Was die Banken besser mach(en könnte). Und warum Politik manchmal besser gründlich nachdenken sollte.

Ein ganz wunderbarer Artikel aus der App der Süddeutschen Zeitung, der zeigt, wie manchmal das Gegenteil dessen rauskommt, was man will.

Wirtschaft, 14.09.2013

Finanzwelt

Die neue Sucht nach Größe
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Von Andrea Rexer

Frankfurt – Am Ende musste auch der Gorilla dran glauben. So lautete der Spitzname von Richard Fuld, dem Chef der Investmentbank Lehman Brothers. Fuld hatte sogar einen großen, ausgestopften Affen in seinem Büro in Manhattan stehen.

Erworben hat der 57-Jährige seinen Spitznamen durch seine Ausdrucksweise, die alles andere als zimperlich ist. Kurz vor der Pleite am 15. September 2008 lief Fuld noch einmal zur Höchstform auf. „Ich bin ganz sanft, ja fast liebenswert“, sagte er bei einer Rede vor Mitarbeitern, die noch heute auf dem Online-Videokanal Youtube zu sehen ist. Der Banker erntete von seinen Getreuen lautes Gelächter. Seine Mitarbeiter liebten diese frechen Sätze, und sie wussten, dass ihr Chef mit solchen Formulierungen meist einen Frontalangriff einleitete. In diesem Fall richtete sich Fulds Attacke gegen jene Spekulanten, die im September 2008 auf den Untergang seiner Bank wetteten: „Ich werde ihnen die Herzen herausreißen und sie essen, bevor sie sterben.“ Die Mitarbeiter johlten.

Das Herz herausreißen. Essen. Sterben. So hörte sich Banker-Rhetorik vor der großen Krise an. Vor dem Zusammenbruch der Wall Street. Vor der Pleite von Lehman Brothers und Dutzenden anderen Banken in den USA und Europa. Danach waren solche Sätze nicht mehr zu hören. Weder von Fuld noch von anderen. Kleinlaut räumte Fuld ein paar Wochen später, als der Kongress in Washington ihn zur Anhörung bat, ein: „Ich fühle mich schrecklich.“

Solch eine rhetorische Wandlung wie Richard Fuld vollzogen auch andere. Vor dem Crash saß das Mundwerk der Banker locker, doch nach dem Lehman-Beben rissen sich die meisten am Riemen. So gut es ging jedenfalls. Man übte sich in Demut. Und wer das nicht tat, wurde zurückgepfiffen. Wie Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, den Bundeskanzlerin Angela Merkel – ohne seinen Namen dabei direkt auszusprechen – öffentlich rügte, „schon wieder eine dicke Lippe zu riskieren“.

Die Welt der Banken: Sie zerfällt seither in eine Zeit vor Lehman – und in eine Zeit nach Lehman. Die Sprache der Banker hat sich geändert, aber auch ihre Strategie. Früher redeten die Banker gern davon, dass sie mit ihrem Institut expandieren und wachsen wollen, dass sie neue Märkte erobern und innovative Produkte entwickeln wollen. Nun erklären sie, dass sie das Geschäft fokussieren und sich auf die Kernleistungen der Bank konzentrieren wollen. Wer witzig sein will, spickt seine Äußerungen dann noch mit dem Satz: „Boring is the new sexy.“ Will heißen: Langeweile ist ab jetzt erstrebenswert.

Doch wie ernst ist das gemeint? Wurde nur die Fassade neu getüncht, und dahinter werden die gleichen Spielchen wie eh und je gespielt? Oder haben sich die Banken in den fünf Jahren wirklich geändert?

Stellt man diese Frage den Bankern, bekommt man den Eindruck, dass kein Stein auf dem anderen geblieben ist. So beteuern alle großen Investmentbanken, dass sie ihre internen Zockerbuden – offiziell „Eigenhandel“ genannt – geschlossen hätten. Analysten und Branchenkenner entgegnen, dass jetzt von anderen Schreibtischen aus gezockt werde. Zu unterscheiden, wann Banken im Kundenauftrag Wetten eingehen und wann sie das aus eigenem Antrieb tun, ist enorm schwierig. Selbst der deutschen Bankenaufsicht Bafin ist das nicht gelungen, als sie mehrere Monate lang den Eigenhandel der Banken untersuchte. Auch deshalb halten viele Experten es für realitätsfremd, das von vielen Politikern geforderte Trennbankensystem einzuführen – und die großen Geldinstitute in solide Geschäftsbanken und riskante Investmentbanken aufzuspalten.

