Warum die Selbstüberschätzung der Parteien die Ursache von Politikverdrossenheit ist.

Man kann es freundlich formulieren, dann kann man es wie Gabriel sagen: es gibt eine erhebliche Differenz von Innen- und Aussenwahrnehmung der (Links)Parteien. Oder unfreundlich, dann lautet die Diagnose, die Parteien haben die Gesellschaft in Geiselhaft genommen. Als Monopolisten der öffentlichen Willensbildung zwingen sie die Bürgerinnen und Bürger in Lager, die längst nicht mehr gelten, zwingen sie zu Leistungsbekenntnissen des Staates, die dieser längst nicht mehr leisten kann.

Und das nur, weil Parteien ihre Macht über das Staatswesen definieren.

Von Aussen betrachtet, ist es doch so: Deutschland steht gut da, weil Bürgerinnen und Bürger, Unternehmerinnen und Mitarbeiter, ihren Beitrag leisten, um voran zu kommen: sie arbeiten fleißig, intelligent, auch die Gewerkschaften sind längst nicht so verbohrt, wie es öffentlich den Eindruck macht.

Gut iss es!

Und die Parteien? Eine Versprechensorgie im Wahlkampf, die man später nur schwer noch abräumen kann. Auch die CDU ist da nicht besser! Nur, dass da alle heimlich darauf vertrauen können, dass Schäuble oder Merkel, aber da ist man sich nicht so sicher, das alles „klammheimlich“ wieder abräumen. Leadership a la CDU, das heisst, doppelbödige Agenda: Die einen vertrauen einer vernünftigen Merkel mit Bodenhaftung, die anderen lassen sich durch Wahlversprechen kaufen. So komfortabel haben es die Linksparteien und GRÜNE nicht. als Konzeptparteien möchten sie erst die Blaupause der Gesellschaft, in die sie transformieren wollen, fertig, bevor sie loslegen.

Parteien sind gefangen in den Bildern, die sie von sich selbst und der Welt haben.

Kann mal einfach jemand aussprechen, dass niemand mehr an solche Blaupausen glaubt? Außer natürlich den Parteifunktionären?

Wer, wie ich, mit offenem Staunen, die Vorgänge innerhalb der SPD wahrnimmt, wer ahnt, dass das bei den GRÜNEN genauso wäre, wer dann den Wählerauftrag daneben nimmt, dass nämlich Parteien einfach den Auftrag haben, zu regieren, sonst sollten sie NGO werden, erkennt, welch bizarres Eigenleben Parteien in der Demokratie inzwischen führen.

Dazu zwei Artikel, die zum Nachdenken bringen:

FAS zum Zustand der SPD nach dem Parteitag.
Und ein Beitrag des Althistorikers Egon Flair, der ein neues Buch zur Mehrheitsdemokratie geschrieben hat. Ebenfalls in der FAS vom 17.11.

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SONNTAG, 17. NOVEMBER 2013
POLITIK
Großes Theater
Solche Koalitionsverhandlungen hat es noch nie gegeben. Die SPD muss bei ihren Leuten darum betteln, in Berlin regieren zu dürfen. Von Eckart Lohse und Markus Wehner
Manchmal ist Beifall verräterisch. Am Donnerstag gegen 14 Uhr, die Delegierten sind schon erschöpft von der langen Rede des Vorsitzenden Sigmar Gabriel, will Hannelore Kraft dem SPD-Parteitag noch einmal erklären, wie sie von der Gegnerin zur Befürworterin einer großen Koalition wurde. Deswegen zitiert sie aus dem Beschluss, den der Vorstand ihres nordrhein-westfälischen Landesverbands am Montag nach der Bundestagswahl gefasst hatte: „Die SPD ist nicht dafür angetreten, um als Mehrheitsbeschafferin die CDU an der Regierung zu halten und ihr so eine Fortsetzung der bisherigen Politik zu ermöglichen.“ Nachdem Kraft diesen Satz gesagt hat, gibt es starken Beifall. Beifall, der nicht vorgesehen war.

