Was sie könnten. Wenn Sie wollten. Die GRÜNEN. Ein Beitrag zur Lagerdebatte

Die Grünen haben sichfür eine Koalition mit der SPD entschieden. Nichts neues, trotz all des Pulverdampfes, das nach dem Papier von Dieter Janecek und mir erzeugt wurde. Aber nur wenn sie ihren Kurs der Eigenständigkeit verfolgen, können sie das hohe Vertrauenspotential auch nutzen.

Ein Blick zurück

Die Grünen sind einen langen Weg gegangen, vom Rande der Gesellschaft in die Mitte. Das schönere Bild ist zwar das Gerhard Schröders mit seinem „ich will hier rein“, aber es bleibt auch eine individuelle Momentaufnahme. Die 68er, viele große Egos, die ihre Dickköpfe durchgesetzt haben. Die, das wird aber vergessen, sich auch umgesehen haben, wahrgenommen haben, dass die altdeutsche Klischeebeschreibung der idyllischen Familie nicht mehr stimmt (auch wenn sich viele genau so eine Beziehung wünschen), sondern sich neue, zuweilen auch prekäre Formen des Zusammenhalts gefunden haben. Eine andere Rolle der Frau, Homo-Ehen, Patchworkfamilien, Verlässlichkeiten unter Freundinnen und Freunden, das alles ist inzwischen anerkannte Realität geworden. Man könnte sagen, jetzt hat die Gesellschaft nachvollzogen, was gegen den Widerstand, die Nachkriegsbrille abzulegen, vor 30 Jahren thematisiert wurde. Und nicht alles wurde gut, manches wurde nur vielschichtiger, die Rolle der Frau beispielsweise, an der sich zeigt, dass die formale Aufwertung die eine Seite ist, die manchmal wortlose Verweigerung der Männer, ihre Rollen verantwortlich zu übernehmen, die andere Seite. Und diese Seite zeigt auch, dass es nicht nur auf gesetzliche Regulierungen ankommt. Sondern darauf, die Wahrnehmung, das Denken und Fühlen der Menschen zu erreichen.

Politik der Sinne. Und des Verstandes

Man könnte sagen, die Grünen haben die Nasen und Ohren aufgesperrt. Unter Verweis auf Hanna Arendt, sie haben die Fähigkeit zu denken und eins und eins zusammen zu zählen, genutzt. Dem blinden Fortschrittsoptimismus haben sie Reflektionsvermögen entgegengesetzt, das Prinzip „Aus den Augen, aus dem Sinn“ durchbrochen, bei den Endlagern tief unter unseren Füßen, bei den Atommeilern, die so sauber, rund, schnuckelig und weiß in der Landschaft stehen. Nicht jeder Schmutz ist schmutzig, mancher dafür aber ziemlich lange haltbar. Ja, haben sie sich gedacht, dass die Welt auch anders sein könnte. Sie haben verstanden und artikuliert, dass das alles nichts nutzt, der Reichtum, das Geld, das Schaffe Schaffe, wenn die Grundlagen unserer Zukunft, natürliche Ressourcen, nicht mehr da sind. Vor diesem Hintergrund sind sie eine postmoderne, tief im bürgerlichen Lebensgefühl verankerte Partei. Auch wenn der Zusammehalt der Gesellschaft, Solidarität, Lebenschancen, mit zum Lebens- und Gesellschaftskonzept gehören.

Widersprüche aushalten können

Unterschätzt wird, dass die Grünen, mehr als andere Parteien, Widersprüche aushalten können. Weniger Autos sind mehr, der Satz von Winfried Kretschmann hat die Welt verändert. Weil er eine längst bekannte Wahrheit ausgesprochen hat, ohne eine Lösung zu liefern. Der Satz „Aber ich bin Ministerpräsident, nicht der Markt“, rückt damit die Rolle nationaler Politk in einer globalisierten Wirtschaftswelt wieder zurecht. Grüne Politik als David, der dem Goliath trotzt, auch wenn er nicht weiß, wie es ausgeht.

