Ja, ist ganz einfach, über Steinbrück herzufallen. Aber es geht nicht nur um die Frage des Kanzergehaltes. Vielmehr geht es darum, warum ein doch veritabel intelligenter Mann sich so hinrichtet. Und hinrichten lässt.
Das Interview in der FAS (http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/peer-steinbrueck-im-gespraech-bundeskanzler-verdient-zu-wenig-12009203.html) spricht ja nicht nur wegen der Einkommensfrage Bände. Die überheblich arrogante Art, in der er Merkel mit einem Frauenbonus bedenkt, weisst vielmehr darauf hin, dass er als weitgehend selbstreferentielles Modell durch die Welt zieht. Hauptsache, er hat sich, siehe Einkommemnsfrage, nichts zu schulde kommen lassen. Was im Übrigen auch niemand behauptet. Aber in seiner Selbstbezogenheit wird er als nationale, überparteiliche Führungsperson scheitern. Schon in der Vorauswahl, weil er eben nicht begreift, wie die Konstellation von Programm und Person als politischer Führungskonstellation zusammenwirken.
Man kann nicht einen „rechten“, nennen wir es besser, pragmatischen Kandidaten mit einem linken, tatsächlich blödsinnig rachsüchtigen Programm zusammenbinden und meinen, damit würde man ein breiteres Spektrum abdecken. Das Gegenteil ist richtig. Der Kandidat reisst „mit dem Arsch“, der hier der Mund ist, bei den Modernisierungsverlierern das wieder ein, was das linke Programm an Schutzzäunen errichten will. Und umgekehrt kann man im Handelsblatt ja fast täglich nachlesen, wie das Programm den Weg Steinbrücks in eine andere Wahrnehmung sozialdemokratischer Führung verbaut. Die SPD zerlegt sich wieder mal selber. Aber diesmal anders, als man es gewohnt ist.
Kanzler werden bedeutet, bei Menschen, Wählerinnen und Wähler Vertrauen in die richtige Führung herzustellen. Sachdebatten, das vergessen viele immer wieder, sind nur die Lunte, die gelegt wird, damit sich die Führungsfigur bei der Entschärfung oder während und nach der Explosion beweisen kann. Entweder die Wählerschaft sieht ihr Bild von der vertrauenswürdigen Person, der in die richtige Richtung führt, bestätigt oder nicht. Politik hat etwas von Big Brother im Real Time Modus.
Sachlich liest sich die derzeitige Aufstellung der Sozialdemokratie so: Die SPD will nach einem Jahrzehnt der neoliberalen Umverteilung jetzt wieder Gerechigkeit herstellen. Und sie hat dazu das gesamte Batallion steuerlicher Abgaben und staatlicher Umverteilung aufgefahren. Ein bißchen mutet das ja wie Ablasshandel an. Hartz IV wird als Menetekel empfunden, dafür wird jetzt umso kräftiger, auch in der Rhetorik, zurück gerudert. Was zur Folge hat, dass man gar nicht mehr auf die Erfolge der rotgrünen Regierung verweisen kann. Glaubwürdigkeit sieht anders aus. Und Angela Merkel kann lächelnd darauf verweisen, was rotgrün alles geschafft hat, weil sie weiss, dass Rote wie Grüne zu oft leugnen, dass sie mit harten Bandagen in Deutschland wieder dafür gesorgt haben, dass der Sozialstaat nur unterstützen, nicht retten kann.
Der Kandidat selbst steht, zumindest im Fall Bochum, für das Modell „Wir nehmen, was wir kriegen können.“ Das finde auch ich, der ich Steinbrück seine Honorare gönne und auch keinen Zweifel habe, dass er den Bankern auch intern das sagt, was man von ihm nachlesen kann, fragwürdig. Wenn er jetzt, bevor er irgend etwas geliefert hat in seiner Rolle als Kandidat, von der Honorierung des Kanzler redet, zeigt es, dass er immer noch nicht gegriffen hat, dass die Konzentration auf eine Gesamtaufstellung das oberste Ziel und das planlose Reden frei nach dem Motto, ich sage immer alles, was ich jemals dachte, zu jeder Zeit und an jedem Ort, da keinen Platz hat.
So ist das größte Problem des Steinbrück Interviews auch nicht alleine das Kanzlereinkommenszitat oder der angebliche Frauenbonus von Merkel. Es ist das Problem, dass sich beim Leser (und der Leserin) kein inneres, kohärentes Bild einer Führungsfigur Steinbrück einstellt, keine Idee davon, was er machen würde, was ihm wichtig ist, was soziale Gerechtigkeit unter den Bedingungen globalisiertes Kapitalismus ist, wie Sicherheit und Gerechtigkeit in unsicheren Zeiten herzustellen sind.