Diejenigen, die da klatschten, hätten es gern gesehen, wenn die erfolgreichste aller SPD-Frauen weitergeredet hätte wie vor acht Wochen. Doch die Ministerpräsidentin aus Düsseldorf ist nun angetreten, um die Zweifler auf Kurs zu bringen. Sie bemüht dafür den Leiharbeiter, der bessere Arbeitsbedingungen will, die junge Familie aus Bayern, die sich nach Ganztagsschulen sehnt, und den jungen Türken aus ihrem Nordrhein-Westfalen, der seiner Oma nicht erklären kann, warum er als Deutscher nicht weiter türkischer Bürger sein darf. Sie alle müssen als Gründe herhalten dafür, dass Kraft „trotz aller Bedenken“ das ungeliebte Bündnis mit der Union eingehen will. Um der Menschen willen natürlich, die die SPD nicht enttäuschen darf. „Messt diesen Prozess am Ende, an dem, was herausgekommen ist“, beschwört sie die Delegierten. Und fordert zugleich: „Lasst uns die Erwartungen nicht zu hoch ansetzen.“

Der Parteitag in Leipzig mitten in den Koalitionsverhandlungen hat wie im Brennglas gezeigt, was das Besondere am Zustandekommen dieser Regierung ist. Die Basis der SPD sitzt von Anfang an in Berlin mit am Tisch. Das hat es vorher noch nie gegeben. Bisher verliefen Verhandlungen koalitionswilliger Parteien nach Bundestagswahlen so: Das Führungspersonal einigte sich im Laufe von ein paar Wochen auf ein Regierungsprogramm für die nächsten vier Jahre, legte dieses den Delegierten ihrer Parteitage vor und regierte los.

Manchmal bedurfte es etwas intensiverer Überzeugungsarbeit, zum Beispiel 1998, als die Grünen zum ersten Mal im Bund an die Macht wollten. Doch meistens machten die Parteien ihr Häkchen ohne viel Federlesens. Besonders bei der CDU geht so etwas schnell: Es gibt einen sogenannten Kleinen Parteitag, drei kritische Wortmeldungen und anschließend kollektive Zustimmung. Für die CDU-Mitglieder ist der Anspruch, das Land zu regieren, von jeher etwas ganz Natürliches.

Für die Sozialdemokraten war das Regieren schon immer weniger selbstverständlich, Macht auszuüben bedarf stets einer möglichst umfassenden Begründung. Die derzeitige Regierungsbildung ist für die SPD so schwer wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Nicht etwa weil die Union so schrecklich konservativ wäre. Vielmehr will die Furcht bei den SPD-Mitgliedern nicht weichen, im Bündnis mit einer sozialdemokratisierten Union am Ende den Kürzeren zu ziehen. So wie es 2009 nach vier Jahren großer Koalition war.

Um die Partei nicht zu entzweien, haben sich die obersten Genossen etwas noch nie Dagewesenes ausgedacht. Die knapp eine halbe Million Mitglieder sollen das letzte Wort über den Koalitionsvertrag haben. Die Verhandlungen in Berlin hat das von Anfang an geprägt. Größe und Art der Verhandlungsrunden und Arbeitsgruppen wurden auf das Ziel ausgerichtet, am Ende ein Ja zur großen Koalition zu bekommen. Die SPD-Führung hat deshalb darauf bestanden, dass viele Landespolitiker mit am Verhandlungstisch sitzen.

CDU und CSU gaben diesem Ansinnen nach, bei der CSU ergibt es sich fast von selbst. Die Union hingegen, so heißt es in der SPD, habe die großen Runden mit den vielen Politikern ohnehin nicht gebraucht. Dort gehe es zentralistischer zu als in der SPD. „Merkel braucht eigentlich nur Ronald Pofalla und ein paar Leute, die Papiere in die Arbeitsgruppen tragen“, sagen SPD-Leute. Und es sei erstaunlich, wie wenig die CDU an eigenen Vorschlägen einzubringen habe, etwa wenn es um das Thema Familie gehe. Da hat die Union an die Spitze der Arbeitsgruppe die Parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz gesetzt, offenbar hat man das Ressort nach dem Ausscheiden von Kristina Schröder schon verloren gegeben.

