Sind die GRÜNEN immer dagegen?
Liebe Frau Merkel,
Sie meinen, wenn sie die GRÜNEN in die „immer dagegen“ Ecke stellen würden, hätte sie schon gewonnen.
Da irren sie sich. Ja, die GRÜNEN sind oft dagegen. Ja, die GRÜNEN sind immer super kritisch, wenn es um Projekte geht, die ihrer „Small is beautiful“ Perspektive nicht entsprechen. Das ist oft subjektiv, lebensweltlich. Aber niemals prinzipiell, sondern lediglich mit der kollektiven Biographie dieser Partei zu tun. Und wir sollten nicht vergessen: Diese Biographie und der skeptische Blickwinkel entspricht dem Denken vieler Menschen, quer durch alle Bevölkerungsschichten.
Skepsis ist angesagt, wenn bei Großprojekten die, die daran verdienen, große Augen bekommen, Politikern ein hübsches Spielzeug an die Hand geben, das größtenteils andere bezahlen müssen. In diesen Wochen können wir ja verfolgen,wie ein Verkehrsminister Ramsauer noch die mausetote Leiche TRANSRAPID mit den absurdesten Argumenten weiter am Scheinleben halten will. Ja, hier scheint es tatsächlich ein Leben nach dem Tod zu geben.
Ich bin der festen Überzeugung, dass sie mit dieser Attacke Schiffbruch erleiden werden.
Erst einmal, weil die meisten Menschen diesen Eindruck nicht teilen. Tatsächlich sind die GRÜNEN die Vorreiter eines wirklichen Großprojektes, das „Nachhaltiger Umbau unserer Gesellschaft“ lautet. Keiner hat soviel Haltung und Einsatz FÜR ein Projekt, eine Sichtweise eingenommen und einnehmen müssen wie GRÜNE. Verlacht und verspottet wegen mancher Kuriositäten, wegen Eigensinns, für den es nicht immer Sicherheiten, sondern nur die Überzeugung gab, dass man doch dringend an Übermorgen denken müsste, an die Menschen in den anderen, den zweiten oder dritten Welten, an die Tiere, an die Bäume. Und was auch immer. Aber von dieser grundsätzlichen Perspektive haben sie, mit einer ganzen Generation und einer ganzen Kultur innerhalb der Deutschen -und inzwischen auch der Europäer- den Marsch durch die Gesellschaft angetreten. Und das nehmen die Menschen wahr, sie erkennen, dass es den GRÜNEN tatsächlich um eine Haltung geht, Um Werte, auch wenn dieser Wertekanon noch nicht existiert, sondern sich erst im Tun entwickelt.
Das ist etwas anderes als das mühsame Mäandern der CDU/CSU um eine Wertorientierung (der letzte Versuch: Annette Schavan meint, konservativ würde nicht bedeuten, immer am Alten festzuhalten, sondern würde bedeuten, dass Veränderung begründungspflichtig sei.)
Nein, die Grünen stehen für etwas, nämlich für eine Perspektive einer fairen, lebenswerten, menschenwürdigen Perspektive nicht nur für Bayern oder für Schwaben, sondern sehr wohl für unseren ganzen Planeten, sie sind für eine Weltinnenpolitik, nicht nur, weil sie Gutmenschen sind, sondern auch, weil sie wissen, dass es nichts nutzt, nur hohe Zäune rund um Europa zu ziehen. Sondern weil sie wissen, dass es eine Entwicklungsperspektive geben muss auch für Länder außerhalb der Euro- und der Dollarzone.
Kein Zweifel,auch GRÜNE machen Fehler, etwa, wenn sie im Zwang, gegen die „wir sind kein Einwanderungsland“-Behauptung der CDU über Jahre eine naiv-libertäre Grundhaltung an den Tag gelegt haben. Der Satz, jeder soll nach seiner Facon glücklich werden, bedeutet nicht, dass man sich keine Regeln für das Zusammenleben ausdenken muss. Und für deren Einhaltung eintreten muss. Aber, und das haben viele,
die die GRÜNEN mit Interesse beobachten, verstanden, sie lernen aus ihren Fehlern, sie korrigieren ihre Haltung, ohne ihr Ziel, den Planeten überlebensfähig zu machen, aus dem Auge zu verlieren. Das macht sie weiterhin wichtig.
Ja, wenn die GRÜNEN jetzt möglicherweise in einer baden-württembergischen Landesregierung den Ton angeben werden, werden sie wieder dazu lernen müssen. Weil es dann Dinge geben wird, die man und frau durchsetzen will und muss. Und weil man die Hürden für die Einbeziehung von Menschen ganz schön hoch gelegt hat. Aber so wie sich Geschichte nicht einfach wiederholt, muss man sich vor Augen halten, dass Politik nicht immer in denselben Bahnen verläuft. Die Achsen der Gesellschaft verschieben sich. Und wenn die offizielle politische Kultur einmal zur Kenntnis nehmen darf, dass wir eine Gesellschaft in der Veränderung sind und es nicht darum gehen kann, die Sicherheiten des Nachkriegsdeutschlands wieder herzustellen, wenn die politischen und wirtschaftlichen Eliten zeigen, dass sie nicht nur über die Risiken Dritter reden, sondern auch bereit sind, selbst Risiken auf sich zu nehmen, kann das zu einer sehr viel ernsthafteren,einer partizipativen Kultur führen. Und damit wäre dann allen gedient.
Deshalb, liebe Frau Merkel, brauchen Sie die GRÜNEN, die für das Grosse, Ganze sind, sehr wohl. Schon weil sie dann einen Gegenpart haben, der sie dazu bringt, die völlige Beliebigkeit, die im Kanzlerwahlverein CDU mit Ihrer freundlichen Unterstützung herrscht, in eine Richtung zu bewegen. Ich wünsche mir, dass sie, wie schon bisher so oft, weiter bei den GRÜNEN kopieren und hemmungslos klauen anstatt dem Kollegen Seehofer auf seinem Weg zurück in die sechzigerjahr Idylle zu folgen.
Das wünscht Ihnen
Nikolaus Huss