Demokratie ist Volksherrschaft. Sagt man. wie immer liefert die FAZ einen sehr detaillierten Bericht darüber, was die linken Volksherrscher so treiben. Ob das von ihnen so vertretene Volk tatsächlich weiss, was so passiert, wenn „zwei oder drei in ihrem Namen zusammen sind“ (frei nach Matthäus 18.20)? Eher unwahrscheinlich.
Ein neuer Beitrag darüber, dass die Parteien zu viel Macht in unserer Gesellschaft haben.
DIENSTAG, 19. NOVEMBER 2013
POLITIK
Frühling in Mittelerde
Die SPD will sich öffnen: Doch wer soll bei der Linkspartei Rot-Rot vorbereiten? In der Fraktion zeigt sich eine machtbewusste Abkehr vom Lagerdenken. Von Mechthild Küpper
BERLIN, 18. November. Die SPD hat in Leipzig einen Grundsatzbeschluss gefasst, der Koalitionen mit der Linkspartei künftig leichter machen soll, als sie es in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg waren. Die nächsten scharfen Ecken für eine gedeihliche Zusammenarbeit der linken Parteien könnten sein: die im nächsten Jahr nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen zu erwartende Konstellation, dass die SPD bei Rot-Rot der Juniorpartner sein müsste, eine erfolgreiche rot-rote Koalition in einem westdeutschen Land und die bis 2017 ernsthaft zu erwägende Option, im Bund eine Koalition zu bilden. Die 18. Wahlperiode des Bundestags müsste also genutzt werden, um nicht nur das Klima zwischen SPD und Linkspartei zu verbessern, sondern auch politische Positionen passfähig zu machen.
Katja Kipping, die Vorsitzende der Linkspartei, konterte den Beschluss der SPD mit der Aufforderung zu „Spitzengesprächen“ und einem entschiedenen Dementi der Äußerungen von Sigmar Gabriel über Gesprächskontakte zwischen ranghohen Sozialdemokraten und Vertretern der Linkspartei. Kontakte mit prominenten Grünen sind dagegen aktenkundig: Anton Hofreiter wurde inzwischen zum Vorsitzenden ihrer Bundestagsfraktion gewählt. Er gehört zu einem rot-rot-grünen Gesprächskreis, der sich vor drei Jahren unter dem Schlachtruf „Das Leben ist bunter“ vorstellte.
Das Leben in der neuen Bundestagsfraktion ist nicht bunter, sondern stiller und enger geworden. Die Fraktion ist kleiner geworden, sie muss daher zunächst Stellen streichen und Geld sparen. Die Auseinandersetzungen bei der Besetzung der zu vergebenden Posten folgen dem bekannten Muster der gegenseitigen Blockade der linksradikalen und der reformerischen Strömung. Gregor Gysi hat, zunächst im Scherz, inzwischen durchaus überzeugt, die „Oppositionsführerschaft“ für sich beansprucht. Er hat ebenso – und erfolgreich – beansprucht, die Fraktion allein zu führen. Sahra Wagenknecht, die sich den Posten zutraut und ihn anstrebt, musste sich abermals mit seiner Stellvertretung zufriedengeben, wenn auch herausgehoben als „Erste“. Dietmar Bartsch aber, der von Gysi und Oskar Lafontaine, dem damaligen Vorsitzenden von Partei und Fraktion, 2010 als Bundesgeschäftsführer vertrieben wurde, muss erdulden, nicht etwa wie in der vorigen Wahlperiode gleichberechtigt neben Wagenknecht zu stehen, sondern „Zweiter Stellvertreter“ zu sein.
Anders als früher gilt die Beteiligung an Regierungen in der Linkspartei nicht mehr als Zeichen verächtlichen politischen Kompromisslertums, sondern als durchaus legitimes Ziel der Teilnahme an Wahlen. Doch wenn definiert werden soll, was eigentlich fehlt, bis Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün ernsthafte Optionen wären, wird immer noch das beliebte Sündenregister aus der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder bemüht: Sozialabbau, Deregulierung und Kriegseinsätze lauten die Hauptvorwürfe. Die Linkspartei sieht sich nach wie vor als Maßstab „richtiger“ linker Politik. Die Bedingungen von Linksbündnissen meint sie diktieren zu können. Wie aber ihre Bundestagsfraktion in den nächsten vier Jahren zur Regierungsfähigkeit beitragen will, ist auch zwei Monate nach der Wahl nur undeutlich zu sehen.
Drei Stunden länger als gedacht stritt die neue Fraktion während ihrer ersten Klausurtagung im Oktober über die Vorstandsposten. Die beiden Lager blockierten sich derartig, dass Gysi nun neun Stellvertreter hat. Die Fraktion hat 64 Mitglieder. Parlamentarische Geschäftsführerin wurde Petra Sitte, die schon das erste rot-rote Bündnis in Sachsen-Anhalt maßgeblich begleitete. Den Beitrag zum Dauerthema der Linkspartei – verdeckte Zuarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit – leistete dieses Mal nicht ein Parlamentarier, sondern die langjährige Geschäftsführerin der Fraktion, Ruth Kampa, die ihre Arbeit für den Auslandsgeheimdienst nicht offengelegt hatte. Wagenknecht verlangte zum Fall Kampa, solche „Überraschungen“ sollten künftig ausgeschlossen sein. Doch einen Antrag zur Stasi-Überprüfung von Mitarbeitern brachte sie nicht ein. 23 Jahre nach dem Ende des MfS wäre das arbeitsrechtlich allerdings auch sensationell.
