeit und falschen Vorzeigeprojekten verrannt.
Auch unabhängige Fahrradfreundinnen und Freunde fragen sich, wie wohl in der Friedrichstrasse, einer engen Häuserflucht, jemals das Piazza-Gefühl entstehen sollte. Die Stadtmöbel, wiewohl immer wieder genutzt, sind keine Lösung.
Aber egal, es ging in dieser Koalition, hatte man manchmal das Gefühl, darum, möglichst viel politisch anzuschieben und möglichst viel Geld auszuschütten. Koste es, was es wolle.
Eine durchgängig linke Denke also, die im Namen der Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Chancengleichheit so viel an sich zieht, dass es auf keinen Fall gut gehen kann.
Und jetzt? Claudius Seidl, FAZ ruft tapfer das Projekt Schwarzgrün aus. Alle anderen wundern sich. Ist das nicht von gestern?
Wie die Wählerin und der Wähler gesprochen haben.
Schauen wir uns das Wählerverhalten an. Zuerst, darüber wird kaum gesprochen: Die niedrige Wahlbeteiligung sagt alles: Dramatisch viele Menschen stehen ratlos vor der Manege, entweder, weil sie sich nicht entscheiden können oder weil sie, das vermute ich, keiner der Parteien trauen. Verwaltung wollten alle reformieren. Aber egal, wer bisher dran war, getan hat es keiner. Nur ein Beispiel.
Dann diese Außen-Innen-Trennung, die die Ost-West-Trennung längst überlagert. Außenbezirke: Fast alle an die CDU. Innen alle an die Grünen. Wahrscheinlich sind die Grünen, offiziell Gegner der Gentrifizierung, ihre heimlichen Nutznießer. Denn wahrscheinlich hat sich das Ost-West einfach durch Verdrängung in ein Oben-Unten verändert. Und oben, als Gehaltsmäßig oben, das ist da, wo die Grünen sind. Mit der Linken übrigens, die den zweithöchsten Anteil der akademischen WählerInnen vertreten. Der Sozialismustraum wird also nicht aus der Not, sondern aufgrund einer fehlgeleiteten Sozialismus-Illusion geträumt. Gerecht ist nicht, was Aufstiegschancen gibt, sondern was der Nomenklatura die Macht über das “Framing” verleiht. Ich empfehle Schelsky, 1977, “Die Arbeit tun die Anderen. Klassenkampf und die Herrschaft der Intellektuellen.” Analytisch saubere Arbeit. Fast hellseherisch.
Drittens: Umfragen haben gezeigt, dass die CDU Wahl eine reine Protestwahl war. Alle Spitzenkandidaten konnten in ihrem Wahlkreis nicht überzeugen. Am Eindrucksvollsten: Giffey, ehemalige Bürgermeisterin von Neukölln, konnte eben dort nicht gewinnen. Abgestraft. Und die Vertrauenswerte des CDU Spitzenkandidaten: Wie bei den Anderen, ebenfalls irgendwo bei 20%.
Was ich daraus schließe
Was sagt uns das Ergebnis: Dass Wählerinnen und Wähler den Illusionszauber der Parteien einfach durchschaut haben. Und das ist kein Grund zur Freude (außer für die AfD), es muss ein Grund zum Nachdenken sein. Denn wenn der Wunsch, die Politik könne alle retten, zerrinnt, ist es kreuzgefährlich, wenn die Politik diese Illusion weiter schürt.
Denn die Stärke Deutschlands, das ist die Dezentralität, die Resilienz der Gesellschaft, die Bereitschaft, anzupacken, etwa in der Flüchtlingskrise, der Hilfe für Ukraineflüchtlinge und die Stärke seiner Wirtschaft, Lösungen zu finden. Und eben nicht auf die Politik zu warten.
Zurück zu Claudius Seidl.
Auch ich finde, angesichts der grünen Binnenverhältnisse, die Idee, in Berlin Schwarzgrün zu machen, absurd. Warum? Weil die Berliner Grünen inzwischen vom linken Kreuzbergmilieu durchdrungen ist, ein retrolinker Verein, der froh ist, dass sie die harten Auseinandersetzungen früherer Jahre durch eine konsensfindende jüngere Generation befriedet hat. Daraus hat Bettina Jarrasch ihren starken Rückhalt bezogen. (Die These, sie wäre eine Kompromisskandidatin, stimmt nämlich nicht, vielmehr ist sie die Architektin des grünen Berliner Friedensschlusses).
Das zeigt: Es ist wie immer, entweder eine Spitzenkandidatin gefällt der Partei. Oder sie kommt draußen an.
Und wie es mit den Grünen weitergehen könnte
Die grüne Parteichefin Ricarda Lang hat als einzige Grüne schon am Wahlabend ein zartes Nachdenken eingeläutet: Auf diesem Weg wird es nichts mit der grünen Volkspartei, meinte sie. Dazu hätten die Grünen noch immer das Potential, meine ich. In Berlin wurden die Grünen abgestraft, weil, meine These, diese Rechthaberei, das sich in der Friedrichstrasse inkarniert hat, den Menschen einfach auf die Nerven geht. Alle wollen eine klimafreundliche Stadt, ok, viele wollen sich dann nicht mit den Abwägungen beschäftigen, die das für jeden Einzelnen mit sich bringt. Aber alle ahnen, dass trotz Klimaklebern die Rettung der Welt weder von Berlin, noch von Deutschland ausgeht. Damit müsste mal jemand, und zwar aus dem richtigen Lager, die panisch agierenden (Autosuggestion) Klimakleber konfrontieren. Wir, Deutschland, der Westen, wird in der Klimafrage nur dann eine Rolle spielen, wenn es uns gelingt, Wege zu eröffnen, wie der Rest der Welt mehr Wohlstand bei weniger Ressourcenverbrauch erreichen kann. Und die Stichworte dazu heißen Innovation, Technologie, aber auch, das sollte Grün von der SPD und der CDU unterscheiden, ein abwägendes, diskussionsfreudiges, sich selbst reflektierendes, -korrigierendes Gesellschaftsmodell. Ein selbstbewusstes, seine eigenen Interessen verteidigendes Land, das die Herausforderungen wahrnimmt, annimmt, seine alten Überzeugungen aus Überzeugung, nicht aus Opportunismus, über den Haufen schmeißt und sich selbst neu ausrichten kann.
Von hier aus anders?
“Von hier aus anders”, lautet der letzte Titel Robert Habecks, der offensichtlich als Einziger verstanden hat: “Wie findet eine Gesellschaft unter den Bedingungen von Freiheit und Demokratie zu einer Gemeinsamkeit, die es ihr ermöglicht, die notwendigen großen Schritte zu gehen” lautet seine Frage. “… Fortschritt der Einen (bedeutet) fast immer einen Rückschritt der für andere”, seine Erkenntnis und seine Empfehlung: “Jede Partei muss von sich glauben, dass sie die besten Antworten auf die Fragen der Gegenwart und die Zukunft gefunden hat. … Aber wenn Politiker*innen so tun, als wären ihre Antworten die einzig möglichen, … dann werden sie schnell rechthaberisch”.
Mit dieser Erkenntnis wäre schwarzgrün schon ein Ansatz. Er würde aber eine starke Bettina Jarrasch erfordern, die sich aus ihrer Parteiverankerung löst und Führung zeigt. Und in Konflikt mit der Friedrichshain-Kreuzberger Funktionärsschicht geht.
Führung halt.