Thüringen. Nichts ist klarer

Anne Will, Sonntag abend, 9.2.2020. Das Thema Thüringen-Wahl. Ein Lehrbeispiel dafür, wie man die AfD stärker macht.

Für wen macht man eigentlich eine Talkshow? Einfache Frage, natürlich für die Zuschauer. Sarah Wagenknecht hat das am ehesten erkannt. Ihr gelingt es immer wieder, Antworten aus Sicht orientierungsbedürftiger Zuschauer zu geben. Alle anderen begnügen sich damit, die AfD zu dämonisieren, zu stigmatisieren, dem politischen Gegner aus dem nicht AfD-Spektrum eins mitzugeben und das eigene Verhalten schön zu reden.

Wer so über die AfD redet, macht sie stärker

Es würde mich nicht wundern, wenn AfD-Anhänger und Unentschlossene aus dieser Talkshow eins mitnehmen: Alles richtig gemacht. Frau Weidel muss keinen Ton sagen, damit sie ihr eigenes Lager stärkt und erweitert. Die Art, wie andere über die AfD reden, wie sie vergessen, zwischen Akteuren wie dem Neunazi Höcke und den Unmut artikulierenden Anhängern zu differenzieren, die AfD nicht an ihren Aussagen und dem Verhalten messen, sondern alleine in der Taktik der Augenblicksbewältigung verharren, das schürt den Unmut vieler Menschen: Die dort oben spielen ihre Spiele. Wir können längst nicht mehr nachvollziehen, was falsch, was richtig ist.

Also weiter Protest.

Wer als erster über seinen Schatten springt, hat gewonnen

Ich bin kein Anhänger der Linken. Aber ich finde, ein Ministerpräsident mit derart hohen Zustimmungsergebnissen hat Weiterregieren verdient. Ich finde auch, man darf jetzt nicht neu wählen. Die Wählerinnen und Wähler haben den Parteien einen Auftrag gegeben. Und es ist die Aufgabe dieser Parteien, daraus eine Lösung zu basteln.

Das würde gehen, wenn alle pragmatisch vorgehen würden. Schritt eins: Keine Duldung durch die AfD, weil die Partei unter dem Neunazi Höcke eine “hidden agenda” des “Systemumsturzes” verfolgt. Das ist auch der Unterschied zur Linken, die zwar gerne einen demokratischen Sozialismus möchte, die aber glaubwürdig betont, dies über den Weg der politischen Willensbildung erreichen zu wollen.

Dieses Vertrauen kann man gegenüber der AfD nicht haben. Ihr ganzes Denken und Handeln konzentriert sich darauf, das demokratische Geschehen zu delegitimieren.

Schritt zwei wäre eine Hinwendung zu den Inhalten: Was sind eigentlich die Versprechen der Parteien für die nächsten vier Jahre.  Wir lassen da die vollmundigen Parteiprogramme weg, auch die Anliegen und Selbstverständigungen, die in allen Wahl- und später Regierungsprogrammen nur der Selbstbeschwichtigung dienen und sprechen über die Dinge, die eine Landesregierung selbst bewegen kann.

Mit diesen Festlegungen müsste man dann eigentlich, wenn die Parteien einigungsfähig sind, leben und regieren können.

 

Denn die Wählerinnen und Wähler wollen doch eines: Die Politiker sollen ihre Arbeit machen und sie einfach mal in Ruhe lassen. Das Leben ist schon schwer genug.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Felix

    Kurze strategische Analyse:

    Überzeugung: Entscheidend ist das politische Handeln in Form von Gesetzen, Geboten und Verboten, nicht die Aussagen, die dem Handeln zuvorkommen. Denn diese Aussagen werden erst dann problematisch, wenn sie zu Handeln werden.

    Definition: Es gibt rechtsextremes Handeln (hier kurz: RH), das sich bspw. in rassistischen Gesetzen (bspw. Bevorzugung von Deutschen ggü. Ausländern), in der Schaffung nicht liberaler Strafverfolgung (bspw. drastische Verschärfung des Strafmaßes für bestimmte Taten) und ultimativ im Versuch der Veränderung unserer demokratischen (Verfassungs-)Grundlagen äußern würde.

    Gemeinsames demokratisches Ziel: Vernünftige und langfristig positiv wirksame Politik (im Handeln!), insbesondere Vermeidung von RH.

    Es gibt/gab in Thüringen genau zwei Varianten: V1 – Kemmerich bildet eine Regierung, bspw. mit parteilosen Experten. V2 – Kemmerich tritt zurück.

