Der Hype ist vorbei. Das steht nach dem ersten Tag des diesjährigen Politcamps jedenfalls fest. Die 900 Teilnehmer, die die Organisatoren feiern, twittern vielleicht Meldungen wie „weiß nicht, ob gut oder schlecht, dass ich nicht da bin“, da waren definitiv weniger. Und irgendwie muss sich die Szene neu sortieren. Wie nach dem Hype in Höhenluft das Tal der Tränen aussieht, davon konnte man sich am ersten Tag einen guten Eindruck machen.
Damit’s keiner missversteht. Internet ist super, web 2.0 ist super, wenn man neue Kommunikationswege herstellen kann, ist es super. Man muss halt nur wissen, warum und wozu.
Womit wir mitten im Thema wären. Die Internetszene ist, jedenfalls in dem Ausschnitt, in dem sich sich auf dem Politcamp 2010 präsentiert hat, echt out. Zum Beispiel die Eröffnungsdiskussion mit dem Top Politikern. Thema? Fehlanzeige. Moderation? Nur dem Namen nach. Ist es wirklich den Politikern vorzuwerfen, wenn sie ihre Bälle vereinzelt in die Luft werfen, nicht ungeschickt, aber doch mit dem verständlichen Wunsch, beim Publikum Gefallen zu finden. Das war doch durchwegs nicht schlecht gemacht, selbst von der Ministerin Schröder, bei der man sich nebenher fragt, ob sie eigentlich die Dreißig wirklich schon überschritten hat. Diskussion war das keine, aber das hing vor allem damit zusammen, dass es kein Thema gab und kein Engagement, wirklich mal was aus den anwesenden Personen herauskitzeln zu wollen. Dahinter twitterte es ununterbrochen. Und wärend man vergangenes Jahr noch interessiert lesen wollte, was wohl der Sinn von all dem Twittern ist, bin ich mir heute ganz sicher: Es ist vielleicht das Dampf ablassen, die massenmediale Umformung des Zwischenrufes, das ist ja ganz ok. Aber wer glaubt, dass daraus alleine schon eine neue Qualität von Politik erwächst, hat sich gewaltig vertan. Und so endete nicht nur die Eröffnungsdiskussion -für mich- mit einer gewissen Ernüchterung darüber.
Oder auch das Thema ePartizipation. Petitionen sind ok. Online-Petitionen sind ok, aber wenn einer der Vortragenden dann anführt, man müsste die Sachverhalte besser darstellen und erklären, und das trotz online-Angeboten von wirklich zahlreichen Medien, Online-Medien, dem öffenltlich-rechtlichen und anderen Akteuren, dann stellt sich schon die Frage, ob hier eine Szene, die von sich behauptet, politisch zu sein,wirklich etwas von Politik verstanden hat. Politik bleiibt nämlich doch das Bohren dicker Bretter, auch wenn man die Anleitungen inzwischen online herunter laden kann. Was bedeuten soll, dass Politik auch gemacht und durchgesetzt sein will. Und dass manche der Webaktivisten der feinen Meinung sind, sie müssten Politik nur irgendwie in den virtuellen Himmel hängen und schon würden sich Interessensgegensätze einfach in Luft auflösen. Nein, Jungs und Mädels, so einfach ist das nicht. Denn es sind nicht nur die bösen Lobbyisten und die dummen Politiker, denen die witzigen und flippigen Twitterer mal den Marsch blasen müssten. Es bleibt das Kernproblem nachlassender politischer Aktivierung, dass Politikmachen gelernt sein muss. Was heißt, um Argumente zu werben, die eigene Sicht der Dinge in eine gemeinsame Perspektive zu stellen, um einen Schritt weiter zu kommen, individuelle Sichtweisen zu kollektiven Ansichten zu machen. Und damit erst politikfähig zu werden.
Was heißt: Web 2.0 macht Dialoge einfacher. Ja. Und es ist auch gut, die Macht der Parteien zu reduzieren. Aber das wird nur dann zu einer besseren Politik führen, wenn es gelingt, aus berechtigten „So nicht“-Wortmeldungen „Ich zeige euch, dass es besser geht“-Aktive zu machen. Da kann online helfen, aber nur, wenn die Menschen lernen, sich einzumischen. Und, meine These ist ganz unsexy, da finde ich jeden Elternbeitrat in der Schule, der es schafft, eine ernsthafte Diskussion über Drogenmißbrauch von Jugendlichen zu führen und damit auch die anwesenden Kinder und Eltern zu sprechen und sie in ihrem eigenen Verhalten und ihrer Verantwortung anzusprechen, wesentlich politischer als 5000 Twitterwände, in denen die immergleichen, oberschlauen Politikerbashingsprüche virtuell an die Wand genagelt werden.
