Diejenigen, die vor der Macht Chinas zittern, sollten wissen. Nicht nur der Westen hat schlecht organisierte Prozesse, gerade im Aufschwungland China gibt es eine Story hinter der Story. Dass der Boom auch gezockt ist. Und dass die Boomphase irgendwann auch ein Ende geht. Das hat nicht nur eine freundliche Seite. Denn wenn China hustet, kriegt die Weltkonjunktur Erkältung.
Die Finanzblase, lesen wir in der Südddeutschen gibt es also auch in einer chinesischen Variante:
Ein interessanter Artikel aus der iPad-App der Süddeutschen Zeitung:
Wirtschaft, 07.08.2013
Mittwochsporträt
Geschichten aus der Schattenwelt
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Von Christoph Giesen
Hongkong – Es ist Punkt 8.30 Uhr, Joe Zhang, 50, hat schon eine Weile in der
Hotelbar des Landmark im Hongkonger Finanzdistrikt gesessen. In der Kaffeetasse
ist nur noch der Milchschaum zu sehen,Wall Street Journal und Financial Times
liegen gelesen auf dem Tisch. Zhang trägt ein weißes Hemd, eine orangefarbene
Krawatte, das Jackett hat er ausgezogen.
Bis vor zwei Jahren war Joe Zhang einer der wichtigsten Banker der Stadt. Er
leitete das China-Geschäft der Schweizer Großbank UBS. Doch dann kündigte er im
Juni 2011 überraschend seinen gut dotierten Job und tauchte ab in jenen Teil
der chinesischen Finanzwelt, für den sich im Ausland lange niemand
interessierte: in die obskure Welt der Schattenbanken; in die Welt jener vielen
Tausend Unternehmen, die in China Kredite vergeben, obwohl sie keine
offiziellen Banken sind.
Die Schattenbanken entziehen sich der staatlichen Aufsicht und sitzen meist
fernab der Finanzzentren. Statt in den klimatisierten Hongkonger Büroturm
direkt am Pier der Star Ferry, die jeden Tag Tausende Touristen nach Kowloon
übersetzt, zog Zhang in einen stickigen Zweckbau in einer Vorstadt der
südchinesischen Metropole Guangzhou. Er heuerte bei einem Mikrofinanzinstitut
an, aus dem Investmentbanker war ein Schattenbanker geworden. „Ich hatte eine
Midlife-Crisis“, sagt Zhang und streut Zucker in seinen zweiten Cappuccino.
„Ich wollte etwas Sinnvolles tun. Und dass Mikrofinanzen etwas Sinnvolles sind,
weiß man ja, seit Muhammad Yunus den Nobelpreis bekommen hat.“ Er grinst. „Im
Unterschied zu Yunus wollte ich aber jede Menge Geld verdienen.“
Der Nobelpreisträger und Chinas Schattenbanken: Es ist ein kühner Vergleich.
Yunus gilt als Heilsbringer, weil er in Bangladesch an die Ärmsten der Armen
Kredite vergibt. Die Schattenbanken dagegen gelten als Unglücksbringer, seit
sie über alle Maßen Geld verliehen haben. Im Juni hat deshalb die Zentralbank
in Peking durchgegriffen und versucht, den Geldhahn ein wenig zuzudrehen. Doch
so richtig geklappt hat das nicht, die Börse stürzte, und Anleger in der ganzen
Welt fragten sich, ob Chinas Wirtschaftsboom zu Ende geht.
Wohl kaum jemand kennt sich in diesem Schattenreich aus halb legalen, halb
illegalen Geldverleihern so gut aus wie Zhang. Im Mai hat er ein Buch über das
System veröffentlicht, mit dem Titel „Inside China’s Shadow Banking“. Es ist
das Buch zur Krise, Zhang hat es nicht auf dem Computer geschrieben, sondern
binnen zehn Tagen auf seinem Blackberry.