Gysi ist 65 Jahre alt. Dass er, nach fulminantem Wahlkampf, durchsetzen konnte, nicht an der Seite von Wagenknecht die Fraktion zu führen, sondern allein, gilt, nicht nur bei den linksradikalen Protagonisten, die vor den Wahlen eine Doppelspitze Gysi/Wagenknecht gefordert hatten, als das letzte Mal. Wagenknechts Machtansprüche werden weit über ihre linken Truppen hinaus anerkannt. Sie zählt zu den meistgebuchten Talkshow-Gästen und lebt inzwischen in der Sphäre, in der Menschen fürs Berühmtsein berühmt sind. Auch der Wahlkampf hat Gysi und ihr, etwa aus dem achtköpfigen Spitzenteam heraus, keine bundesweit prominente Konkurrenz erwachsen lassen.
Bartsch ist der Inbegriff des Reformers, des Flügels also, der so unideologisch wie möglich eine pragmatische Politik verfolgt, wie sie seine Partei in Ostdeutschland in den vergangenen zwanzig Jahren getrieben hat. Wenn die Linkspartei sich auf Bündnisse mit der SPD vorbereitet, wäre der langjährige Bundesgeschäftsführer, zunächst der PDS, dann der 2007 neu gegründeten Linkspartei, durchaus als wichtiger Akteur vorstellbar. Doch seit Lafontaine und Gysi ihn aus dem Amt vertrieben, erlebt Bartsch eine Niederlage nach der anderen: Er kandidierte 2012 um den Parteivorsitz – und verlor. Katja Kipping trat damals mit einem Konzept eines „Dritten Wegs“ an. Sie wurde Vorsitzende, ihr Ko-Vorsitzender wurde der damals weithin unbekannte Bernd Riexinger. Bartsch wurde, zusammen mit Wagenknecht, Erster Stellvertreter Gysis in der 17. Wahlperiode. Und nun ist er eben, fürs bloße Auge unsichtbar, aber in byzantinisch verzwickten Machtstrukturen wie denen der Linke-Fraktion gewiss schmerzhaft spürbar, zum „Zweiten“ geworden.
Dass Wagenknecht und Bartsch, die als Vertreter der am weitesten auseinanderstrebenden Strömungen ihrer Partei gelten, nun versuchen, in zwei Jahren als die richtigen Gysi-Nachfolger zu erscheinen, kommentieren manche Abgeordnete als Hoffnungszeichen, dass der Abschied von Gysi dereinst gelingen könne. Andere sehen es als „Beutegemeinschaft“ an und berichten von Plänen, schon jetzt die Arbeit der Pressestelle zu dritteln, damit die Startpositionen schon markiert sind. Wieder andere berichten davon, dass sowohl der Rückhalt für Wagenknecht als auch der für Bartsch sinkt. Beide hätten in den vergangenen Jahren zu wenig parlamentarischen Fleiß und Präsenz gezeigt, heißt es. Das routinierte Bewegen in den komplizierten Machtstrukturen muss nicht die maßgebliche Qualifikation für Führungsaufgaben bleiben. Für die einen heißen die Nachfolger von Gysi Wagenknecht und Stefan Liebich, für die anderen Kipping und Jan van Aken, der bei der Postenverteilung leer ausging, obwohl ihm mehr zugetraut wird. Kipping wird inzwischen für die bessere Machtstrategin als Wagenknecht gehalten.
Die Macht in der Mitte wird, je nachdem, wer über sie spricht, mal „Mittelerde“, mal „Dritter Weg“ genannt. Jedenfalls habe sich eine Gruppe Abgeordneter entschlossen, sich zwischen Linksradikalen und Reformern nicht entscheiden zu müssen, sondern eigene, zunächst vor allem personalpolitische Akzente zu setzen. Fest steht: Neben Petra Sitte fänden sich noch andere, vom fruchtlosen Strömungsstreit vergangener Jahre unbelastete Abgeordnete, die zwar – noch – unbekannt sind, aber doch imstande wären, auch wichtige Posten auszufüllen.
Der „Dritte Weg“ ist seit dem Parteitag in Göttingen 2012, wo Kipping gemeinsam mit Katharina Schwabedissen die Partei aus der Agonie herausführen wollte, dann aber allein – und erfolgreich – zur Wahl antrat, bei vielen in Misskredit. Und ob die Hobbit-Heimat „Mittelerde“ zum politischen Ort auf der Linken werden kann, ist fraglich. Linke-Abgeordnete rechnen jedenfalls in dieser Wahlperiode nicht mehr mit zwei auseinanderstrebenden Lagern, sondern mit drei Blöcken, von denen der mittlere zum Gewinnler alten Streits werden könnte.
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