Das Ziel der SPD-Operation „Unsere Länder nach Berlin“ ist hingegen klar. Die Landespolitiker können Wünsche und Bedenken der Basis nach Berlin tragen. Vor allem aber sollen sie für die dort gefassten Beschlüsse an der Basis werben. Wenn etwa bei den Verhandlungen über die Arbeitsmarktpolitik der Hamburger Sozialsenator, der nordrhein-westfälische Arbeitsminister oder der Regierungschef von Mecklenburg-Vorpommern am großen Tisch in Berlin „Ja“ gesagt haben, müssen sie zu Hause dafür kämpfen, dass dieses „Ja“ bei der Mitgliederbefragung im Dezember eine Mehrheit findet. Je gewichtiger die Ländervertreter sind, desto besser. „Natürlich ist es wichtig, viele Ministerpräsidenten in den Verhandlungen dabeizuhaben, denn sie haben den größten Einfluss auf die SPD bei ihnen zu Hause“, sagt ein SPD-Mann. Zumal die Ministerpräsidenten auch in der Regel die Landesvorsitzenden sind. Für Parteichef Gabriel hat die starke Länderriege bei den Verhandlungen noch einen Nebeneffekt: Er kann demonstrieren, wie stark die SPD in den Ländern und damit im Bundesrat ist.

In der großen Verhandlungsrunde, die mit ihren mehr als 75 Mitgliedern in der SPD auch spöttisch als „Zentralkomitee“ beschrieben wird, ist diese Gewichtung schon sehr deutlich. Von den knapp 30 CDU-Leuten sind zwei Drittel Bundespolitiker. Bei der SPD ist das Verhältnis umgekehrt. Annähernd zwei Drittel der 30 Mitglieder sind Landespolitiker, neun von ihnen Ministerpräsidenten.

In den zwölf Arbeitsgruppen ist das Ungleichgewicht entsprechend, manchmal sogar noch deutlicher. Hier bieten CDU/CSU etwa zwei Drittel Bundespolitiker auf, die SPD bringt es bei sehr großzügiger Auslegung höchstens auf die Hälfte. In der für die SPD so wichtigen Verhandlungsrunde zum Thema Arbeit und Soziales sitzen einem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, zwei Landesministern und einem führenden Gewerkschafter gerade mal zwei, noch dazu wenig bekannte Bundestagsabgeordnete gegenüber. Nur Generalsekretärin Andrea Nahles als Kopf der SPD-Delegation ist eine einflussreiche Bundespolitikerin. Im CDU-Teil dagegen trifft ein Landesminister auf sechs Bundespolitiker, unter ihnen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, zwei Parlamentarische Staatssekretäre ihres Hauses und der neue Chef der Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU, der Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann.

Noch eindeutiger haben die sozialdemokratischen Landespolitiker in der Arbeitsgruppe zur Energiepolitik das Sagen. Die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer darf zwar zu Beginn ihrer ersten Legislaturperiode als Abgeordnete im Deutschen Bundestag schon an Koalitionsverhandlungen teilnehmen. Sie ist allerdings die einzige Bundespolitikerin unter den Genossen. Angeführt wird die Gruppe von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Sie hat noch zwei weitere Chefs von Landesregierungen an ihrer Seite sowie zwei Landesminister mit rotem Parteibuch und den Vorsitzenden der hessischen SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel.

Da stellt sich die Frage, ob die sozialdemokratischen Darsteller auf dieser Bühne das Programm für eine künftige Bundesregierung ausarbeiten wollen oder einfach nur irgendeinen Text, dessen oberstes Ziel darin besteht, die Zustimmung der SPD-Basis zu bekommen. „Die SPD hat überzogen, was die Länder angeht“, gibt ein Genosse aus dem Norden zu.

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SONNTAG, 17. NOVEMBER 2013
POLITIK
„Ein Europäisches Parlament gibt es noch nicht“
Der Althistoriker Egon Flaig über Etikettenschwindel, das Händlerverhalten von Politikern und die Entmündigung der Bürger
Herr Flaig, Sie warnen davor, dass sich Parlamente in Europa die Mehrheitsentscheidung abgewöhnen.

