Nein, ich schwenke nicht erst jetzt, wo alle auf den Grünen rumtrampeln, auf diesen Kurs ein. Ich habe schon von Anfang an gemutmaßt, dass die Partei, die meine Partei ist, völlig daneben liegt. Ich bin gerne und überzeugt Mitglied der Grünen, werde das auch bleiben. Aber wählen werde ich sie nicht.
Ich habe mir das lange überlegt, ob ich es öffentlich mache. Ich kenne einige, die sagen, ich wähle sie auch nicht, aber rede nicht darüber. Das finde ich aber völlig verlogen, kommt mir nicht in die Tüte.
Was mir in diesem Wahlkampf vor allem gegen den Strich geht? Diese verdammte Rechthaberei! Ein Beispiel?
Konstantin von Notz, der sehr geschätzte Netzpolitiker, immer gut informiert, wird in der Berliner Zeitung zitiert. Die Regierung hätte auf die Frage, was gegen NSA zu tun sei, geantwortet, verschlüsseln. Das hätte sich jetzt als zynisch herausgestellt.
Geht’s noch? Das ist nicht zynisch, das ist tragisch. Letztlich stehen wir doch alle vor dem Thema, sprachlos, ratlos, weil sich zeigt, dass die USA, England zumindest heftig dabei sind, das Internet für sich transparent zu machen, dass sie systematisch die wichtigsten Unternehmen eingebunden haben, dass sie Milliarden von Dollars dahinein gebuttert haben, dass auch Deutsche Geheimdienste darin eingebunden sind, und sei es nur in der derzeit üblich deutschen Weise, dass sie die Informationen dankend angenommen haben, aber nicht nach den Quellen gefragt haben, unschuldige Jungfrau inmitten des moralischen Verfalls, dass also unser gesamtes Wertesystem mit dem Thema zusammengebrochen ist, unsere Träume von besserer Kommunikation und offenem Austausch. Und was macht von Notz: Er prangert die Regierung an.
Dass die das nicht verstanden hat, weiß ohnehin jeder. Keine News. Aber dass es derzeit keine Antwort gibt auf diese Frage, auf diese Frage nicht, auch auf die Euro-Krise nicht, auf die Energiewende-Frage nicht (die längst um die Frage kreist, wer hat das vernünftigere Konzept, das zu „reasonable prices“ umzusetzen), dass Rotgrün im Überschwang der eigenen Konzepte in etwa rumläuft wie die FDP vor der letzten Wahl, als das Programm sagte, Steuersenkung, aber längst jeder wusste, dass man froh sein kann, wenn die Steuern nicht erhöht werden müssen, so ist es auch jetzt. Rotgrün hat für alles ein Rezept: Man muss nur die Politik machen lassen, dann wird das schon. Tatsache ist, dass die Politik sich andauernd überhebt, schon bei kleinen Vorhaben, Philharmonie, Flughafen, Bahnhof. Das hat gar nicht mit Dummheit oder Korruption oder Ignoranz der Politiker zu tun, nein, wir haben die politisch korrektesten Politiker aller Zeiten. Das hat aber damit zu tun, dass die alten Bezugspunkte, Demokratie schützt die Rechte der Bürger, die westlichen Demokratien sind ein Hort der Freiheit, die Politik stellt Gerechtigkeit und faire Rahmenbedingungen für alle her, dass diese Bezugspunkte obsolet sind. Das spüren alle Bürgerinnen und Bürger, aber die Parteien klammern sich an ihre Programme wie Schiffbrüchige an ihre Rettungsringe, aber es ist kein Schiff in Sicht, das sie aufnehmen könnte. So zappeln sie weiter im Wasser.
Wie weit diese Unsicherheit geht, zeigt sich, wenn man mit den Menschen wirklich redet. Einer meiner Verwandten, immer konservativ-liberal, meinte jüngst zu mir, er überlege, Linkspartei zu wählen, weil die Ungerechtigkeit und Ungleichheit immer mehr zunehme. Gestern ein Gespräch mit einem hochrangigen Akteuer im Umweltbereich, der längst sagt, wenn die Grünen mit ihren überzogenen Klimazielen so weiter machen, setzen sie das Ganze in den Sand, er, sehr interessant, glaubt, nur wenn Deutschland, der Europrofiteur, geschwächt wird, hilft das dem Klima. Ich teile das nicht. Aber was ich sagen will: Wenn man zuhört, stellt man fest, dass jeder an seiner eigenen Weltsicht bastelt, sich aber, ich bin das auch, bewusst ist, dass es ein Basteln ist, weil die Geschwindigkeit und Dimension der Veränderungen uns alle überfordern. Weil die Politik ihre Hegemonialkraft verloren hat. (Lagerwahlkampf, lachhaftes Rezept von gestern).
Das ist das Gefühl der Zeit. Und darauf finden die Rotgrünen keine Antwort. Weil in so einer schwierigen Lage niemand Rechthaber wählen will, weil er (und sie) ahnt, dass man mit dieser Haltung nur „Gegen die Wand“ laufen kann, deshalb macht sich jeder seine Gedanken. Und wählt, entweder taktisch. Oder gar nicht.
Schade eigentlich, dass eine Partei, die grundsätzlich Reflexivität, reflexive Modernisierung, zumindest ins heimlichen Stammbuch geschrieben hat, so Politik 1.0 betreibt. So bleibt, eine Woche vor der Wahl, nur die Einsicht, dass sich die Dinge nicht immer so entwickeln, wie man denkt, dass auch eine Partei, die eigentlich die Dinge aufmerksamer verfolgt als andere Parteien, sich selbstbesoffen ins Aus schießen kann, dass Kurskorrekturen, siehe „5 DM für Benzin“ und „alle reden von der Einheit, wir nicht“ manchmal schmerzhaft erfolgen müssen.
Dass man bei dieser Wahl nichts richtig machen kann. Und dass Rom nicht an einem Tag erbaut wurde.