Was dem Westen fehlt. Warum die Kanonenbootpolitik des Westens scheitert. Im Irak, Afghanistan und auch in der Ukraine

Mit einiger Sorge und Skepsis betrachtet man die zunehmende Entstabilisierung Afghanistans. Aber warum der Westen keinen Erfolg haben kann, darüber redet man nicht.

Jetzt ist wieder Aufregung im Stall! Nach der ganz und gar friedlichen Weihnachtsbotschaft der EKD Vorsitzenden Käßmann sind die Mannen aufmarschiert, um gegen die gesinnungsethischen Reden Stellung zu beziehen. Raph Fücks hat dafür schon jede Menge Prügel bezogen, dass er den AfghanistanKRIEG verteidigt. Und kann man Die Fücks’schen Ausführungen noch als die Nachhutgefechte des grünen Realo-Flügels begreifen, am Beschlossenen festzuhalten, gibt die Ausführung Tom Koenigs mehr zu denken. Er weiss aus eigener Anschauung, was es bedeutet in Bürgerkriegsgebieten Aufbauarbeit zu leisten. Und er ist kein Mann der Parteilinie. Er argumentiert im Sinne der Menschenrechte, der Frauenrechte und der liberalen Grundwerte, wenn er den weiteren Einsatz in Afghanistan rechtfertigt. Aber trotzdem: liegt er dabei richtig?

Einige Überlegungen.

Zuerst die Dinge beim Namen nennen: Der Krieg in Afghanistan ist ein Krieg um Einflußgebiete. Das schwer zugängige Gebiet ist nach der Niederlage der Sowiets gegen die vom Westen finanzierten Talilbans ein Biotop für einen besonders kruden Islamismus geworden. Und spätestens nach Lektüre des Drachenläufers bekommt man eine Ahnung davon, dass die Islamisten in Afghanistan auch eine soziale Dimension hatten: Die Machtergreifung der Unterprivilegierten, der zuvor Deklassierten, Bildungslosen, die damit einher geht.

Wenn der Westen also jetzt wieder eingreift, dann, um die Fehler, die er zuvor gemacht hat, mit den Fehlern von heute zu korrigieren.

Denn niemand bestreitet, dass die derzeit noch herrschende Regierung von Korruption an- oder gar abgenagt ist und nicht über der realen Gesellschaft schwebt, sondern mittendrin ist. Und sich deshalb mit der Macht der Clans arrangieren muss.

Neben der Frage im Westen dominierenden Frage „Wie hältst du es mit dem Islam“ stellt sich auch die Frage, wie korrupt und an einer sozialen Entwicklung interessiert eine Regierung ist.

Zum Zweiten: Das Standardmodell westlicher Demokratie taugt nicht zur Beurteilung einer nachhaltigen Entwicklung von Gesellschaften. Der Westen ist in der Beurteilung politischer Regime (offiziell) zu sehr an seinem westlichen Standardmodell von Demokratie orientiert. Meinungsfreiheit, Menschenrechte, politische Grundrechte stehen hoch im Kurs, die Frage der ökonomischen Teilhabe an Entwicklung und Reichtum, des Existenz von Aufstiegsmöglichkeiten fällt üblicherweise völlig unter den Tisch.

Mit fatalen Folgen: Waren in den alten Zeiten des Ost-West-Konfliktes Fragen von Verteilungs- und Partizipationsgerechtigkeit aus Systemkonkurrenzgründen noch auf der Tagesordnung, entfällt dieses Korrektiv nach dem spektakulären Scheitern des Staatsplansozialismus.

Das müsste nicht sein. Denn die Fixierung auf die politische Ebene ist völlig willkürlich. Längst weiss die Sozialwissenschaft, dass die Entwicklung eines stabilen politischen Systems nur auf Basis eines existierenden Mittelstands funktieren kann, der sein Interesse an einer stabilen Entwicklung wirkungsvoll von innen artikulieren kann. Und somit der Tendenz zur Oligopolbildung entgegenwirkt.

Und die Erkenntnis, dass das westliche Modell der Gewaltenteilung die Existenz einer nationalen Identität voraussetzt, ist auch nicht neu. Und wenn familiare und Clanstrukturen, wie beispielsweise heute noch in Italien, eine Leistungsgesellschaft konterkarrieren, dann bilden sich eben andere Muster heraus. Aber reflektiert in die Politik ist das noch nicht eingeflossen.

Zum Dritten: Der amerikanische Interventionismus ist die politische Form des wilden Westens. Es wird der Colt gezogen, gezielte Kampagnen zur Auswechslung von Regimen. Was bleibt, ist vielfach zweifelhaft. Wohin das führt, zeigt die Ukraine. Es braucht nicht einmal einen islamischen Hintergrund, um das Scheitern eines radikal westlichen Modells nachzuvollziehen. Der Sieg der alten Ukraine gegen die orangene Revolution ist der Sieg des Denkens in langen Linien gegen – die Kanonenboot-Scheckbuch-Geheimdienstnummer. Der Verweis auf Nachkriegsdeutschland greift zu kurz. Deutschland war auf dem Weg der Moderne, bevor es sich auf den grusseligen und menschenverachtenden Abweg des Nationalsozialismus gemacht hat.

Man muss klar konstatieren: Der Weg einer stützenden europäischen Intervention droht ebenfalls zu scheitern. Der Westen klammert sich an Karsai mangels Alternativen. Und der, wahrscheinlich beraten von einer PR-Agentur, inszeniert sich wieder in schönen Gewändern. Bis zum nächsten Mal. Einfluss hat Europa wenig. Und letztlich ist es auch ein trauriges Bild, wenn das heterogene Europa den starken Bruder USA anrufen muss, dass der in bekannter Weise nochmal für Ordnung sorgt.

Afghanistan. Absurdistan. Auch Tom Königs Verweis auf die notwendigen Polizeikräfte macht eine Verhandlungsalternative auf, aber keine echte Entwicklungsperspektive. Es geht darum, wie sich Europa aus der Affaire ziehen kann und Afghanistan als Rückzugsgebiet von Al Kaida verhindern kann. Aber letzteres ist, wenn man Zeitungen glauben kann, ohnehin längst nicht mehr der Fall. Die Terrorkarawane ist Richtung Paktistan weiter gezogen.

Tatsache ist: Es geht um Macht, um Einfluß, um die Befriedung von Regionen unter westlicher Vorherrschaft. Das wird legitimiert mit allgemeinen und überzeitlichen Demokratiewerten und Menschenrechten, die allerdings, wenn die Lage passt, auch wieder entsprechend aus dem Blickwinkel gerückt wird.

Kommen wir auf Käßmann zurück. Eine Debatte ist notwendig, eine ehrliche Debattte auch. Ich zweifle, ob der Käßmannsche Beitrag in seiner Gesinnungsethik tatsächlich ein verantwortungsethisches Konzept zu lässt. Sicher ist, dass auch die Verantwortungethiker gut daran täten, mal eine Runde Besinnlichkeit einzulegen. Denn mit gutem Grund lässt sich darüber streiten, ob die Wahrung westlicher Interessen, der treibende Faktor, in dieser Form erfolgreich sein wird.

Wir sind gespannt, wie die Debatte sich weiter entwickelt.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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