Politik trifft Web 2.O. Schön, dass wir geredet haben. Und schade, dass wir nichts verstanden haben. Aber das kann ja noch anders werden. Wenn die Selbstreferentialität der Web2.0 Gemeinde endlich mal ein Ende findet.
P.S. Die beste Diskussion war übrigens die Nachbereitung der Parteien zum Online-Wahlkampf. Super Moderation, mit Ausnahme der FDP, die ja sowieso auch hier alles schon immer früher und besser gemacht hat als alle anderen, große Offenheit, die eigenen Fehler zu reflektieren. Dank deshalb an alle Teilnehmer für eine gepflegte Diskussion.
P.S.S. Auch Markus Beckedahl hat mit seinem Tagesausklag zum Thema Netzneutralität einen guten Aufschlg gemacht. Auch wenn ich anderer Meinung bin, weil die Epoche der Internetneutralität von den großen Drei, Google. Apple und Microsoft, schon längst gekapert worden ist. Es gibt keine unschuldige Lösung im Tal der Tränen. Aber dazu wird noch an anderer Stelle zu reden sein.
Es erscheint in der Farbe der Brille, die man trägt
Wer die Politik kennt, lacht über Twitter tweets. Wer aus dem Web 2.0 kommt, lacht über das politische System. Dieses Lachen müsste zu einem gemeinsamen Lachen werden, dann haben wir es geschafft.
Wir sollten alle unsere Brillen abnehmen und versuchen durch die Augen des anderen die Welt zu sehen. Ich fand das Politcamp super, da ich in vielen Gesprächen die Welt aus einer anderen Perspektive sehen durfte. Vielen Dank, dass ich durch eure Brille schauen durfte.
In der Session „Wie weit ist das Internet eine Plattform des Monologs, Dialogs bzw. Diskurs“ wurde mir bewusst, dass im Internet KEIN politischer Diskurs stattfindet: http://etherpad.com/monolog-dialog-diskurs
Anstatt Politik zu betreiben – Machtkampf um Position -, sollten wir unsere Brillen absetzen und wirklich zuhören und nach Gemeinsamkeiten suchen, wie wir unsere Kräfte bündeln könnten. Genau das machen die Beteiligten des Elternbeirats, sie stellen sich einer gemeinsamen Herausforderung und versuchen in einem Bottom-up-Lernprozess, die unterschiedlichen Positionen als Quelle gemeinsamer Innovation zu nutzen. Olé
Werkzeuge, um eine Herausforderung in einen gemeinsamen Lernweg zu verwandeln gibt es hier http://de.consenser.org/
PS: Gemeinsame Ziele verbinden, der Wettbewerb ist ziellos wie die Evolution.
Ich weiss jetzt nicht so genau, ob es schön oder nicht schön zu lesen ist, dass ich nicht viel verpasst hab… BTW, du bräuchtest eine Sharingfunktion für deine Posts – sonst muss man sie immer händisch zu Twitter rübertragen. LGr
Nun wer dachte das, dass Politcamp nur eine Modewelle ist oder gar ein Kinderspielplatz für die jungen Piraten, hat sicher dazugelernt. Oder? PC10 war der klare Beweis, das es ein Diskussionsbedarf auf beide Seiten gibt und das auf neutralem Boden sozusagen. Na gut vielleicht nicht die FDP, die wollte eher Schulternklopfen, aber das hattest du schon geschrieben. Für mich ein tolles Wochenende und sicher nicht so negativ, wie hier manchmal interpretierbar. Ich freue mich nun auf eine konstruktive Zukunft und die damit verbundenen Politcamps – cu PC11
Ich lese den Artikel morgen nach dem Ausschlafen einfach noch mal. Momentan kann ich ihn noch nicht richtig in Pro oder Kontra PolitCamp11 einschätzen.
🙂
Super Text. Habe es gerade dank Twitter so kommen sehen und auch via Twitter so erlebt. Da treff ich mich lieber Face2Face!
hab mich schon bei christiane für den text bedankt. sollte es nachTgedanken heissen? dann wäre es wirklich sehr schlimm gewesen…