Warum man den Liberalismus vor der FDP und Bernd Ulrich schützen muss. Eine Entgegnung.

Bernd Ulrich hat in der Zeit 7/2010, S. 4 zur geistig-politischen Leere der FDP geschrieben und gleichzeitig das Ende des Liberalismus postuliert. Seine These ist im Wesentlichen, dass der Liberalismus deshalb am Ende ist, weil drei Entwicklungen (Internet, Klimakatastrophe und Finanzmarkt) nicht weniger, sondern mehr Staat brauchen. Er hat sich zurecht darüber lustig gemacht, dass die FDP mit einer Verschärfung populistisch-liberaler Thesen noch mehr daneben liegt als sie müsste. Und er hat ein einem Schlenker angemerkt, dass die Grünen als Ökologisten ähnlich doktrinär wären wie die FDP.

Als Alternative empfiehlt Ulrich das „suchende System“ CDU. Wobei man jetzt schon die Frage stellen kann, wodurch eigentlich sich ein Suchsystem in der Öffentlichkeit so darstellt. Lieber Bernd Ulrich, mag sein, dass, wenn alle in unterschiedliche Richtungen laufen, sie etwas suchen. Aber ein Suchsystem ist das noch lange nicht. Ein Versuch, liberale Gedanken vor der FPD und Bernd Ulrich zu retten.

Das kommt davon, wenn Journalisten sich mit der Erscheinungsebene zurfrieden geben. Dann setzen sie FDP und Liberalismus gleich, hauen Maggy Thatcher mit in den Topf, die mit ihrem Neoliberalismus die Erstarrung der britischen Gesellschaft etwa mit der Kraft durchhauen hat, mit der die anderen Kräfte den Status Quo und damit den Untergang mit festem Rahmen zementieren wollten.

Die erste Verteidigung, die wir hier einführen wollen, ist die Verteidigung des Liberalismus gegenüber dem populistischen Neoliberalismus, der frei nach dem Motto „Hau weg den Scheiß“, alle Regulierung in die Tonne treten will. Aber das war Liberalismus nie, das war Manchester-Kapitalismus.

Liberalismus zeichnet sich dadurch aus, dass er sagt, der Staat müsse den Rahmen und die Regeln setzen, nach denen gespielt wird. Er setzt auf das Engagement des Bürgertums, die Einmischung der Zivilgesellschaft, eine lebendige Bürgergesellschaft. Wir können durchaus einräumen, dass die Rolle des Staates als Initiator von Leistungsgesetzen im Liberalismus nicht besonders ausgeprägt ist. Aber mit diesem Ansatz ist Liberalismus höchst leistungsfähig. Nur hat das leider die FDP nicht verstanden. Das ist nicht gut so.

Die zweite Verteidigung des Liberalismus gegen die FDP ist die ganz einfache Erkenntnis, dass man das, was man schreibt, auch ernst nehmen sollte. Das tut die FDP nicht. Und deshalb ist sie so unglaubwürdig und wird von der Öffentlichkeit, von ihren Wählerinnen und Wählern so abgestraft. Das hat gute Gründe, die ganz einfach aufzulisten sind:

  • Wer in einer veritablen Krise, in der viel Geld zur Stabilisierung verwendet worden ist (ob alles so gut war, könnte man diskutieren, aber alle haben ernsthaft nach Lösungen gerungen. Alle außer der FDP), weiterhin so tut, als ob Steuersenkungen weiterhin das oberste Gebot wären, der verstößt nicht nur gegen Grundsätze der menschlichen Intelligenz, sondern auch noch gegen eine Grundregel bürgerlicher Regierungen. Dass sie nämlich maßvoll und vernünftig agieren. Selbst die wissenschaftlichen Institute warnen vor einem Steuersenkungskonzept zu dieser Zeit. Wenn die FDP jetzt so starrsinnig agiert, ist das kein Ausdruck von Liberalismus, sondern von ideologischer Verblendung. Und die, da bin ich mir sicher, wird bestraft werden.
  • Liberales Gedankengut in der Wirtschaft, das bedeutet Wettbewerb, schöpferische Zerstörung, Abbau unnützer Schranken. Abbau unnützer Ministerien, usw. Dagegen die Liste der Aktivitäten, die diese Regierung unter maßlosem Einsatz der FDP erreicht hat: Kein Wettbewerb unter den Apotheken, ein Sondersteuerrabatt für die Hotellerie (dazu ist alles gesagt), eine Honoraranhebung für die Ärzteschaft. Und zwar ohne, dass den Ärzte klar gemacht wird, dass auch hier (bespielsweise in den Ballungszentren) die Gesetze von Angebot und Nachfrage gelten. Dann noch die Huldigungen an die Steuerberater. Denn tatsächlich ist die FDP nicht die liberale Partei, sondern die Partei der sogenannten „Freien Berufe“, die ihr Berufsfeld durch rigorose Regeln vor Wettbewerb geschützt haben. Die FDP ist die Klientelpartei einiger Berufsgruppen, die sich unter dem Deckmantel des Liberalismus getarnt haben, um Wettbewerb zu verhindern. Und zum Gesagten kommt noch Umfaller Niebel hinzu, der zwar sowohl Entwicklungshilfeministerium und Agentur für Arbeit abgeschafft hat, jetzt aber, wo er versorgt ist, erst mal dafür eintritt, dass Deutschland sein 0,7 %-Ziel wirklich umsetzt. Der Mann ist so flexiblel wie seine Partei. Deshalb hat man in Sachen Entgrenzung der Option zwar was von der CDU, von Koch und Wulff (oder doch Rüttgers, ach herrje, das wechselt bei denen so schnell), aber keinen Ton von der FDP.
  • Liberalität braucht Substanz. Und die ist nicht da. Das größte Problem der FDP ist doch, dass es so wenig Nachwuchs gibt. Leuthäuser-Schnarrenberger hat ihr Austragshäuserl im Justizministerium erhalten, weil sie mit ihrer aufrechten Art den Liberalen vor Jahrzehnten ein Signal auf ihrem Weg in den wirtschaftliberalen Untergang mitgegeben hat. Das ist nobel, aber kein Grund, aus ihr ein Zukunftsmodell zu machen. Wirtschaftsminister Brüderle war zwar bei Kohl noch nicht dabei, aber er hätte gut dazu gepasst. Kein Wunder, wenn man jetzt liest, dass Westerwelle Rösler auf den Knien gebeten hat, nach Berlin zu kommen. Denn was wäre denn sonst noch da gewesen (nein, stopp, Daniel Bahr hatte das ebenso machen können, weiß der liberale Herrgott, warum der nicht zum Zuge kam). Die FDP ist eine ehrwürdige Hülle. Aber ohne Substanz für die Zukunft. Denn eine Partei, die nicht von unten wächst, lebendig ist, streitet und Richtungskämpfe hat, ist keine Partei, sondern ein Juniorpartnerwahlverein. Das sieht man jetzt deutlicher, als man es jemals vermutet hätte.

