Und worüber GRÜNE sonst mal reden sollten. Einige Anmerkungen zum Spiegel-Artikel vom 10.9.2012
Jetzt starten die Grünen also in die Urwahl der SpitzenkandidatInnen. Darüber wollen wir uns erst mal nicht weiter äußern, aber schon zu der Frage, was eigentlich 2013 zur Wahl steht. Personen? Programme? Koalitionsaussagen? Na ja, könnte man sagen, alles miteinander. Personen verkörpern Programme. Und letztlich sagen ja alle Grünen Kandidatinnen und Kandidaten für die Spitzenkandidatur, dass diese Regierung weg muß, weil die handwerkliche Leistung unterirdisch ist. Soweit, so gut. Ein bißchchen erstaunt dann aber doch, dass die Grünen die Meinungsumfrager messen lassen, was denn ihre Wählerinnen und Wähler wollen. Das ist natürlich rotgrün, hätte man sich das Geld sparen können, dem guten Richard Hilmer sei es gegönnt. Interessanter wäre aber, und das war wahrscheinlich nicht Teil des Auftrags, die Frage, welche Rolle denn die Grünen künftig, wenn alle eine Energiewende wollen, die CDU für gar nichts mehr steht und die FDP für die Selbstauflösung, welche Rolle da die Grünen übernehmen könnten. Ich will mal ne Antwort versuchen.
Wie es nicht geht, hat der vergangene kleine Parteitag gezeigt. Wenn die Bundesregierung bis 2020 35% Anteil an Regenerativen Energien erreichen will, forden die Grünen 42 Prozent. Immer noch einen drauf. Ein typischer Oppositionsreflex und die GRÜNEN müssen aufpassen, dass dieser Oppositionsreflex nicht von den Wählern genau so verstanden wird. Und sie mal was anderes wählen. Claudia Roth hat beschrieben, wie sie die GRÜNE Rolle sieht, ich zitiere: „Wir wollen die Lehren aus dem Versagen ziehen und die unbequemen Fragen stellen“, ein klassischer Aufklärungs- und Oppositionsreflex. Back to basics. Max Weber würde sagen, Gesinnungsethik.
Aber wer politisch gestalten will, braucht eine neue Verantwortungsethik, eine die nicht alles und jeden Kompromiß als die beste Lösung aller Zeiten verkauft, sondern eine selbstbewußte, selbstreflexive Verantwortungethik, die die Dinge entschieden vorantreibt und trotzdem über die Grenzen politischen Handelns nachdenkt. Die die ökologischen und Nachhaltigkeitsfragen mit der sozialen Frage, der Frage von Regeln und Regelbarkeit des öffentlichen Raums Internet verschmilzt, eine neue Idee verantwortlichen politischen Handelns formt, nicht 200 € mehr Hartz IV, sondern vernünftige Politik, die benennt, was die wichtigsten Dinge sind, die zu regeln sind, und was nicht machbar ist. Was die Aufgaben der Politik sind, wie Sozialpolitik, die steigenden Mieten in den Städten und die Energiewende bürokratiearm und dynamisch zusammen zu bringen sind, was für die nächste Zeit ansteht und wo die Grünen Schwerpunkte setzen würden. Stattdessen zieht man sich Einzelthemen raus, die innerparteiliche Arithmetik meint offensichtlich, wenn Jürgen Trittin jetzt auf Außenpolitiker und Weltökonom macht (das intellektuelle Potential dazu hat er, aber schade, dass er sich so sehr auf Staatsmann trimmt, der einzig amtiertende Staatsmann, Angela Merkel, setzt ja dagegen erfolgreich auf den Erklärbär, sollte man darüber nachdenken), müssten die Frauen im Gegenzug auf das Soziale setzen. Nee, müssen sie nicht, denn der Wähler, auch die Wählerin will keine Addition von Sachthemen, sondern welche Akzente die Grünen in der politischen Auseinandersetzung von heute und morgen spielen wollen. Ein neues grünes Role-model!
Doch da schweigt das grüne Establishment. Man solle sich, so der Wunsch der Chefplaner, den Roten an den Hals werfen, weil das doch die Alternative ist.
Tatsache ist, dass ja auch die Roten noch nicht entschieden haben, mit wem sie in den Wahlkampf ziehen, Siggi Pop, dem verlässlichen Handwerker der Macht oder Helmut Schmidts Liebling. Letzterer würde jedenfalls die vorhandene Lücke echter kommunikativer Führungspersönlichkeiten schließen, finde ich. Rotgrün würde dann aber frostig. Aber auch die ältere Generation ist ja noch lernfähig.