    Versuch einer sachlichen Analyse

    V1: Entscheidend ist, was Kemmerich und das Land *tut*. Dieses Tun zeigt sich in Gesetzesentwürfen. Bringt die Regierung ein Gesetz ein, das RH enthält, dann würden wir alle erwarten, dass sich, wenn überhaupt, nur die AfD dafür ausspricht. Das Gesetz würde also abgelehnt. Kemmerich und die FDP wären politisch (zurecht) erledigt, aber nicht, weil sie sich „haben wählen lassen“, sondern weil sie falsch *gehandelt* haben.
    Bringt die Regierung jedoch ein Gesetz ohne RH ein, dann ist es egal, wie die AfD abstimmt. Denn wenn es eine Mehrheit bekommt, hat das Gesetz mit RH nichts zu tun, und wenn nicht, dann war es zumindest zulässig das Gesetz vorzuschlagen. Denn es enthielt ja kein RH. Das richtet sich auch an Kevin Kühnert und seine großspurige Aussage von der Aufgabe eines 70-jährigen demokratischen Konsenses.
    Konsequenz: Eine solche Regierung hätte die AfD implizit entschärft. Man hätte sie nicht zum Opfer gemacht, und das Regierungshandeln wäre zwar wahrscheinlich nicht links gefärbt (zurecht: RRG hatte ja auch keine Mehrheit), aber es wäre eben auch nicht RH.
    Meine Vermutung: V1 hatte die Chance, die Wahrscheinlichkeit
    für ein weiteres Wachstum der AfD zu reduzieren. Denn manche Wähler der AfD hätten in der Regierung eine konstruktive Alternative zu RRG gesehen und deshalb womöglich ihre Wahlentscheidung beim nächsten Mal geändert. Vielleicht nicht zu RRG, aber wenigstens weg von der AfD.

    V2: Das ist der eingetretene Fall. Kemmerich ist öffentlich beschädigt, die FDP dito, die CDU ist in kompletter Aufruhr. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es viele Menschen gibt, die angesichts des Verhaltens der eher links stehenden Parteien und ihrer Sympathisanten (Händedruck verweigern, Blumenstrauß vor die Füße werfen, im Parlament herumpöbeln, massive Gewalt und -androhungen in den sozialen Netzen gegen FDP-Politiker, extreme Empörung des Großteils der Presse, gleichzeitig schwer erträgliche Verharmlosung dessen, was zwischen 1933 und 1945 wirklich in Deutschland passiert ist) beim nächsten Mal von ihrer Unterstützung der AfD zum RRG-Lager wechseln.
    Meine Vermutung vielmehr: Die Zustimmung zu RRG wird in der Summe einigermaßen stabil bleiben, aber rechts davon werden etliche von FDP und CDU weg in Richtung AfD gehen. Ob RRG wachsen, ist dabei m. E. übrigens weniger relevant, als die Frage, ob die AfD weiter zulegen wird. Denn mir ist eine Opposition von CDU und FDP lieber als eine der AfD.

    Daran würde übrigens ein Kotau, wie ihn Göring-Eckhard von CDU und FDP verlangt, nichts ändern. Ich vermute, die Entwicklung würde dadurch eher beschleunigt, da sich bei einem solchen Verhalten ein nicht zu unterschätzender Teil der Wähler dieser Partei nach einer „Alternative“ umschauen werden – wenn schon nicht für Deutschland, dann doch wenigstens für sich.

    Man stelle sich einmal die Frage, was passieren würde, wenn die AfD in Thüringen die absolute Mehrheit der Stimmen bekäme. Dann ist es für besonnenes Handeln zu spät, oder? Was ist bspw. von der folgenden Kaskade zu halten?

    Steigerung 4:
    FDP & CDU helfen dabei, einen AfD-Ministerpräsidenten zu wählen.

    Steigerung 3:
    Die AfD erhält unter MP Kemmerich einen Ministerposten.

    Steigerung 2:
    Regierung Kemmerich gibt Forderungen der AfD nach und setzt RH in der eigenen Regierung um.

    Steigerung 1:
    Regierung Kemmerich handelt selbst nicht im Sinne von RH, kündigt das aber zumindest an – oder schließt es wenigstens nicht ausdrücklich aus.

    Wir haben keine dieser Steigerungen erlebt. Ein FDP-Mann, selbst bislang jeder Form von RH unverdächtig, wird von der Mehrheit des Parlaments gewählt und kündigt danach explizit an, sich weder mit der AfD noch mit ihren Inhalten gemein zu machen.

    Dass diese Entwicklung keine Zustimmung der RRG-Kreise findet, ist und war natürlich zu erwarten. Aber sie hätten den politisch Handelnden noch am ehesten einen gangbaren und vor allem *demokratischen* Anlass gegeben, mit Mäßigung und Umsicht zu diskutieren und zu handeln.

    Auf jeder höheren Steigerungsstufe wäre mein Verständnis für außerparlamentarisches Reden und Handeln (die Kanzleraussage „Das Ergebnis muss rückgängig gemacht werden“ zählt m. E. dazu) größer gewesen. In der tatsächlichen Situation ist das Handeln des Großteils der selbst erklärten Demokraten und der sie begleitenden Presse ein Zeichen der Schande.

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