Warum politische Spielchen für die Soldaten in Afghanistan tödlich sein können.

Lothar Rühl hat Recht. Ich kann zwar nicht beurteilen, ob jetzt 1000 oder 600 Soldaten richtig sind, um nach dem Abzug der Truppen Stabilität zu ermöglichen. Aber die Logik, nach dem das Ganze verhandelt wird, ist klar: Zwei links, zwei rechts, zwei fallen lassen. Die Sicherheit der Restbesatzung der deutschen Befreier, steht auf dem Spiel. Und die arithmetische Logik, in dem ein militärisches Problem dann wieder den Kompromissapparat der Politik angeworfen hat, die ist beschämend. Warum muss Politik eigentlich immer alles dieser seltsamen, sachfremden Logik unterwerfen. Gesicht wahren, auf Kosten echter Gefahren, Kinderspielchen auf Kosten echter Menschenleben.

Wann fangen wir einmal an, die Kosten der Dominanz des billig Politischen zu kalkulieren?

Der Beitrag im Anhang:

MONTAG 15. JULI, 2013
Nach der Isaf kommt das Speichenrad
Der Abzug der Alliierten aus Afghanistan und die Autorität der Zentralregierung in Kabul / Von Lothar Rühl
„Geordneter Rückzug bei zunehmenden Kampfhandlungen in unübersichtlicher Lage mit ungewisser Entwicklung.“ In diesem Satz lassen sich die Annahmen der Bundeswehrführung über die vermutlichen Bedingungen des Isaf-Rückzugs aus Afghanistan bis Ende 2014 zusammenfassen.

Für den Abzug der deutschen Kampftruppen und der Unterstützungskräfte aus der Nordzone wird dabei die Lageentwicklung für 2014 in Berlin relativ optimistisch eingeschätzt. Dies vor allem, weil, vom „Paschtunen-Fleck“ um Kundus abgesehen, die Beziehungen zur einheimischen Bevölkerung als stabil gut und das Engagement nebst den operativen Fähigkeiten der afghanischen Regierungstruppen als ausreichend für stabile Sicherheit beurteilt werden. Ausbildung, Stärke und Engagement der afghanischen Armee im Norden des Landes werden von den hohen deutschen Militärs mit Einschränkungen positiv gewertet. Die Polizei und die Spezialkräfte des Innenministeriums liegen nach diesem Urteil dagegen noch deutlich zurück, worauf auch die Zahl der Zwischenfälle und Überfälle zurückzuführen sei.

Wesentlich für die Motivation der afghanischen Sicherheitskräfte sei vor allem eine nach 2014 fortdauernde aktionsfähige und psychologisch beruhigende internationale Militärpräsenz, insbesondere eine amerikanische, mit Eingreifkräften; dazu gehören Luftaufklärung, Lufttransport, elektronische Überwachung, Fernmelde- und Führungsdienste und Sanität. Hinzu komme die Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe.

Die von der Nato für „post-Isaf“ vorgesehenen 12 000 Soldaten einer internationalen Präsenz werden von den Nato-Partnern einmütig als das operative Minimum angesehen. Trotzdem hat Präsident Obama sich über den amerikanischen Anteil das letzte Wort noch vorbehalten. Man will sich in Washington nicht zu früh auf eine bestimmte Anzahl von Soldaten festlegen. Auch das Engagement der Alliierten in diesem Rahmen von 12 000 spielt dabei eine Rolle.

Der Abzug soll kein Land im Chaos hinterlassen. Deshalb hatte die militärische Führung der Bundeswehr – ganz wie die der amerikanischen Streitkräfte in größerer Dimension – auch eine stärkere deutsche „post-Isaf“-Präsenz empfohlen: 1000 bis 1200 Soldaten. Die Bundesregierung entschied sich aber für die sofort bekanntgegebene geringere Stärke von 600 bis 800 Mann vornehmlich aus politischen Gründen und auf Drängen der FDP-Minister, um das deutsche Engagement und Risiko nach 2014 nicht als groß erscheinen zu lassen.

Es könnte aber gerade deshalb zu einem höheren Risiko für die verbleibenden deutschen Ausbildungs- und technischen Unterstützungskräfte kommen, selbst in ihrer räumlichen Konzentration in der „Nabe des Speichenrads“ der internationalen Restpräsenz um Kabul.

Die „Peripherie“ mit Aufklärung, Sicherung, Luft-Boden-Unterstützung, Logistik, Sanität und Evakuierungsfähigkeiten ist bei 600 bis 800 Soldaten knapp bemessen und dünn ausgewalzt. Die Entscheidung für die geringe Zahl wird nur dann haltbar sein, wenn entweder ein tragfähiges Abkommen mit den „Aufständischen“, das heißt im Kern mit der Taliban-Führung um Omar Mullah, vorher zustande kommt oder die Qualität der afghanischen Sicherheitskräfte weiter zuverlässig verbessert werden kann. Das Risiko ist also von den politischen Bedingungen und der inneren Regimestabilität in Afghanistan bestimmt. Politisch werden aber, auch nach vorherrschender Einschätzung unter den Alliierten, der Rückzug der Isaf 2014 und die internationale Präsenz danach in einem Land vonstattengehen, das von Machtkämpfen und Zersplitterung gekennzeichnet sein wird.

Es wird dann nicht so sehr von der Handlungsfähigkeit und Autorität der Zentralregierung in Kabul und von Präsident Karzai oder dessen noch nicht einvernehmlich bestimmtem Nachfolger abhängen, ob das erreichte Maß an Sicherheit bleibt, sondern von den regionalen Machthabern und einer friedlichen Koexistenz zwischen ihnen und mit Kabul. Ohnehin kommt nur eine konföderative Lösung für Afghanistan in Betracht, die auf regionaler Autonomie gründen würde. Außerdem müssten die althergebrachten Sitten und Gebräuche der afghanischen Stammesgesellschaft und die ethnisch-kulturellen Eigenheiten der Stämme berücksichtigt werden, einschließlich der Handelswege, also auch der Schmuggelpfade über die Grenzen nach Pakistan, nach Zentralasien, China und Iran. Die Amerikaner hatten anfangs fünf Stützpunkte als Endpunkte für das „Speichenrad“ um Kabul in verschiedenen Landesteilen vorgesehen. Inzwischen haben sie erkannt, dass sie noch vier weitere brauchen, darunter einen in Jalalabad im Osten Kabuls an der Straße nach Peschawar in Pakistan für die CIA-Operationen der strategischen Aufklärung, die gerade nach Abzug der Isaf wichtig zur Abstimmung der afghanischen Sicherheit bleibt.

Eine strategische Orientierung für die Zeit nach der Isaf, jedenfalls für die nächsten zwei bis drei Jahre nach 2014, ist noch nicht gefunden. Obamas Politik der „Kriegsbeendigung“ und des „strategischen Rückzugs“ aus Afghanistan bis auf eine Nachhut für eine Übergangszeit, dazu das Konzept „regionaler Stabilisierung“ mit Pakistan, China, Indien und Zentralasien – all das verschwimmt noch in der Mehrdeutigkeit.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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