Also wäre es an der Zeit, die eigene grüne Agenda fortzsuschreiben. Unternehmensstrategen würden sagen, die Grünen müssten sich die Wertschöpfungskette weiter erschließen. Man kann auch sagen, die nächsten Schritte dahin gehen, die politische Führungsrolle zu übernehmen. Im Rückblick: Erst haben sie von außen die Finger in die Wunden gelegt, dann haben sie Konzepte erarbeitet, die wirklich besser, weil nüchtern in der Analyse und nicht durch Lobbyinteressen verbogen waren (Kein Argument gegen Lobbies, aber eines gegen zu geringer Distanz zu den Argumenten von Lobbies). Dann haben sie auch ganz ordentlich mitadministriert. Und Baden-Württemberg ist für viele, die grün das erste Mal gewählt haben, jetzt der erste Beweis dafür, dass es richtig ist, Grünen auch die Führungsrolle einer Regierung anzuvertrauen. Schränken wir ein: Das traut man im Moment nur Winfried Kretschmann zu. Und darauf wartet jetzt die Welt, dass die Regierungskunst Winfried Kretschmanns zum politischen Kernbestand der Bundesgrünen wird. Regieren neuen Stils: Die Themen soweit runterbrechen, dass sie sagen, was geht und was nicht geht (Bitte kein grünes Wolkenkuckucksheim). Und das, was geht, mit Entschiedenheit und sehr viel Fingerspitzengefühl auch umsetzen. Zu zeigen, dass verlässlich regieren und klare Ansagen machen für Grüne kein Widerspruch sein muss. Weil sie wissen, bei welchen Fragen sich aktuell was bewegt und wo alle anderen im Stellungskampf liegen.
„Für die Zukunft unserer Kinder“ ist das Leitmotiv allen grünen politischen Handelns. Politik aus Verantwortung für die kommende Generation hat bei allen Fragen eine zuverlässige Richtschnur gegeben. Aber je weniger die Grundlinien, Vernüftiger Umgang mit Ressourcen, Energiewende, Pluralität der Lebensformen strittig sind, desto mehr werden, und das trotz mancher scheinbar radikalen Forderung, Grüne verwechselbarer. Weil es nicht mehr klar ist, welche Rolle sie einnehmen wollen.
Daraus ergibt sich der nächste Schritt auf der grünen Agenda: Wir sind die, die besser regieren. Weil wir die hohlen ideologischen Phrasen hinter uns lassen können und die anstehenden Fragen sachgerecht lösen. Und zwar mit dem, der das auch will. Das wird dieses Mal nicht die CDU sein, die braucht Oppositionszeit, um zu verstehen, warum Angela Merkel die West-CDU aus dem Gestern ins Heute geschleudert hat. Und wie das Ganze jetzt aus christlich konservativer Sicht, oder einfach aus CDU-Sicht, begründbar ist. Das wird, wenn überhaupt, die SPD sein, aber manche Fragen, beispielsweise die Energiefrage, wird möglicherweise nur in die Gänge kommen, wenn auch die Opposition einbezogen wird und Unternehmen Investitionssicherheit erhalten. Eine „Flexible-Konsens-Dissens“-Strategie also.
Das wird aber auch mit der SPD schwierig, weil die Rettung nicht im Hüh-und-Hott besteht, erst Hartz IV-Reform, die die Voraussetzung war, dass Deutschland (um den Preis von Niedriglöhnern und einer noch weiter aufgeblähten Arbeitsverwaltung) heute besser da steht als die europäischen Nachbarn, und dann nichts mehr davon wissen wollen. Sondern die Grünen als Garant für eine durchdachte, entschiedene und abwägende Politik, die darauf achtet, nicht die schönsten und radikalsten Reden, sondern die wirkungsvollsten Schritte zu initieren. Und die Partei, die unerwünschte Nebenfolgen ihrer Politik auch korrigieren kann.
Gerade politikdistanzierte „kritische“ BetrachterInnnen messen den Wert der Politik ja längst nicht mehr an inhaltlichen Aussagen. Sondern daran, ob eine Partei auch klare Richtung erkennen lässt, wenn ihr der Wind ins Gesicht bläst.
Im Moment stellt man fest: Grün badet gerne lau. Wie die anderen. Noch niemand zu erkennen, der einen neuen Blick auf die Dinge entwickelt, den Kampf der politischen Ideen anreichert. Stattdessen das andächtige Lauschen nach INFAS Umfragen. Die zeigen, dass die Wählerinnen und Wähler, solange sie nicht wissen, was die Grünen jetzt vorhaben, auf alte vertraute rotgrün Modelle setzen.
Aber es gibt noch eine Chance: Die Urwahl nämlich. Da wollen wir mal hören, wer die GRÜNEN wohin führen will. Wer neu denkt, Ideen hat.
Auf geht’s! Wir sind gespannt! Chairos. Die Krise als Chance.