Aber die Banken unterliegen auch einem von außen verordneten Wandel durch die Politik. Auf europäischer und nationaler Ebene wurden einige neue Regeln erlassen, die zu Veränderungen geführt haben. Boni-Zahlungen etwa wurden EU-weit begrenzt und stärker an den langfristigen Erfolg gebunden. Zudem können Boni zurückgefordert werden, wenn eine Bank wegen der Geschäfte später Verluste macht. Die Regulatoren wollen dadurch erreichen, dass einzelne Banker nicht mehr dazu verleitet werden, kurzfristig ins Risiko zu gehen. Bei der Deutschen Bank etwa sind die Boni-Töpfe kräftig geschrumpft. Einige Banken haben allerdings im Gegenzug die Fixgehälter angehoben.

Auch in anderen Bereichen gibt es Fortschritte: Kundenberater müssen nun in Deutschland ihre Gespräche mit Privatkunden aufwendig dokumentieren. Der Wertpapierhandel soll ebenfalls transparenter werden. So wusste früher niemand, wo denn all die Risiken liegen, die durch komplexe Finanzinstrumente in der Welt verteilt wurden. Deshalb hat die Politik beschlossen, dass viele Derivate künftig nicht mehr „über die Theke“ gehandelt werden dürfen, also direkt zwischen zwei Banken oder Händlern. Stattdessen sollen die Geschäfte künftig über börsenähnliche Plattformen abgewickelt werden – so jedenfalls der Plan, dessen Umsetzung aber noch am Anfang steht. Auch die Rating-Agenturen gehorchen heute strengeren Spielregeln als vor der Krise.

Nimmt man die Seitenanzahl, die notwendig ist, um all die neuen Spielregeln aufzuzeichnen, kommt man zum Schluss: Es hat sich wirklich viel verändert. Allein die neuen Eigenkapitalregeln, genannt „Basel 3“, kommen auf weit über 1000 Seiten. Der Vorgänger „Basel 2“ umfasste nur 350 Seiten, das erste Regulierungswerk gar nur 30. Die Kapitalregeln gelten als das Kernstück der neuen Bankenwelt. Denn mehr Eigenkapital macht die Banken sicherer – und zwar egal, in welchen Bereichen die nächste Krise Verluste verursacht.

Eigentlich gelten die neuen Eigenkapitalregeln namens „Basel 3“ erst stufenweise ab dem Jahr 2019, doch die großen Banken haben ihre finanziellen Puffer schon jetzt aufgestockt. Zu groß war der Erwartungsdruck der Investoren: Denn die Anleger bevorzugen jene Banken, die den künftigen Spielregeln und Sicherheitsstandards schon jetzt gewachsen sind.

Auch wenn die Fortschritte sichtbar sind, fordern immer mehr Ökonomen, Notenbanker und Politiker noch weitergehende Maßnahmen: Die Banken sollen noch dickere Kapitalpolster anlegen als gemäß „Basel 3“. Zudem sollen die Banken nicht länger mithilfe ihrer Risikomodelle selber berechnen dürfen, wie hoch ihr Kapitalbedarf denn ist. Stattdessen wird der Ruf nach einem neutralen Maß immer lauter.

Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, zeigt an einem Beispiel, wie irreführend die individuellen Berechnungen der Banken sein können: So weist die verstaatlichte Hypo Real Estate (HRE) eine Kernkapitalquote von über 18 Prozent aus. Die meisten anderen Banken sind froh, wenn sie sieben Prozent schaffen. Berechnet man die Eigenkapitalquote ohne Rechentricks, stellt man fest, dass die HRE in etwa so hoch verschuldet ist wie die Deutsche Bank.

