So ist die Lage. Handelsblatt über Merkels Sommermärchen

Traurig, aber wahr. Außer Augenmaß in der Eurokrise hat diese Regierung nichts bewegt. und noch trauriger und wahrer: So wie die Opposition sich darstellt, würde sie das Gänze nur noch schlimmer machen. Eine neue Variante von Alternativlosigkeit. Bestens beschrieben im Handelsblatt.

Merkels Sommermärchen

Die Kanzlerin ist auf der Höhe ihrer Macht, doch bleibt vieles liegen. Sie droht dem Irrtum zu unterliegen: Es läuft doch gut, also ändern wir auch nichts. Doch genau das Gegenteil wäre angebracht.

Thomas Sigmund | Donnerstag, 18. Juli 2013, 19:46 Uhr

Bevor sich die Bundeskanzlerin heute in die politische Sommerpause verabschiedet, stellt sie sich wie jedes Jahr noch einmal den Fragen der Hauptstadtpresse. Dabei braucht Angela Merkel keinen Weichzeichner, um die wirtschaftliche Lage Deutschlands im guten Licht darzustellen. Die Arbeitslosenzahl liegt unter der kritischen Marke von drei Millionen, die Beschäftigung befindet sich auf dem Rekordniveau von fast 42 Millionen.

Der Bundeshaushalt könnte dank sprudelnder Steuereinnahmen bald ohne neue Schulden aufkommen. Alles Erfolgsmeldungen in Zeiten der Euro-Krise. Aus dem einstigen kranken Mann Europas ist in den letzten zehn Jahren ein wirtschaftliches Powerhouse geworden, auf das andere Länder mit Bewunderung und vielfach mit Neid schauen.

Die Erfolgsstory geht in der Europapolitik weiter. Merkel hat sich mit dem Management der Euro-Krise Respekt nicht nur in Deutschland, sondern weit über die Grenzen hinaus erarbeitet. Die Mehrheit der Deutschen glaubt noch fest daran, dass sie das Geld der Steuerzahler zusammenhält – mit ihrem Kurs der „kleinen Schritte“ und gegen überstürzte gewaltige Geldtransfers. Es scheint so, als liebe Merkel den Krisenmodus, in dem sie Tag für Tag auf Sicht fahren kann.

Und was macht der politische Gegner so kurz vor der Bundestagswahl? Der beschäftigt sich vor allem mit sich selbst. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück findet keinen Hebel, um seinen gewaltigen Rückstand in der Wählergunst auf die Kanzlerin aufzuholen. Die US-Spähaffäre treibt die Bürger um, doch an Merkel bleibt ihr zögerlicher Umgang mit den USA noch nicht kleben. Keine Umfrage lässt den Wunsch nach einem Wechsel vom Merkel weg hin zu Steinbrück erkennen.

Auf den ersten Blick also alles in bester Ordnung, aus Merkels Sicht. Doch der Blick zurück sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das deutsche Sommermärchen im Herbst ein Ende finden kann. Die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt ist nicht vom Himmel gefallen. Viele haben dazu in den letzten Jahren beigetragen. Die Tarifpartner zeigten Vernunft, Unternehmen erfanden sich neu, und Rot-Grün verabschiedete die Agenda 2010.

Unter Merkels Führung liegen die letzten großen wirtschafts- und finanzpolitischen Weichenstellungen dagegen lange zurück. Schwarz-Rot beschloss 2007 die Rente mit 67. Im Jahr 2009 einigten sich Union und SPD auf die Schuldenbremse. Seitdem ist so gut wie nichts geschehen, um die Sozialsysteme wetterfest zu machen und auf den demografischen Wandel vorzubereiten. Merkel droht dem Irrtum zu unterliegen: Es läuft doch gut, also ändern wir auch nichts. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Doch diese Erkenntnis in die Praxis umzusetzen ist für die Kanzlerin ein riskantes Unterfangen, an das sie sich nicht heranwagt. Zum einen liegt das paradoxerweise an der guten wirtschaftlichen Lage. Reformen und nötige Anpassungsprozesse sind den meisten Bürgern nur in wirtschaftlich schweren Zeiten zu vermitteln. Wer satt und zufrieden ist, bewegt sich nicht. Zum anderen liegt es auch am Naturell Merkels. Ihren letzten großen Reformvorstoß wagte sie 2005 auf dem Parteitag in Leipzig. Bei der Bundestagswahl wäre sie deshalb beinahe nicht Kanzlerin geworden. Diese Lehre hat Merkel verinnerlicht. Während sie auf internationaler Ebene auf dem Höhepunkt ihrer Macht ist, haftet ihr innenpolitisch der Makel des Zauderns an.

Doch was passiert, wenn sich der Wähler doch noch fragt, was die Kanzlerin in der nächsten Legislaturperiode mit dem Land vorhat? Den Euro retten. Das ist entscheidend. Aber dann? Das Wahlprogramm der CDU-Vorsitzenden ist 120 Seiten stark, doch viel Substanzielles findet sich nicht darin. Mehr Geld für Kinder, Familien und die Infrastruktur. Sogar Merkels eigene Leute witzeln: Das alles ist nicht finanzierbar und wird nach der Wahl wieder in der Schublade verschwinden. Für die Leistungsträger findet sich übrigens gar nichts darin, außer dem Lippenbekenntnis zum Abbau der kalten Progression. Das ist für die Partei von Ludwig Erhard etwas wenig.

Dabei gäbe es viel zu tun. Bei der Energiewende drohen wirtschaftliche Verwerfungen. Die Kanzlerin hatte das Projekt einst zur Chefsache gemacht, davon ist nicht mehr viel zu hören. Die Industrie droht bereits mit der Stilllegung von Kraftwerken, die EU-Kommission wird wohl ein Beihilfeverfahren gegen die Ausnahmen für energieintensive Unternehmen einleiten. Trifft beides ein, treibt dies den Strompreis weiter in die Höhe, für Bürger und Unternehmen.

Zupacken müsste die Kanzlerin auch bei der Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme. Eine fatale Entscheidung wäre die von ihr geplante Angleichung der Mütterrente, die das ohnehin reformbedürftige Rentensystem weiter zerklüftet. Angesichts von immer weniger Kindern stünde auch eine Debatte über ein höheres Renteneintrittsalter an. Nur die Kanzlerin wird sie wohl nicht führen.

Bleibt am Schluss noch die Euro-Krise. Deutschland kann sich heute noch darüber freuen, dass es über die niedrigen Zinsen am Schuldenproblem der Südländer verdient. In ein paar Monaten können sich die Risiken durch Garantien und Kredite aber auch in eine gewaltige Last für das Land verwandeln. Bleibt immerhin der Trost: Hier kann die Kanzlerin wieder auf Sicht fahren.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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