Ob die große Transformation jetzt stattfindet, und wie, und warum, weiß man noch nicht. Trotzdem war es eine ganz interessante, von Mariam Lau zurückhaltende Diskussion.
Gerhard Schick kann seine Thesen gut zusammenfassen. Sie lauten:
1) die Finanzmärkte sind uns in Größe, Komplexität und Geschwindigkeit über den Kopf gewachsen. Und aus Angst, dass etwas schieflaufen kann, agiert die Politik um kleinstem Niveau.
2) Eine neue Form der Netzwerkanalyse hat gezeigt, die 147 größten Unternehmen sind über Kapital- und personelle Netzwerke eng verflochten, sie kontrollieren 40 Prozent der Weltwirtschaft.
3) Die Machtbalance zwischen Unternehmen und Kunden ist aus dem Ruder gelaufen, deswegen kommen Kundeninteressen zu kurz.
4) Der Staat, auch das ganz sympathisch, ist Teil des Problems, nicht die Lösung. Die SWAPs, die Landesbanken, es gibt eine Reihe guter Gründe, im Staat nicht die Rettung zu sehen. Zu oft, führt er aus, gibt es einen engen Schulterschluss zwischen den Interessen von Großunternehmen und der Politik. Das Problem ist als Lobbyismus landläufig bekannt, wenngleich etwas zu schematisch beschrieben: Es geht nicht um den Kontakt und Austausch zwischen Unternehmen und Wirtschaft, es geht darum, dass Großunternehmen, politisch gut aufgestellt, die politischen Lösungen schon präsentieren können, wenn die Probleme aufpoppen, die sie selbst mit verursacht haben.
Soweit können wohl die allermeisten zustimmen.
Aber was tun?
Schick sieht vier Ansatzpunkte:
Die Wirtschaft neu aufstellen
Die Einsetzung eines Europäisches Kartellamt
Den Abschied vom Wachstumdogma. Zumal ein großer Teil des Wachstums der vergangenen Jahre Scheinwachstum war.
Mut macht sich Schick mit Verweis auf das „progressive movement“ in den USA. Nach der Wende ins 20. Jahrhundert hat die amerikanische Zivilgesellschaft einige Änderungen in der Grundstatik der Gesellschaft durchsetzen können, Anti-Trust-Gesetze und die Direktwahl der Senatoren waren die zwei genannten.
Und jetzt?
Die beiden Mitdiskutanten, die ehrenwerte Sozialdemokratin Gesine Schwan und auch der konservative Müller-Vogg konnten wenig entgegensetzen. Immerhin: Schuldzuweisungen unterblieben, Schwan suchte sich, mit der Formulierung „Gute Analyse, aber die Schlussfolgerungen könne sie nicht alle teilen“ aus der Affäre zu ziehen. Dabei blieb nur hängen, dass für sie die repräsentative Demokratie wichtig ist, direkte Demokratie hält sie nicht für die Lösung. Hatte Schick aber auch nicht gesagt.
Auch Müller-Vogg steuerte einige durchaus selbstreflektive Sätze bei, blieb aber weitgehend in der Rolle des konservativen Stichwortgebers.
Kurz: Die Diskussion plätscherte so dahin. Wirkliche Gegensätze gab es nicht, was fehlte, war der zündende Funke, was zu tun sei.
So ist es immer. Ich behaupte: Die wissenschaftlich verbildete Gesellschaft, die gelernt hat, in strengen Ursache-Wirkungs-Mechanismen zu denken, stößt an ihre Wahrnehmungsgrenze. Weil das menschliche Hirn, wenn es erst einmal gelernt hat, singuläre Ursache-Wirkungen in den Mittelpunkt zu stellen, zur Resignation führt. Keine der Ursachen ist DIE Ursache. Wenn wir uns von diesem Weltbild verabschieden (Was wir latent und unrefektiert schon tun), können wir das auch anders formulieren. Dann heißt es einfach, dass irgendwann die Stimmung kippt. Es gibt Situationen, in denen sich das Machtgefüge auf einen Schlag verschieben lässt. Weil verschiedene Faktoren zusammenwirken und, Marxisten würden vom Umschlag von Quantität in Qualität sprechen, Chaostheoretiker sprechen vom Flügelschlag, der den Sturm auslöst, sich mit einem Schlag Kräfte freisetzen, die vorher latent vorhanden war, aber sozusagen im Schläfermodus. Wenn Entscheider in Politik und Wirtschaft die Probleme ernst nehmen und echte Lösungen anpacken, können sie die Situation wieder entschärfen. Wenn sie es nicht tun, gibt es populistische (im besseren Falle) oder andere Schübe in der Gesellschaft.
Das Problem: Keine der Parteien kann darauf ein strategisches Kalkül aufbauen. So ist das in offenen, komplexen Systemen. Historische Chancen kommen nicht jeden Tag, aber wenn sie kommen, muss man wissen, was zu tun ist.
Deswegen sind Bücher, wie das von Gerhard Schick, schon ein Beitrag.
Deswegen ist eine Partei wie die Grünen, die den Widerspruch zu sich selbst ertragen und kultivieren kann, eine ganz gute Partei.
Mehr denn je komme ich zu der Überzeugung, dass wir deshalb so gefangen sind, weil wir in unserer Vorstellungswelt gefangen sind. Und natürlich niemand von uns in seinem persönlichen Lebensumfeld große Veränderungen möchte.
Manchmal habe ich den Eindruck, das polyzentrische Weltbild mancher asiatischer Länder ist viel besser für unsere globale und offene Gesellschaft geeignet. Die absurde westliche Vorstellung von Modellen, zum Beispiel der „demokratischen Gesellschaft“, die wir als Allheilmittel allen Ländern verkaufen, ist eine davon. Zu ihrem Funktionieren müssen eine ganze Reihe von Voraussetzungen gegeben sein. Sonst sind die sozialen und „Gleichheitseffekte“ nicht unbedingt besser als unter anderen Regimen. Was wir also brauchen, ist die Fähigkeit, differenzierter wahrzunehmen und umgekehrt, zu verstehen, „dass es die Welt nicht gibt“, wie es der Philosoph Markus Gabriel so schön formuliert hat.
Zeit, unser Weltbild zu ändern. Damit wir, wenn es so weit ist, auch die Welt ändern können.