Tertium Datur. Gegen die demoskopische Alternativlosigkeit

Manfred Güllner hat sicher die demoskopischen Daten auf seiner Seite, wenn er im Handelsblatt vom 13.3.2012 diagnostiziert, die Mehrheit der Deutschen wünsche eine große Koalition. Sie tut das allerdings nicht, weil sie den Konsens mag, sondern die scheinbar konzeptionellen Diskussionen zwischen den Parteien längst nicht mehr nachvollziehen kann. Und sie tut dies nicht alternativlos. Wenn eine vertrauensvolle Alternative besteht, sind viele Menschen imstande, sich zu entscheiden. Ein Blick hinter die Denkkulissen.
Der Sieg Winfried Kretschmanns war nicht vorhersehbar. Stuttgart 21, Fukushima waren zwei Sonderfaktoren, die nicht wiederholbar sind. Und trotzdem zeigt das Stuttgarter Wahlergebnis, das sich derzeit zum ersten Mal jährt, dass die Menschen sehr wohl bereit sind, aus ihrem gewohnten Verhalten auszubrechen.

Dann, wenn Vertrauen da ist, dass sich etwas ändert. Winfried Kretschmann konnte dieses Vertrauen ansprechen, nicht weil er die richtige Wahlkampfstrategie hatte, sondern weil die Partei es zugelassen und unterstützt hat, dass er sein Profil sichtbar machen konnte. Die Frage des Spitzenkandidaten hat sich, das verkennen viele Kommentatoren, gar nicht gestellt, Winfried Kretschmann hatte ein Kompetenzteam an seiner Seite, das allerdings wahrgenommen hat, welche Rolle es in der Öffentlichkeit spielte. Nämlich keine. Diese Realitätsfähigkeit war es, die auch zum Sieg beigetragen hat.

Warum sind die Grünen eigentlich so lernunfähig? Die Frage einer Spitzenkanditur ist keine Frage einer Spitzenkandidatur. Es ist die Frage des Triumquadrats, dessen gute, moderierende Zeiten nun zu Ende gehen (Man sollte nicht übersehen, dass das Triumquadrat die Post-Joschka-Phase zähneknirschend, aber erfolgreich gemanagt hat). Es geht um den Führungsanspruch Jürgen Trittins, an dessen Autorität flügelübergreifend nicht gezweifelt wird, er hat die Kompetenz, er hat das strategische KnowHow und er selbst weiß am besten über die Grenzen seines Volkstribunenseins Bescheid.

Wenn die alten Machteilhaber jetzt reklamieren, dass sie auch dran sind, lautet die Antwort: Jeder muss es sich verdienen. Die Antwort auf die Frage der Kandidatur ist eine weitere Frage: Was erwarten die Bürgerinnen und Bürger von den Grünen? Ein Team, das sie für fähig halten, die neue Phase der Verantwortung, vor die Grüne auch stehen, zu meistern. Also: Es geht nich um die Eitelkeit der Altvorderen, nicht um eine Renate Künast, der das Berlin Abenteuer aus guten Gründen nachhängt, nicht um eine Claudia Roth, deren Verdienste um die Partei bekannt sind, aber die als Signal nach Draußen ein Achtundsechziger Retro ist. Nein, die Grünen brauchen ein Team, das vorantwortliches Handeln und intergenerative Kompetenz umfasst. Sie sind keine Ein Generationen Partei, sie haben Strategen, Vordenker, brauchen aber auch Menschen, die den Kurs der Eigenständigkeit in legislativer Verantwortung glaubwürdig und kompetent umsetzen könnten. Deutschland kann nur dann den Nachhaltigkeitspfad einschlagen, wenn die Zuversicht, diese Herausforderung zu bewältigen, von einer breiten, ideologifrontenübergreifenden Mehrheit getragen werden. Und hier komme ich zu Manfred Güllner zurück.

Wenn es den Grünen gelingt, diese Zuversicht auf Zukunft anzusprechen und mit einer kompetenten, eigenständigen Mann- und Frauschaft zu visualisieren, ja, dann lässt sich auch das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen überlagern. Die Deutschen wollen einerseits Sicherheit. Aber andererseits wollen sie auch das, was notwendig ist, angehen. Es braucht dazu nur jemanden oder ein Team, das Mut macht und vorangeht.

Ein solches Team wird, das haben die meisten schon längst erkannt, bei dieser Wahl wahrscheinlich keine CDU sein, weil die im hilflosen Hin und her ja nicht mehr weiss, was Verantwortung, was konservativ heißt und was Werte sind. Aber es gibt keinen Grund, sich an eine SPD zu binden. Regieren heißt, etwas bewegen. Und wie viel die Grünen bewegen können, hängt damit zusammen, wie ernsthaft sie sich damit beschäftigten, dass sie nicht als Interpreten, sondern als Gestalter wahrgenommen werden. Die Herausforderung heißt, sich vom Gesinnungs- zum Verantwortungspolitiker zu entwickeln und zwar ohne das ganze Klein-Klein der Altparteien.

Wenn die Bürgerinnen und Bürger dem Führungsteam diese Rolle nicht zutrauen, wird der Verfall des grünen Share of Voice weiter gehen. Manfred Güllner wird wieder Recht bekommen. Und Deutschland wartet weiter darauf, wann jemand auf Bundesebene vorangeht und Führung signalisiert. Es gibt einen zweiten Weg. Aber nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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