Vor diesem Hintergrund können wir die bürgerlich liberalen Wählerinnen und Wähler beruhigen: Liberalität ist nicht von gestern, sondern liberales Gedankengut, das intelligent darüber diskutiert, wie die Balance von Büger, Staat und Wirtschaft ist, hat die Partei gewechselt. Sie ist jetzt grün, weil sie verstanden hat, dass es einen neuen Mix, ein neues Zusammenspiel von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft braucht, um unter den neuen Bedingungen von durchlöchertem Nationalstaat, globalem Wettbewerb, der Ressourcenknappheit unseres Planeten und wachsender Ungleichheit ein neues funktinierendes Miteinander zu finden. Deshalb übrigens macht der geforderte neue Gesellschaftsvertrag einen Sinn. Weil es darum geht, dieses Zusammenspiel unter den geänderten Verhältnissen auf eine neue Basis zu stellen. Weil diese Basis ganz angelsächsisch ausgehandelt werden muss in der Gesellschaft und nicht mehr, Tschau, Herr Bismarck, von oben verordnet werden kann. Weil es beim Aushandeln nicht immer friedlich zugehen wird, sondern machmal laut und konfliktreich. Weil wir in einer spannenden Zeit leben, in der es zwar viele von uns finanziell gefährdet sind, aber diese Zeit trotz allem um nichts auf der Welt eintauschen wollen. Weil wir das Wissen der Welt greifbar nahe haben. Und doch nicht wollen, dass Google künftig der alleinige Gatekeeper sein soll. Weil wir den potentiellen Ideenreichtum erahnen und den Mißbrauch fürchten. Weil wir wissen, dass wir in wahrlich revolutionären Zeiten leben. Und dass wir deshalb gründlich und ernsthaft diskutieren und streiten müssen. Weil das Alte so nicht mehr funktionieren wird. Und was vom Neuen wie funktioniert, wir einfach noch nicht wissen können.

Zukunft ist ungewiss. lieber Bernd Ulrich. Da, würde ich sagen, sind alle Menschen, die wach sind und sich auf die Suche machen, ein echter Gewinn. Und alle, die sich selber auf die Brust schlagen und betonen, dass sie die Grössten sind, ein Ausfall. Und diejenigen, die sich in lautlosen Suchbewegungen selbst nicht finden und die als Partei nicht mal eine lebhafte Diskussion darüber führen können, welche Wege in die Zukunft führen, die sind noch nicht verloren. Aber eben auch kein Zukunftskonzept. In diesem Sinne ist eine liberale Grundhaltung eine, die mit möglichst wenig Staat einen Rahmen schaffen will, in dem sich möglicht viele Menschen zum Nutzen der Gesellschaft und ihrem eigenen Nutzen einbringen können. Wenn wir an diesem liberalen Grundgedanken festhalten und die Ständeinteressenpartei FDP außen vor halten können, dann freue ich mich auf eine lebnafte Debatte. Und eine gute Zukunft für ein weiterhin weltoffenes und dynamisches Deutschland. Das Land ist besser, als seine Politiker glauben. Wenn es uns gemeinsam gelingt, den Politikern zu zeigen, dass niemand von ihnen verlangt, dass sie die Welt retten (weil wir alle längst verstanden haben, dass sie das nicht können), wäre viel gewonnen. Und nur überflüssige Aufregung verloren.

In diesem Sinne: Venceremos. Trotz Kopenhagen und anderem. Bei Spiegel Online lese ich heute, dass das EU-Parlament (das EU-Parlament, man höre und staune!), das Swift Abkommen, das uns alle vor den Amerikanern nackt gemacht hätte, abgelehnt hat. DAS EU-PARLAMENT! „Wo die Gefahr aber ist“, meinte Hölderlin, „wachst das Rettende auch“. In diesem Sinne blicken wir zuversichtlich nach vorne.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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