Warum es hilft, das Ukraine-Thema ohne Schaum vor dem Mund zu betrachten. Volker Perthes heute im Handelsblatt

Da gibt es wenig dazu zu sagen. ausser, dass ein Krieg in Europa künftig kein Weltkrieg mehr wäre. Was ihn immer noch schlimm, aber aus der
Sicht der Weltmehrheit peripher macht. Zeit für den Westen, aufzuwachen!

Gefahr für Europas Ansehen

SWP-Direktor Volker Perthes beschreibt, wie die Welt den europäischen Konflikt um die Ukraine sieht: Nicht als neuen Kalten Krieg, weil die Zeiten der Bipolarität vorbei sind – sondern als Konflikt, bei dem sich das sonst so belehrungsfreudige Europa vor der eigenen Haustür beweisen muss.

Volker Perthes | Berlin | Sonntag, 4. Mai 2014, 20:00 Uhr

Die Ukraine-Krise steht zu Recht im Mittelpunkt deutscher und europäischer Diplomatie. Sie zeigt uns Europäern – EU-Europäern nicht anders als Russen – gleichzeitig, wie sehr die Welt sich seit dem Ende des Ost-West-Konflikts verändert hat: Europa hat einen territorialen Konflikt, und andere Staaten kümmert das nur mäßig.

Positiv gewendet ließe sich sagen: Aus dem gegenwärtigen Konflikt mit Russland wird schon deshalb kein neuer Kalter Krieg, weil die internationale ideologische Komponente fehlt. Die historisch-völkische Argumentation, mit der Russlands Präsident Putin die Heimholung der Krim rechtfertigt hat, brachte ihm zwar Applaus von rechtsradikalen Parteien in Europa, löste aber auch bei mit Russland befreundeten Staaten eher betroffenes Schweigen aus. Chinas Enthaltung bei der Sicherheitsratsabstimmung über das Referendum auf der Krim hat dies unterstrichen.

Umgekehrt erleben die EU und die USA, dass auch ihre Freunde in anderen Teilen der Welt nicht unbedingt für die westliche Position eintreten. Ende März, bei der Abstimmung der Uno-Generalversammlung über die Resolution zur territorialen Integrität der Ukraine, votierte mehr als ein Drittel aller Staaten mit Enthaltung oder blieb der Abstimmung fern – darunter Indien, Brasilien, Südafrika und Israel. Anders als in Zeiten der Bipolarität dient der heutige Konflikt zwischen Russland und dem Westen offensichtlich nicht mehr als generelles Orientierungsmuster für die internationale Staatengemeinschaft.

Zahlreiche Kommentatoren gerade auch aus aufstrebenden demokratischen Staaten bringen dies explizit zum Ausdruck. In der heutigen multipolaren Welt, meint beispielsweise der südafrikanische Thinktank-Chef Jakkie Cilliers, müssten die Staaten Afrikas und anderer Teile der Welt sich eben nicht mehr zwischen Ost und West entscheiden.

Diese Haltung ist nicht normativ, sondern realpolitisch begründet. Für die meisten Beobachter aus demokratischen Staaten des Südens besteht kein Zweifel, dass die russische Politik gegenüber der Ukraine und nicht zuletzt der Anschluss der Krim internationalem Recht widerspricht. Nur betrachtet man, was in und um die Ukraine geschieht, als einen Territorialkonflikt und einen Rechtsbruch unter vielen. Und man sieht wenig Anlass, sich davon stärker aus der Ruhe bringen zu lassen, als Europa dies bei territorialen Konflikten in Asien oder im Nahen Osten tut. Tatsächlich rät die EU Staaten wie Israel und Palästina, Indien und Pakistan oder Japan und China in der Regel ja, sich doch bitte – und gern auch mit unserer Unterstützung – um eine friedliche Beilegung ihrer Streitigkeiten zu bemühen, in jedem Fall aber zu deeskalieren und von uns keine Parteinahme zu erwarten.

Natürlich wird der Ukraine-Konflikt auch in anderen Kontinenten genau beobachtet. In Staaten Afrikas, des Nahen Ostens und Asiens fürchtet man, die Mobilisierung ethnischer Gruppen, um Grenzen zu verschieben oder gar territoriale Aneignungen zu rechtfertigen, könnte Schule machen. Beobachter in Asien fragen nach den Auswirkungen auf ihre Region. Könnte, so heißt es etwa bei Kommentatoren aus Indien oder kleineren asiatischen Staaten, der Machtzuwachs Chinas sich weiter beschleunigen, wenn die Aufmerksamkeit Russlands, der EU und der USA durch einen europäischen Konflikt gebunden ist?

Auch Momente von Schadenfreude sind nicht ganz abwesend: Raja Mohan etwa, einer der prominentesten indischen Politikwissenschaftler, merkt an, dass Europa zwar Asien immer gern über die Vorteile regionaler Sicherheitsordnungen belehrt habe, sich jetzt aber als unfähig erweise, mit Sicherheitsproblemen im eigenen Hinterhof umzugehen und seine ambitionierten Normen auch durchzusetzen.

Hier liegt in der Tat eine Herausforderung für die EU, aber auch für Russland: Eine Eskalation des Konflikts wäre nicht nur gefährlich und kostspielig, sondern würde auch das gesamteuropäische Ansehen im Rest der Welt unterminieren: Moskau demonstriert derzeit zwar Macht, wird aber erst noch beweisen müssen, dass es für seine Sicherheit nicht auf die Unsicherheit seiner Nachbarn setzt. Europa insgesamt muss zeigen, dass es seine Prinzipien des friedlichen, regelbasierten Zusammenlebens auch gegen Verstöße verteidigen und gleichzeitig die Grundpfeiler gemeinsamer Sicherheit in Europa auch über Krisen hinaus erhalten kann.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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