Der Europawahlkampf hat eines nicht gebracht: Politische Klarheit, wie es mit Europa, der europäischen Einheit und dem Euro weiter geht. Der tapfere SPD-Schulz versucht sich als politische Macher der alten Art zu inszenieren, der brave Juncker steht dagegen (davor steht aber die Bundeskanzlerin). Und es stellt sich für viele die Frage, was kommt eigentlich dabei heraus, wenn ich dieses oder jenes wähle. Ich habe entschieden. Eine kleine Tour durch das europäische Torso
Ich glaube Martin Schulz sein europäisches Engagement, aber seine Worte verfangen bei mir nicht. Ich bin Europäer, aber dieses hölzerne Europa der Institutionen, bei dem alle Pro-Europäer so tun, als müsse man dieses Gewurstel von nationalen Interessen unter dem Deckmantel eines paneuropäischen Gedankens zuschütten, verfängt bei mir nicht.
Schulz steht für ein Europa der aufgeblasenen Worthülsen, politische Kraftmeierei, obwohl ich ihm sein Europa-Engagement glaube.
Der Gegenkandidat, der erfahrene Junker, steht für ein Weiter So im Sinne der Bundeskanzlerin. Keine Fehler, den Ball flach halten, das bürokratische Europa, was anderes ist es nicht, im gegenwärtigen Zustand halten, nationale Interessen aushandeln, weil noch mehr Pathos das Ganze schwächt.
Lambsdorff spricht vernünftig, aber was ist das eigentlich, die FDP. Ein Nichts.
Der europakritische Ansatz, der erst durch die AfD, ja leider, ins Rollen kam, dem vermisse ich bei den Pro-Europäern. Es geht nicht nur darum, ob man für Europa ist, sondern auch darum, wie und mit welchen Mitteln Europa im Sinne eines Europas der Europäer, also der Menschen entsteht.
Nein, das leisten auch die Grünen auf europäischer Ebene nicht, mal genau hinzusehen, wie sich ein Mehr des institutionellen Europas tatsächlich auswirkt.
Sie leisten aber etwas anderes: Dass nämlich ein Europa der Europäer entsteht. Und zwar durch einzelne Politiker, Sven Giegold zum Beispiel, der sich in Finanzkrise und TTIP eingearbeitet hat und unermüdlich durch die Medien zieht und trommelt. Gerhard Schick zum Beispiel, auch wenn er nicht im Europaparlament sitzt, weil er mit einem sehr guten Buch die Grundlagen für ein besseres Verständnis europäischer und ökonomischer Prozesse gelegt hat und nicht behauptet, die Lösung schon in der Tasche zu haben.
Europa ist ein Projekt der europäischen Aufklärung, des Streites, des Protestes, aus dem Heraus mehr Verstehen des anderen -oder dessen, was läuft – erwächst. Erwachsen kann, wenn es gut geht.
Diesen Teil möchte ich stärken. Die Idee, dass sich die Völker Europas darauf besinnen, ein Hort der Freiheit, Demokratie und Bürgerrechte zu sein. Und deswegen setze ich das Thema NSA, das gar nicht zur Wahl steht, ganz oben auf die Tagesordnung.
Es braucht keine Talibans, um den Westen und seine Werte zu ruinieren, das schafft die USA mit stillschweigendem Einverständnis des institutionellen Europas (sprich der nationalen Regierungen und ihre Dienste) inzwischen auch selbst.
In dieses Situation kommt das TTIP-Verfahren gerade recht. „Tit for tat“ hieß das immer im Englischunterricht, „Wie du mir, so ich dir“.
Das institutionelle Europa alleine wird freilich nichts tun, um dem großen Bruder zu widersprechen. Das nicht. Aber das „TTIP for Tat“ soll, so mein Wahlwunsch, dazu führen, dass tatsächlich eine europäische Zivilgesellschaft heranwächst, die mitspricht, eine europäische Zivilgesellschaft, die sich auch darum Gedanken macht, wie europäische Vielfalt und kulturelle Traditionen, vielleicht auch ein Wettbewerb unterschiedlicher Lebens- und institutioneller Formen als ein Plus erlebt werden und nicht nur als ein Minus. Wie Wirtschaftswachstum, europäische Werte und nationale Kulturen gegeneinander abgewogen werden und nicht immer nur überdeckt.
Will ich, dass die Italiener oder die Spanier deutsch werden oder die Franzosen? Nein, aber ich will, dass sich Politik in allen Ländern, und Deutschland ist da gerade kein Vorbild, darauf besinnen, eine Führungsaufgabe zu haben, nicht nur ein Umverteilungsversprechen zu sein. Da ist sich jedes der europäischen Länder gleich, dieses Defizit der Politik doppelt sich europäisch und national.
Meine Wahlhypothese: Das TTIP Verfahren zu blockieren, kann ein Tor dazu, dass sich die Völker Europas selbst Gedanken machen können (und Protest ist immer die erste Form des Engagements), selbst zu Wort melden mit einem NO GO.
Die Medien spielen dabei eine wichtige Rolle. Und, allen voran die FAZ, sie machen in der Europawahl einen guten Job. Die kluge, hintergründige Berichterstattung, auch aus den Ländern der EU, das Sichtbarmachen dessen, was ist, war nie so wichtig und gut gelungen wie diesmal.
Europa wächst, auch durch seine Krise, da bin ich zuversichtlich. Wie Deutschland nach 68 braucht Europa eine Zivilgesellschaft, eine paneuropäische Debatte und nicht vorschnelle Therapien. Niemand weiss, ob alles gut ausgeht, aber wenn alle engagiert und aufmerksam debattieren, uns engagieren, werden wir lernen, das vielschichtige Europa Wert zu schätzen.
In diesem Sinne: Dieser Weg wird kein leichter sein (Xavier Naidoo). Die Europawahl wird zu einer Zunahme antieuropäischer Gedanken und deswegen auch zu einem echteren Europa werden.
Weil ich ein Europa der Europäer will, deshalb grün.