Es enthält Geschichten wie jene über den Geschäftsmann Deng Jinyong. „Sein
wahrer Name ist ein anderer“, erzählt Zhang, „aber der Rest, der stimmt.“ Deng
ist ein alter Haudegen und hat schon in Ägypten und in Kalifornien gearbeitet,
nun will er mit Krediten Geld verdienen. Als Assistentin hat er die bezaubernd
aussehende Tochter eines Provinzkaders angeheuert. Wie genau das Geschäft
funktioniert, weiß Deng nicht. „Ich bin aber gut darin, mit den großen Jungs
rumzuhängen, mit ihnen zu trinken, zu golfen und sie zu schmieren“, sagt er.
Dengs Plan ist simpel: Über kurzfristige, verzinste Wertpapiere will er bei
Sparern in China viel Geld einsammeln. Mit dem Kapital sollen dann
halbstaatliche Projekte unterstützt werden. Vorher will er mit den Chefs der
Kommunen eine Rückkaufklausel aushandeln. Funktioniert das Projekt, bekommt er
über 20 Prozent; platzt der Deal, springt die Kommune ein, und es fließen immer
noch 13 Prozent zurück. „Ich gebe dir 20 Prozent der Firmenanteile“, verspricht
er Zhang. „Ich behalte 50, denn ich habe schon 40 Millionen Yuan für Bürokosten
und Geschenke für die relevanten Leute ausgegeben.“ Zhang sagt ab, er ist nicht
korrupt; die meisten Wirtschaftslenker in China sind es leider doch.
Der Banker Zhang, der zum Schattenbanker wurde, hat es aus einfachen
Verhältnissen nach oben geschafft. 1963 wurde er wenige Jahre vor dem Ausbruch
der Kulturrevolution in einem kleinen Dorf in der Provinz Hubei geboren. Seine
Eltern gaben ihm den Namen Zhang Huaqiao. Joe nannte er sich später selbst. Als
Achtjähriger erlebte er mit, wie sein Großvater von den Roten Garden gedemütigt
wurde, er war mal ein reicher Bauer gewesen.
1979, im Jahr der wirtschaftlichen Öffnung Chinas, machte Zhang seinen
Abschluss an der Dorfschule. Er war der einzige Absolvent, der studieren
durfte. Er studierte bis 1983 in der Provinzhauptstadt in Wuhan. Danach wurde
er in die Master-Klasse der chinesischen Zentralbank aufgenommen. Wer Anfang
der Achtzigerjahre in China Banker werden wollte, musste diesen Kurs
absolvieren. 1985 nahm ihn schließlich die Kommunistische Partei auf – eine
große Ehre. Sein Vater schickte ihm daraufhin 110 Yuan, die gesamten
Ersparnisse der Familie, und ein Telegramm: „Kauf dir ein Fahrrad!“
Von 1986 bis 1989 arbeitete Zhang dann für die Zentralbank in Peking, bevor
er Anfang der Neunzigerjahre mit einem Stipendium nach Australien geschickt
wurde, eigentlich sollte das Studium nur wenige Monate dauern. Zhang blieb über
fünf Jahre. Die regelmäßigen Sitzungen der Kommunistischen Partei in der
chinesischen Botschaft in Canberra schwänzte er. Zurück aus Australien heuerte
er als Analyst im Investmentbanking in Hongkong an.
„Jetzt, nachdem ich das Buch geschrieben habe, geht es mir wieder besser.
Meine Midlife-Crisis ist vorüber. Dafür steckt Chinas Finanzsystem nun in einer
gewaltigen Krise, und die wird wohl Jahre andauern“, sagt Zhang. Seit 2008 ist
die Schuldenquote von etwa 100 Prozent der Wirtschaftsleistung auf mehr als 200
Prozent gestiegen. Um Massenarbeitslosigkeit zu verhindern, investierte der
Staat. Neue U-Bahn-Tunnel wurden gebohrt, Hochhäuser errichtet, Tausende
Kilometer Schienen für das Hochgeschwindigkeitsnetz verlegt – das Geld dafür
kam auf Pump.
Auf dem Papier ist das chinesische Bankensystem recht einfach strukturiert:
Es gibt vier große Staatsbanken und einige kleinere Institute, allen geht es
seit Jahren prächtig, denn der Staat legt die Höhe der Zinsen fest. Viele
Chinesen aber investieren ihr Geld lieber woanders. Sie spekulieren mit
Kunstwerken, zocken am Aktienmarkt oder kaufen Immobilien.
