Taurig und wahr: So viel Unfreiheit im Land der Freiheit.

Süddeutsche Zeitung, Aussenpolitik, 13.08.2013

USA

Weltmacht im Wegsperren
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Von Hubert Wetzel

München – Die US-Regierung will die Zahl der Menschen verringern, die wegen
Drogendelikten in Haft sitzen. Ziel ist zum einen, die enormen Kosten für die
Unterbringung der Häftlinge zu senken. Zugleich soll aber auch die
Ungerechtigkeit verringert werden, die im amerikanischen Strafvollzug herrscht:
Unter den Gefängnisinsassen sind überproportional viele Arme und Angehörige von
Minderheiten. „Zu viele Amerikaner sitzen für zu lange Zeit in zu vielen
Gefängnissen, ohne dass es einen guten strafrechtlichen Grund dafür gibt“,
sagte US-Justizminister Eric Holder in einer Rede bei einer Anwaltsvereinigung
am Montag, in der er die geplanten Änderungen im Strafprozess erläuterte.

In den USA sind weit mehr Menschen in Haft als in anderen Industriestaaten.
Schätzungen zufolge sitzt jeder vierte Gefängnisinsasse auf der Welt in einer
amerikanischen Haftanstalt – obwohl in den Vereinigten Staaten nur fünf Prozent
der Weltbevölkerung leben. Ein Grund dafür ist, dass es in den USA Gesetze
gibt, die für bestimmte Straftaten sehr harte Mindesthaftstrafen vorschreiben.
Das ist vor allem bei Drogendelikten der Fall. So wird zum Beispiel ein
Drogendealer automatisch sehr viel härter bestraft, wenn er bei einem Verkauf
eine Waffe bei sich getragen, wenn er in der Nähe einer Schule gedealt oder
wenn er an minderjährige Kunden verkauft hat. Auch bestimmte Mengen an Drogen,
die ein Angeklagter in seinem Besitz gehabt hat, können zu einer solchen
drastischen Mindesthaftstrafe führen.

An diesem Punkt will Holder ansetzen: Künftig sollen Staatsanwälte in
Anklageschriften nicht mehr aufführen, um welche Menge Drogen es geht. Auf
diese Weise könnten die gesetzlichen Mindeststrafen vermieden werden. Diese
seien „kontraproduktiv“, hieß es in Auszügen einer Rede, die Holder am Montag
vor der US-Anwaltsvereinigung halten wollte. Der „Teufelskreis aus Armut,
Kriminalität und Inhaftierung“ sei für viele US-Bürger verheerend und schwäche
zu viele Gemeinden. LautNew York Times könnte der Schritt für einen Dealer
enorme Folgen haben: Wird er zum Beispiel mit mehr als fünf Kilogramm Kokain
erwischt, sieht das Gesetz eine Mindeststrafe von zehn Jahren Haft vor. Richter
und Geschworene können keinerlei Einfluss auf das Strafmaß nehmen. Wird in der
Anklage jedoch die Menge des Kokains nicht erwähnt, dann kann – sofern der
Richter mildernde Umstände sieht – die Strafe auch weniger als zehn Jahre Haft
betragen. Allerdings will Holder längst nicht alle Drogenkriminellen vor harten
Strafen bewahren. Ausgenommen sind Straftäter, die gewalttätig waren,
geschossen haben oder Drogen an Kinder verkauft haben; Anführer und Mitglieder
von kriminellen Banden, Gangs und Drogenkartellen dürfen nicht auf Gnade
hoffen, ebenso wenig Gewohnheitsverbrecher.

Auf diese Weise hofft Holder, die Gefängnisse entlasten zu können. Allein in
den Gefängnissen, die der Bundesregierung unterstehen, ist die Zahl der
Häftlinge in den vergangenen 30 Jahren um 800 Prozent gestiegen, derzeit sitzen
dort etwa 220 000 Menschen ein. Die Masse an Drogen- und anderen Kriminellen
ist allerdings in den Gefängnissen der Bundesstaaten oder Kommunen inhaftiert.
Holder zufolge geben die USA jedes Jahr 80 Milliarden Dollar für ihre
Gefängnisse aus. Bundesstaaten mit Haushaltsproblemen wie etwa Kalifornien
entlassen daher von Zeit zu Zeit Häftlinge in großer Zahl, weil sie die
Unterbringung nicht bezahlen können. „Obwohl die Haft in unserem Justizwesen
eine Rolle spielen muss, ist das massenhafte Einsperren von Menschen weder
effektiv noch durchzuhalten“, sagte Holder.

In den USA ist die Kriminalitätsrate in den vergangenen 20 Jahren deutlich
gesunken. Fachleute haben dafür verschiedenste Erklärungen – von besseren
wirtschaftlichen Bedingungen bis zur geringeren Belastung des Trinkwassers mit
Blei. Doch auch die harten Strafen werden als möglicher Grund genannt, warum
die Kriminalität nachgelassen hat.

Hubert Wetzel
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Hubert Wetzel, geboren 1971, begann seine Arbeit als Journalist bei der
Süddeutschen Zeitung. Nach dem Studium der Politikwissenschaft in Berlin wurde
er 1998 Volontär bei der SZ. Anfang 2000 wechselte Wetzel zur damals neu
gegründetenFinancial Times Deutschland. Zunächst arbeitete er als
Auslandsredakteur im Berliner Büro der Wirtschaftszeitung, 2003 wurde er
politischer USA-Korrespondent mit Sitz in Washington. Nach knapp drei Jahren
in den USA kehrte Wetzel ins Berliner FTD-Büro zurück und berichtete über
deutsche Außenpolitik. Anfang 2009 folgte er dann dem Angebot, zur SZ
zurückzukehren. Dort verantwortete er zunächst in der Außenpolitik-Redaktion
als Chef vom Dienst die tägliche Auslandsberichterstattung. Seit Frühjahr 2012
ist Hubert Wetzel stellvertretender Ressortleiter der Außenpolitik.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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