Was mir bei der Lektüre Streecks gekaufter Zeit und Colin Crouch, jenseits des Neoliberalismus in den Sinn kommt.

Streecks Beschreibung ist richtig. Die Nachkriegsjahre waren Jahre, in denen Teilhabe der Gesellschaft an Wohlstandsvermehrung durch drei verschiedene Modelle hergestellt wurde.

Phase 1 und 2 über den Sozialstaat, wobei Friktionen über (Phase 1) Inflation und (Phase 2) Staatsverschuldung bereinigt wurden. In der neoliberalen Ära, und genau genommen, vorerst in den USA hat die wachsende Privatverschuldung die Teilhabe hergestellt. Er nennt es „zeitweilige Notbehelfe, mit denen demokratische Politik den Anschein eines Wachstumskapitalismus … (für alle).. aufrecht erhielt.“ (3. Kapitel.)

Und, auch das ist richtig, niemand weiß, wie dieses Modell in die Zukunft führen kann.

Die Frage ist, wo sich eine Lösung abzeichnet. Meine These: Sie liegt unterhalb der Alternative Markt oder Staat/Demokratie oder Kapitalismus. Dazu erst noch ein paar Schritte zurück:

Während Streeck die Entwicklung ökonomisch und auch polititökonomisch zutreffend beschreibt, bleibt sein Bild der Gesellschaft unterentwickelt. Hier trifft es sich übrigens mit Colin Crouch, dessen analytisches Instrument nicht so tiefschürfend marxistisch ist, der nicht so sehr die ökonomischen Entwicklungslinien fortschreibt, sondern der das reformerische Subjekt, die Sozialdemokratie, zum Kernakteur der gesellschaftlichen Entwicklung macht.

Die Schwäche Streecks ist die Schwäche der marxistischen Analyse der Gesellschaft: Es geht um die Analyse der gesellschaftlichen Macht- und Legitimationsfrage, es geht aber nie um die Frage, welche Konstellation welche Leistungen erbringt. Wenn Unternehmen nicht ständig neue Dinge entwickeln, verliert der Standort Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit, die erst den „Nase vorne“-Effekt freisetzt, den europäische Gesellschaften brauchen, um sich den Sozialstaat leisten zu können.

Das europäische Gesellschaftsmodell wird in der kompetitiven Auseinandersetzung mit dem mittleren Osten und den asiatischen Staaten künftig stärker gefordert sein. Es muss den Vorsprung halten, die Moderation des globalen Transformationsprozesses gewährleisten, eine wachsende Teilhabe anderer Länder und Kontinente an der Wertschöpfung ermöglichen und den Wandel des anglosächsisch-europäischen Modells demokratisch kapitalistischer Gesellschaften moderieren. Und es muss, darauf verweist uns der NSA Konflikt, sich seiner eigenen Werte erst einmal wieder versichern. Denn diese sind, und zwar vor den Augen der Weltgesellschaft, weitgehend geschreddert. Gesellschaftliches Multitasking ist also gefragt.

Wir sollten uns bewußt sein, dass ein analytisch überzeugendes Modell wie eine neomarisistische Analxse nicht notwendigerweise praktisch richtige Ratschläge ergeben muss. Die Komplexität des tatsächlichen gesellschaftlichen Prozesses wird in politökonomischen Modellen nur unzureichend abgebildet, die auf einige Kernfaktoren reduzierten Modelle sind eher der Begrenztheit unseres Verstandes, unserer Wahrnehmung und unseres Glaubens als der Wirklichkeit geschuldet.

Interessanterweise erscheinen mir Colin Crouch praktische Schlußfolgerungen überzeugender. Wenn er analysiert, dass Staat und Konzerne überwiegend fragwürdige Deals auf Kosten der Gesellschaft organisieren, deckt sich das mit meinen Beobachtungen. Mehr jedenfalls als die Streecksche Schlussfolgerung, wenn der Finanzkapitalismus die Demokratie nicht mehr aushält, könnte es doch sein, dass sich die Gesellschaft entscheiden muss, ob Demokratie oder Kapitalismus der Weg, die Alternative ist. (Sehe gerade, dass Augsteins Buch auch einen solchen Titel hat).

Vor komplett politisch administrierten Systemen graut mir; Zu einfältig ist der menschliche Verstand, als dass man ihm die Beherrschung der Gesamtverhältnisse übereignen sollte.

Was tun?

Endgültige Antworten gibt es also noch keine, aber eine kritische Gesellschaftsanalyse muss folgende Fragen beantworten:

Wie kann die europäische Gesellschaft die Innovationskraft freisetzen, die die amerikanische auszeichnet; – ohne deren Verwerfungen, die dauernde Zufuhr von Migranten, legalen wie illegalen, Futter für die kapitalistische Maschine, akzeptieren zu müssen.

Was muss Politik tun, damit Unternehmen unternehmen können? Es geht nicht darum, dass Politik und Wirtschaft Aktivitäten miteinander abstimmen. Wenn gute Politik „Einvernehmen“ von Politik und Wirtschaft unterstellt, verkennt sie die Heterogenität der Interessen von kleinen Unternehmen, innovativen wie traditionellen, Großunternehmen und global agierenden Konzernen.Es gibt nur in wenigen Fragen „das Wirtschaftsintesse“. Global agierende Konzerne sind der Politik am nächsten, politische Meinungsbildung, also die Organisation von Mehrheiten, das sind sie auch aus ihren eigenen Unternehmen gewohnt, bedeutet, Unterstützer zu gewinnen, Mittelständler haben für diese „kommunikativ politischen Strategien“ oftmals keinen Sinn.

Insofern bedeutet Einvernehmen von Politik und Wirtschaft oftmals die Sicherung oligopoler Positionen von Konzernen und die Wegbereitung für die oligopolen Interessen dieser Konzerne „oversea“.

Vor diesem Hintergrund zeichnet sich auch das Versagen der aktuellen Politik ab. Indem sie sich kein eigenständiges Bild ihrer Rolle, ihrer Handlungsmöglichkeiten und -beschränkungen in dieser Zeit macht, indem sie nicht darüber nachdenkt, wie sie Zusammenhalt UND Leistungsfähigkeit sichern kann, versagt sie. Stattdessen versackt sie in einem Wettbewerb des Kuschelns, der ironischerweise von denen, die die Hautnutzniesser einer solchen Politik sein sollten, nicht einmal zur Kenntnis genommen wird. Die Wahlbeteiligung der Desintegierten, der Modernisierungsverlierer und der Zugewanderten, die die Konzeption des deutschen Sozialstaats zwar genutzt, aber nie verstanden haben, sinkt weiter. Soziale Leistungen werden akzeptiert, angenommen und in eigenen Geschäfätsmodelle integriert, Zusammenhalt im Sinne des Einverständnissses zu bestehenden Konzeptionen der Gesellschaft und des Sozialstaates dürfen deshalb nicht erwartet werden. Es geht darum, das Selbstbild der bürgerlichen Mitte aufrecht zu erhalten. Mehr nicht.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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