Seit wenigen Jahren stecken viele Chinesen ihr Geld zudem in kurzlaufende
Anleihen, die von Pfandleihern, aber auch Hedgefonds am grauen Kapitalmarkt
angeboten werden. Die Papiere bringen fünf, manchmal sogar sechs Prozent,
Chinas Mittelstand finanziert sich damit, er ist darauf angewiesen. Das billige
Geld, das die Staatsbanken bei ihren Kunden einsammeln, vergeben sie am
liebsten an staatseigene Konzerne. Darlehen an kleinere Unternehmen sind den
Banken zu risikoreich. Die Konsequenz: Die Schattenbankgeschäfte finden
außerhalb der Bücher statt, wie viele Kredite faul sind, weiß niemand.
Das Problem fängt schon damit an, dass man nicht genau weiß, wie viel Geld
die Schattenbanken überhaupt verliehen haben. Sind es elf Billionen Yuan, etwa
20 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsproduktes, wie die UBS vermutet? Oder
mehr? Auch Zhang weiß es nicht genau. „Die Rating Agentur Standard & Poor’s
geht von 20 Billionen Yuan aus, das halte ich für plausibel“, sagt er und
fischt einen gefalteten Zettel und einen schweren Kugelschreiber aus der
Hemdtasche. Er zeichnet eine Ellipse auf. „Das ist der gesamte Markt, die 20
Billionen“, sagt er und zieht mehrere Linien durch das Oval. „Hier, dieser
kleine Teil, nicht mal eine Billion, das waren wir.“
Er meint sein Mikrofinanzinstitut und die anderen wenigen regulierten
Anbieter.
Im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten im Schatten arbeitete Zhangs Firma
vollkommen legal. Seit 2008 dürfen einige Mikrofinanzinstitute ganz offiziell
Risikokredite vergeben und dafür bis zu 24 Prozent Zinsen verlangen. Doch nur
wenige Institute haben eine solche Lizenz.
Für den großen Rest, die Pfandleiher und kleinen Schattenbanken, die die
vielen anderen Billionen umsetzten, gilt eine einzige Regel: Sie dürfen sich
höchstens durch 50 unterschiedliche Geldgeber refinanzieren. Überprüft wird das
aber meistens nur, wenn etwas schiefgegangen ist wie bei der Zinsenfrau Wu Ying
aus der Provinz Zhejiang. Einige ihrer Kunden konnten ihre Kredite nicht mehr
bedienen, sie ging pleite. Weil die Zinsenfrau aber mehr als 50 verschiedene
Geldgeber hatte, wurde sie zum Tode verurteilt. Der Oberste Volksgerichtshof in
Peking setzte die Strafe 2012 schließlich zur Bewährung aus.
Wie aber geht es weiter mit diesem seltsamen Finanzsystem? Bricht Chinas
Schuldengebilde irgendwann zusammen?
Zwei Szenarien hat Zhang in seinem Buch entwickelt. Das gute: Die
Zentralbank handelt und erhöht die Zinsen der Anleger. Die Dominanz der
Schattenbanken geht zurück, die mittelständischen Unternehmer bekommen von den
Banken endlich Kredite. Der Konsum zieht spürbar an, und die Blase am
Wohnungsmarkt kann vielleicht noch rechtzeitig abschwellen.
Das schlechte Szenario: Wenn die Notenbank nicht reagiert, schreibt Zhang,
kommt es über kurz oder lang zur Krise. Entweder brechen soziale Unruhen aus,
die Immobilienblase platzt, oder aber China stürzt in eine Rezession.
„Als ich das Buch verfasst habe, ist gerade Margaret Thatcher gestorben. Und
da ist mir klar geworden: Genau eine wie sie braucht China jetzt; jemanden, der
eine Vision hat.“ Einen solchen Reformer – den gibt es in China wohl nicht.
Auch deshalb ist Joe Zhang nach nur einem Jahr aus dem Geschäft der
Schattenbanken wieder ausgestiegen, in ein paar Wochen zieht er mit seiner
Familie nach England. Für seine beiden Kinder hat er Internate gefunden. Im
Land von Margaret Thatcher.
Christoph Giesen
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Christoph Giesen arbeitet im Wirtschaftsressort der Süddeutschen Zeitung.