Ja, Das Erstellen von Beschlussvorlagen wird in Ausschüsse verlagert, und es herrscht ein verderblicher Fraktionszwang; der ist verfassungswidrig, wird aber trotzdem permanent angewandt. Das entmündigt die altehrwürdige Institution des Parlaments, in dem ja eigentlich beraten und entschieden werden soll. Stattdessen wird in den Ausschüssen verhandelt. Von dort kommen die Beschlussvorlagen, und das Parlament nickt ab. Daher sinkt das Niveau der Debatten im Parlament. Ich erinnere mich, wie das Niveau schlagartig stieg, als der Fraktionszwang aufgehoben wurde, so etwa vor dem Bonn/Berlin-Beschluss und bei der Diskussion um Präimplantationsdiagnostik. Es wurde tatsächlich deliberiert, also beraten, und wir hörten im Bundestag wieder Debatten, die das Niveau der sechziger Jahre erreichten.

Aber das waren Ausnahmen?

Leider. Zu solchen Debatten kommt es nur ohne Fraktionszwang und wenn man sich von den Ausschüssen nicht alles diktieren lässt.

Was ist dagegen einzuwenden, wenn in Ausschüssen beraten wird?

In den Ausschüssen wird nicht beraten, sondern es wird verhandelt. Wenn ich einem Geschäftsmann ein Auto abkaufen will, haben wir beide nicht das Gemeinwohl im Sinn. Sondern wir haben partikulare Interessen, und wir versuchen uns auf einer Balanceschwelle zu treffen, die uns beiden Vorteile bringt. Verhandeln heißt, dass man nicht versucht, die beste Option für das Ganze, für das Gemeinwohl zu finden. Um das böse Wort zu sagen: Es vollzieht sich eine Entpolitisierung des Parlamentariers; er wird zu einem quasikommerziellen Händler. Das halte ich für fatal. Die Entscheidungen und die Vereinbarungen der Koalitionen im Parlament haben darum auch so wenig mit dem zu tun, was die Bürger wollen. Diese Art von Entmündigung kann auf Dauer nicht gutgehen.

Was kann man gegen das Händlerverhalten tun?

Ich denke, es gibt zwei effiziente Mittel. Das erste Mittel: Das Volk selber muss mehr entscheiden. Volksentscheide schaffen für lange Zeiträume Planungssicherheit, daher entlasten sie sämtliche Politiker. Denn diese können unter dem Diktat der Wahlrhythmen nur noch kurzfristig denken und machen die Politik insgesamt kurzatmig und unberechenbar. Das zweite Mittel ist: Man muss die Ausschüsse entmachten. Außerdem müssen wir über die Funktion der Parteien neu nachdenken.

Warum müssen wir über die Funktion der Partei nachdenken?

Parteien tendieren dazu, Politik zu verparteilichen und Sonderinteressen über das Gemeinwohl zu stellen. Zunehmend wird spöttisch belächelt, wer das Wort Gemeinwohl in den Mund nimmt. Dieser Spott zeigt an, dass entweder der Glaube an den Zusammenhalt unserer Demokratie entschwindet oder aber dass die Fähigkeit, über Sonderinteressen hinauszudenken, verkümmert. Die verparteilichte Politik befördert beides.

Das hieße doch in letzter Konsequenz: Wir müssen Parteien abschaffen.

So weit möchte ich nicht gehen. Ich sehe den Vorteil von organisierter Willensbildung. Parteien abzuschaffen hätte nur Sinn, wenn wir zurück zur direkten Demokratie gehen könnten. In Versammlungsdemokratien sind Parteien nicht bloß entbehrlich, sondern auch schädlich, weil sie die freie Deliberation der versammelten Bürgerschaft behindern, indem sie offen partikulare Interessen vorbringen. Darum ist es in den Schweizer Landsgemeinden nicht ratsam, Parteipolitik zu betreiben. Und daher fehlen Parteien in den ältesten und langlebigsten Demokratien, nämlich jenen mehreren Hundert griechischen Städten, wo die Volksversammlungen entlang strengster Verfahrensregeln deliberierten und per Mehrheitsenscheidung ihre Beschlüsse fassten – und das taten sie von der klassischen Zeit an, während des Hellenismus bis tief in die römische Kaiserzeit, also mehr als ein halbes Jahrtausend lang. In den neuzeitlichen Gemeinwesen kann sich die Bürgerschaft nur noch auf lokaler Ebene versammeln, um zu deliberieren und zu beschließen, nicht auf regionaler oder nationaler Ebene, weswegen die Wahl von Repräsentanten unumgänglich ist. Diese werden immer die Neigung haben, sich zu sortieren entlang konvergierender Ansichten und zu koalieren gemäß der Optionen bei brennenden Themen. Solange solche Koalitionen fluktuieren und sich nicht bürokratisch und programmatisch fixieren, werden sie für eine parlamentarische Demokratie nicht zur Gefahr.