Doch die neuen Spielregeln verändern die Banken auch noch in anderer Hinsicht: Die Geldinstitute werden einfacher, weil sie sich auf bestimmte Geschäftsfelder konzentrieren, die Strukturen werden schlanker. Ein Beispiel dafür ist die Schweizer Großbank UBS, die sich aus Teilen des Investmentbankings ganz zurückgezogen hat. Hintergrund ist, dass die neuen Eigenkapitalregeln manche Geschäfte verteuern. Die Margen sinken, die Kosten dagegen bleiben stabil. Will eine Bank weiterhin Gewinne machen, gibt es daher nur einen Ausweg: Sie muss mehr Geschäft machen. Mehr Volumen. Sie muss also darum kämpfen, Marktanteile zu gewinnen.

Und das ist die Kehrseite der Medaille: Andere Banken übernehmen jene Marktanteile, die von der UBS aufgegeben wurden. Die Folge: Auch diese Banken wachsen.

Dies ist die wohl auffälligste Veränderung seit Ausbruch der Finanzkrise: Die Banken sind größer geworden. Ein prominentes Beispiel dafür ist JP Morgan: Die inzwischen größte amerikanische Universalbank hat in der Krise schwächelnde Mitbewerber aufgekauft – und zudem Marktanteile von anderen Banken gewonnen, die es nicht mehr gibt oder die sich aus bestimmten Bereichen zurückgezogen haben. Ganz ähnlich die Deutsche Bank: Sie hat vom Rückzug von Banken wie der UBS profitiert und mitten in der Krise die Postbank übernommen.

Es klingt wie eine Ironie des Schicksals: Die Politik erklärt seit fünf Jahren, es sei ihr Ziel, dass Banken kleiner werden. Keine Bank soll mehr zu mächtig sein, um das System ins Wanken zu bringen, wenn man sie nicht rettet. „Too big to fail“ nannten die Politiker das Problem, das sie lösen wollten. Doch erreicht haben sie ganz offensichtlich das Gegenteil: Neue Bankengiganten wachsen heran.

Was tun?

Zunächst sollte man sich fragen, ob man neben kleinen, regional aktiven Banken auch Großbanken braucht. Und diese Frage muss sich an der Realwirtschaft ausrichten, denn Industrie und Mittelstand sind es, denen Banken als Dienstleister zur Verfügung stehen müssen. Die erste große Umwälzung im Bankensektor gab es zur Zeit der Industrialisierung, als sich aus den bis dahin inhabergeführten Privatbanken die heutigen Geschäftsbanken auf Aktienbasis entwickelt haben. Entstanden sind diese „merchant banks“, weil die Privatbanken Kredite für die Großindustriebetriebe nicht mehr stemmen konnten. Sie brauchten mehr Kapital.

Die Entwicklung, die Unternehmen heute mitmachen, ist die Globalisierung: Konzerne wie Siemens oder Daimler sind auf der ganzen Welt aktiv. Folglich brauchen sie auch Banken, die global tätig sind. Und um als Geldinstitute eine globale Struktur zu haben, ist Größe eine Voraussetzung. Auch wenn für den Privatkunden die Sparkasse ums Eck ausreichend ist – für einen Konzern reicht das nicht.

Wenn aber die Schlussfolgerung ist, dass Größe auch Vorteile hat, muss man sich darum kümmern, wie die Nachteile eingegrenzt werden können. Und diese liegen auf der Hand: Gerät eine große Bank in Schieflage, bringt sie das gesamte Land in Bedrängnis. Soll verhindert werden, dass der Steuerzahler einspringen muss, braucht es ein internationales Regelwerk, welches es erlaubt, auch Bankgiganten geräuschlos abzuwickeln. Doch genau in diesem zentralen Punkt gibt es kaum Fortschritte. Anfang September forderte das „Financial Stability Board“, in dem Zentralbanker aus aller Welt zusammensitzen, die Staaten auf, endlich die notwendigen Gesetzreformen dafür auf den Weg zu bringen – es klang wie ein Hilferuf.

Vielleicht brauchen fünf Jahre nach Lehman auch Politiker und Aufseher einen Kulturwandel. Sie sollten sich etwas von der Sprache der Banker vor der Krise zu eigen machen: Sie müssen laut werden. Und deutlich. Sonst dringen sie nicht durch.

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Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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