Reden wir: Über Konsumverzicht.

Konsumverzicht war der Titel der vorletzten Spiegelausgabe (14/2014). Und alle kamen zu Wort. Nico Paech, Harald Welzer und Ralph Fücks. Neu für mich war Robert Pfaller, „Wo für es sich zu leben lohnt“. Ein Viergestirn der Wachstumskritik also, neben den Autoren und Selbstversuchsbeschreibern, die mal wissen wollten, wie das ist, wenn man nichts mehr hat. Oder von dem lebt, was vom Himmel fällt.

Die Intro verspricht viel. „Verzicht ist zur Modetugend geworden. Weniger Konsum ist mehr Lebensqualität. Aber taugt der Wunsch nach dem einfacheren Leben als Modell für die gesamte Gesellschaft? Kann ein Land ohne Wachstum leben?“ Das ganze Programm also wird hier versprochen. Gehalten wird davon nichts, ausser, dass die Apologeten des neuen grünen Wachstums wie des neuen grünen Wachstumsverzichts und der „Wer genießt, tut gut (zumindest sich, Anm. des Verfassers)“ alle über die Bühne getrieben werden.

Warum also so ein Artikel, der nichts von dem klärt, was er vorgibt. Der nur das darstellt, was schon anderswo gedacht wurde (nur nicht in dieser Auflage)?

Ich behaupte, aus diesem Beitrag zieht jeder, der ihn liest, seine eigenen Schlüsse. Würde man danach eine Gruppendiskussion machen, könnte man zwar feststellen, dass zwar überall dieselben Autorennamen zitiert werden. Sonst hätte man aber den Eindruck, die Menschen müssten ganz unterschiedliche Artikel gelesen haben. So ist es nämlich: Aus den selben, auf der Perlenschnur aufgereihten Argumenten holt sich jeder Leser, jede Leserin das raus, was sie brauchen kann.

Es ist das Relevanzprinzip des menschlichen Hirns. Insofern sind solche Artikel Beiträge eines Realversuchs. Gedanken wandern in die Köpfe des Lesers und niemand weiß, was sie dort anrichten.

Der geneigte Analytiker fragt sich natürlich weiterhin: Wer von den Herren hat eigentlich recht?

Ich sage: Jeder und niemand. Jeder der Autoren hat natürlich in seinem Relevanzszenario Recht.

Wenn Fücks der technologischen Revolution das Wort redet, ja, dann leistet er einen dringenden Beitrag dazu, dass das grüne Lehrerklientel mal ihre Ideologien entrümpelt, nach denen nur das gut sein kann, was im Vorgarten wächst und was man jedem Kleinkind verfüttern könnte. Notwendig ist so ein Beitrag auch, weil ohne Wachstum bei gleichbleibenden Bedingungen die Beibehaltung unserer Lebensweise (und, das ist der politgrüne Hintergedanken, der politische Umverteilungsmechanismus, um allen etwas gutes tun zu können) nicht möglich ist. Ob grünes Wachstum aber wirklich die Welt rettet oder im Reboundeffekt versinkt: Das weiß niemand. Und wenn das grüne Wachstumsparadigma dazu führt, die Sozi-Idee, „ihr müsst uns nur machen lassen, dann braucht ihr nichts ändern“, grün anzustreichen, ist das auch grün angestrichener Mist.

Wenn Welzer wieder rumätzt, dass Politik Mist ist, grüne Politik aber Obermist, weil er den SUV FahrerInnen ermöglicht, ohne schlechtes Gewissen Oberfrevler zu bleiben, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, hat er Recht. Wenn er sagt, was jeder machen kann, nämlich ganz einfach, das zu tun, wozu er Lust hat oder wovon er überzeugt ist, ist das ein notwendiger Beitrag. Er macht jedem Einzelnen Mut, doch einfach darüber nachzudenken, was ihm selber wichtig ist. Und sich nicht an dem festzuklammern, was gesellschaftlich akzeptiert ist. Unrecht allerdings hat er, wenn er das mit einem Überschuß an Weltenrettungsgestus hochfrisiert.

Nico Paech wiederum macht es deduktiv, bricht also radikal das, was für die Welten- und Klimarettung notwendig ist, auf sein eigenes Leben und die Gesellschaft runter. Unterm Strich bleiben dann Ökodiktaturansätze. Das Szenario, das er beschreibt, stimmt. Nur radikale Schritte können in unserem Weltbild die Welt retten. Notwendig ist der Beitrag, um nochmals zu signalisieren: Das alles ist kein Spaziergang für Talkshowplauderer. Unrecht hat Paech gar nirgends. Nur, dass dieser Ansatz nicht dazu führt, dass sich relevante Menschenmengen mental und real bewegen.

