Schlafwagen war gestern. Der neue Steingart.

Es war zu erwarten, dass die Medienkollegen über das neue Werk von Gabor Steingart, Die unbequeme Wahrheit, herfallen. Die Eitelkeit des Autors, das Predigermodus, der besonders in dem von ihm selbst eingesprochenen Hörbuch deutlich wird, der Duktus, den “lieben  Leser”, direkt anzusprechen und damit, so der Versuch des Autors, den Hörer und Leser zum Täter zu machen (zu penetrant für meinen Geschmack), all dies sind Gründe, in den konsensuellen Mehrheitschor der Medien einzustimmen. Der Spiegel hat als Erster ausgeholt: Abstieg eines Superstars. 

Wirklich? 

Aber mit Steingart geht es mir, wie früher mit dem großen und viel zu früh gestorbenen Soziologen Ulrich Beck. Auch gegenüber ihm wurde kritisiert, dass das, was er treibe, doch keine Soziologie sei. Es fehlte an Verehrung Becks gegenüber der Evidenzbasierung, dem Götzen “intersubjektive Nachweisbarkeit”, Becks großes Verdienst ist und war es, mit ein paar einfachen Begriffen, “Risikogesellschaft”, “Weltinnenpolitik”, “Reflexive Modernisierung”,“Patchworkfamilie”, (gemeinsam mit seiner Frau, Elisabeth Beck-Gernsheim) und der Haltung eines Forschers, nämlich Neugier, das Bild der neuen Normalität Gestalt oder Ausdruck zu geben. 

Und mit einer ähnlichen Haltung würde ich empfehlen, Steingarts Predigt zu hören, wahrzunehmen und für sich selber anzunehmen. Dabei sollte der Überschuß an Eitelkeit nicht stören. 

Als einer der Wenigen (wer eigentlich noch?) aus Politik, Wirtschaft und Medien, dem neuen Oben also, artikuliert Steingart die Unruhe darüber, dass die Gleichungen, die uns von eben diesen Personengruppen vorgeführt werden, schnell zu Ungleichungen werden können, dass wir alle Teil des Problems sind, aber auch Teil der Lösung sein sollten. Dass das Heil nicht von Oben, nicht von Merkel, nicht von den Grünen, aber auch nicht von den blaugelben “Liberalen”, kommen wird. Von der “Weiter So-CDU” ohnehin nicht, die will ja vor allem Ruhe!

Dass KI aus den Wissensarbeitern von heute möglicherweise (vor allem, wenn sie Wissenschaft weiterhin in der Art der beobachtenden Kleinkrämer betreiben und nicht investigativ, einmischend, mit Haltung betreiben) die Hartz IV Empfänger von morgen werden könnten, dass sie, um Steingart sinngemäß zu zitieren, “nicht wissen, ob sie morgen mit ihren Dinnerspeaches auf den Empfängen der Mächtigen Gehör finden, oder sich bei den Tafeln Sättigung verschaffen müssen”, darin steckt die eigentliche Botschaft. Nichts ist sicher. Und deswegen sollte jeder und jede von uns einen Beitrag dazu leisten, ein Stückchen mehr Sicherheit zu schaffen. Durch Mut, durch Engagement, durch Aufbruch. Und vor allem: Indem jeder von uns akzeptiert, dass es keinen Schlafwagen-Zug in die Zukunft gibt. Wir müssen sie selber schaffen. 

Das Buch ist deswegen lesens- und hörenswert, weil es aphoristisch ist, bruchstückhaft; – und deswegen zum Selber Denken auffordert. Und auch zwingt. 

Steingart, das zeichnet ihn und seine wilde Truppe auf dem Media Pioneer-Schiff aus, macht die Leinen los. Es geht nicht darum, der Mehrheit zu gefallen. Es geht darum, den Nukleus zu bilden, den Nukleus derer, die das Schöngerede satt haben und ihren Beitrag liefern wollen. Ihren Beitrag zu einem Gemeinwesen, das das leisten kann, was es behauptet, das filigran ist (besonders gefällt mir, dass er auf Nassim Nicolas Taleb, “Antifragilität verweist), im entstehen, von Unten kommen muss, immer wieder zum Nachdenken, zum Reflektieren zwingt, und immer in der Haltung: Was muss, was kann ich dazu beitragen. 

Es passt dann auch, dass der Spiegel, in Vorbereitung des Verrisses, auch schon eine Spur gelegt hat: Wer zahlt eigentlich in das Media Pioneer Schiff ein? Dann wird die alte Lobbyistenmasche rausgeholt und der kostenlose RWE-Strom angeprangert. Gähn! Ich empfehle in diesem Zusammenhang eine alte Schrift aus meiner Feder: Smart Lobbying, das eine ähnliche Spur legt. 

Da können sich dann wieder LobbyControl und all die Weißwäscher, Transparency, die schattenlosen Bundestagsabgeordneten mit parlamentarischen Anfragen und der üblichen Betroffenheitsrhetorik schadlos halten. 

Also: Lesen. Und selber denken. 

Danke, Gabor!

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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