Sie sehen nicht nur die einzelnen Nationen, sondern Europa auf einen Weg in die Postdemokratie, ohne Legitimierung durch das Volk.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Das Entscheidende ist: Wenn Europa tatsächlich zusammenwachsen möchte und zu einer demokratischen Republik werden will, dann muss das Staatsvolk eine Rolle spielen, als Begriff und als institutionalisierte Realität. Wenn hingegen Europa durch Verträge zusammenwächst, dann werden Entscheidungen in den europäischen Quasi-Regierungsorganen ausgehandelt – wie in den Ausschüssen. Und das heißt: Wir befinden uns nicht mehr im Rahmen einer klassischen Demokratie. Demokratie ist nun einmal die Herrschaft des Volkes, entweder direkt oder mittels Repräsentation. Von Demokratie zu sprechen, wenn gar kein Staatsvolk repräsentiert wird, ist Etikettenschwindel.

Welche Rolle spielt dabei das Europäische Parlament?

Ein Europäisches Parlament gibt es noch nicht. Was sich so nennt, ist kein Repräsentant eines europäischen Staatsvolkes. Wir haben keine europäische Verfassung. Wir sind keine politische Gemeinschaft. Dafür brauchen wir einen Gründungsprozess. Und der muss ein bewusster Akt der Bürger der willigen Völker sein. Das kann nicht hinter dem Rücken der Bürger geschehen. Man darf die Bürger nicht einschläfern und sie dann eines Tages wecken und sagen: Ihr seid jetzt Europäer.

Das hat man getan?

Man hat die EU durch eine Wirtschaftsunion entstehen lassen. Das ist der falscheste Weg überhaupt. Durch eine Wirtschaftsunion wächst man nicht zusammen als Bürger, sondern als Wirtschaftssubjekt. Das ist ein Rahmen, in dem Einzelnationen und Gruppierungen versuchen, ihre Sonderinteressen gegen andere Sonderinteressen auszubalancieren. So etwas kann lange Zeit gutgehen, nämlich solange Überschüsse zu verteilen sind.

Und wenn keine Überschüsse mehr zu verteilen sind?

Dann stellen die Wirtschaftssubjekte fest, dass sie kein Gemeinwohl haben, sondern jeder ein partikulares Wohl. Sie werden zu Gegnern bei der Umverteilung von Verlusten. Das ist seit der Griechenlandkrise der Fall. Es zeigt sich, dass innerhalb der Europäischen Union, welche ja eine politische Gemeinschaft sein will, zwischen einzelnen Nationen regelrechte Feindschaften zu entstehen drohen. Man darf dankbar sein, dass diese Krise schon jetzt gekommen ist. Später hätte sie weit schlimmere Folgen gezeitigt.

Sie sehen in der Krise eine Chance?

Krisen sind nur Öffnungen, und in einer Öffnung gibt es immer mehrere Alternativen. Es gibt Chancen, aber auch fatale Irrwege. Also sollten wir jetzt einen Reflexionsprozess einläuten. Da ich Europäer bin, interessiert mich die deutsche Nation im Rahmen einer europäischen Kultur und einer zukünftigen europäischen Union. Aber diese kann sich nur gründen auf einen Gründungsakt, in welchem die willigen Nationen mit einem klaren Entscheid sich zu einem europäischen Staatsvolk konstituieren. Dann wird das Zusammenstellen nach Quoten aufhören, und das Aushandeln wird verzichtbar, weil wirkliche Mehrheitsentscheidungen möglich werden.

Die Fragen an Egon Flaig stellte Philip Eppelsheim.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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