Robert Pfaller schließlich gibt jedem seinen Segen. Der Erlöser tritt deswegen auch zum Schluß auf. Er sagt, das ewige „Schlechte Gewissen-Machen“ ist falsch, weil es negative und Neidgefühle freisetzt.

Das gefällt uns allen. Und deswegen hat der Beitrag auch mythischen Charakter: Am Schluß die Erlösung.

Das klingt zwar anti-aufklärerisch, muss gar nicht schlecht sein. Weil wir alle Menschen sind, orientieren wir unser Leben, auch wenn wir das glauben, nicht anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse. Ja, wir nehmen Erkenntnisse wahr, integrieren sie in unser Weltbild und entwickeln so unsere ganz individuellen Lebensmotive. Den Rest verdrängen wir, und das ist auch gut so. Jeder malt sich sozusagen selber die Wimpel, hinter der er herlaufen will. Gesellschaftliche Bewegung kommt dann zustande, wenn sich die Menschen mit ähnlichen Wimpeln zusammmenfinden. Politisch, aber auch im Berufsalltag, das kann wechseln. Es geht um Hordenbildung, das „Wir“ und „die Anderen“, Identität und Abgrenzung. Und Umbau von Identität und das Fallenlassen von Abgrenzung. Es ist ein anonymer, stummer Prozess, der mitten im medialen Lärm stattfindet. Der Zug der Zeit.

Szenenwechsel. Ich wohne in Kreuzberg. Ein paar Häuser neben mir, ganz nahe am Mehringdamm hat ein türkisches Cafe eröffnet, ca. vor einem Jahr. Es ist ein in seiner Ausstattung und allem (jedenfalls meiner bescheidenen Wahrnehmung nach) türkisches Cafe, könnte sich auch in Istanbul befinden. Es gibt auch Kuttelsuppe. Kellner und Kellnerinnen sehr zackig türkisch. Ein anderes kulturelles Muster von Servicepersonal, formeller. Es ist immer wildes Leben dort. War vorgestern zum zweiten Mal dort. Wenn ich da sitze, denke ich mir, ok, das ist offensichtlich Teil der deutschen Gesellschaft. Es finden sich dort alle Prototypen türkischer Lebensstile, immer bunt durcheinander gemischt, Kopftuchträgerinnen neben provokant aufgepeppten und studiogebräunten Jungschönheiten, testerongeschwängerte Männer neben Traditionalisten (obwohl: Dieses Männlichkeitsideal hat auch etwas traditionalistisches). Jedesmal, wenn ich an dem Cafe vorbeikomme, freue ich mich, dass das so gut läuft. Wenn ich mir die Menschen ansehe, die dort verkehren, ist das der deutschtürkische Mittelstand. Sehen und gesehen werden, gestylt, Laufsteg, obwohl es nicht so wirkt, Treffpunkt. Trotzdem, das ist jetzt politisch nicht korrekt, habe ich jetzt fast ein Jahr gebraucht, zum zweiten Mal rein zu gehen. Es ist kulturell etwas anderes. Obwohl ich nichts lieber täte, also mich da hineinzusetzen und mir alle Lebensgeschichten erzählen lassen. Diese Dualität in mir, das irritiert mich, einerseits dieses „sich fremd fühlen“, andererseits diese Neugier auf die Biographie jedes einzelnen Menschen.

Was würden eigentlich diese Menschen eigentlich über den Spiegelartikel denken?

Wenn wir jetzt noch einen Schritt zurücktreten und neben den Spiegelhelden noch mein Café in den Blick nehmen und uns dann fragen, was ist eigentlich die richtige Antwort auf die Frage, welcher Weg für diese Gesellschaft der richtige ist, kann man eigentlich nur antworten: Es kommt, wie es kommt. Es obliegt dem menschlichen Verstand mit seiner analogen Wenn-Dann-Denke, dieser schlichten Ursache-Wirkungsnummer, nicht, Komplexes zu denken. Solche Grundsatzartikel helfen, indem sich jeder der Leser daraus das zieht, was für ihn interessant ist. Orientierungswissen. Und die Frage, wer Recht hat, tritt damit in den Hintergrund. Jeder der Leser, der Leserinnen zieht daraus Ideen, die er in sein Leben einbaut. So sickert etwas in die gesellschaftliche Realität ein. Und allen Politjunkies sei gesagt: Ohne, dass es diese Gesellschaft einen Cent kostet. Die umgekehrte, und durchaus (vor allem für die Grünen) dringliche Frage: Wie lernt Politik, dass in einer offenen Gesellschaft manchmal weniger mehr ist? Und wie kann eine Politik des gesellschaftlichen Aufbruchs sich so organisieren, dass sie mit all der Vielfalt des Lebens oszilliert, Anregungen aufgreift, anstatt ständig gouvernantenhafte Kritik zu äußern.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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