Denn in der Tat, es gibt keine Lösungs- oder Rezeptbücher. Wenn neu entstehende Großreiche wie Indien und China dem Westen den Rang ablaufen und, wie jetzt geschieht, die Fabriken abkaufen, gibt es eine Lösung? Nein, denn plötzlich finden wir uns alle, unabhängig von der Parteifarbe, wieder inmitten der Unübersichtlichkeit. Wir können nur sagen, es ist besser, die Chinesen kaufen Fabriken als dass wir einen Krieg führen. Wir wissen nicht, wie wir aus diesem ökonomischen Wettstreit, hier kleines, zersplittertes Europa, dort großes, straff durchorganisiertes, wenngleich ein wenig korruptes China, oder, die größte Demokratie der Welt, Indien, ein Indien, das der Demokratie keine Freude macht, wir ahnen, wenn wir hinsehen, dass wir in einer David und Goliath Situation sind. Nur dass es mindestens zwei Goliathe uns gegenüber stehen (und im Falle des Westens, ein paar Davids und einen im Camp David, der immer noch übt, wie er Goliath sein könnte). Oder sind die beiden Goliaths zwei Scheinriesen, die, wenn die Zeit ins Land geht, zerfallen?

Braucht Demokratie Wachstum? Oder kann sich das eine demokratische Gesellschaft auch bei sc schrumpfenden Wachstumsmargen reorganisieren?

Der Westen ist ein Kontinent, ein Referenzmodell, das sich jetzt wirklich beweisen muss. Gibt es ein Leben nach dem Wiederaufbau? Hält Demokratie auch dann zusammen, wenn der Wohlstand nachlässt? Wie viel Kraft hat eine Gesellschaft (nicht die Politik), wie viel Verzicht üben diejenigen in der Gesellschaft, die mehr schultern können als andere? Freiwillig, na ja, und ein bißchen unfreiwillig. Aber wir wissen auch, dass Gesellschaft eine Übereinkunft mit sich selber ist, den herrschaftsfreien Dialog Habermas, von dem wir in der Jugend geträumt haben, den haben wir, nüchtern geworden, schon mal in die Sonntagsvitrine gestellt.

Die grüne Biographie: Aus eigener Erfahrung lernen

Die Grünen sind als Wahrnehmungs- und Protestpartei gestartet. Sie sind darüber zur Konzeptpartei geworden. Manchmal ein bißchen papierverliebt, aber inzwischen haben sie auch solide arbeitende Exekutive gelernt. Lessons learned, weil sie sich (noch) erinnern, kollektive Erinnerung, wie sich das „von draußen anfühlt“, wenn sie drinnen regieren. Weil sie verstanden haben, dass sie tatsächlich Repräsentanten sind, wenn sie regieren. Und nicht repräsentieren. Weil sie, als Sachwalter der einen Hälfte gewählt, eine Politik machen wollen, die auch diejenigen aus der anderen Hälfte überzeugt, die zuhören können, nachdenken wollen, mitmachen bei den Fragen, die sie, uns und die Welt bewegen. Eben die Ressourcenfrage, die Frage des sozialen Zusammenhaltes, des Modells westliche Demokratie und von Werten wie Menschenrechten, Freiheit, Respekt und Reflektion.

Neuer Wein in alten Schläuchen?

Vor diesem Hintergrund wird klar: Nur lagerunabhänig können die GRÜNEN die gesellschaftliche Kraft für Veränderung mobilisieren. Wenn es ihnen gelingt, das Vertrauen und die Zuversicht der Menschen zu wecken, die notwendigen Veränderungen anzupacken. Klimaschutz, Energiepolitik, Rahmensetzung, mehr Verlässlichkeit für Unternehmen. Und auch: Mehr Zusammenhalt. Weil nur eine Gesellschaft, die von sich aus Leistung bringen will, die weiß, was not tut, einen gesellschaftlichen Wandel, der Forschung, Entwicklung, neue Produkte, einen veränderten Lebensstil beinhaltet, diesen Wandel tragen kann. Man könnte sagen, es gibt in dieser Gesellschaft zwei Lager: Die der Leugner und die der Wachen. Die einen möchten, dass alles so weiter geht. Die anderen, wissen, dass die Fragen längst bekannt sind, Energie- und Ressourcenverbrauch, Lebensstil, Globalisierung. Die dieses Wissen aushalten, auch wenn sie noch keine Lösung haben. Das sind die Wachen. Und die gilt es, zu errreichen.

Next Step: Neue Schläuche

Die Wachen, die über Probleme reden können, auch wenn sie noch keine Lösungen haben (weil nur so kann man Lösungen finden), die, die Vermutung haben, dass Lobbyisten oder Politiker eben wie Lobbyisten oder Politiker reden, um dann festzustellen, dass der eine oder die andere es doch ernst meint, die um sich zu versammeln, das wäre das neue Lager. Und deshalb wäre es sinnvoll, sich dem rechts-links-Schema zu verweigern. Weil sich auf der Suche nach der richtigen Lösung die eine oder andere neue Konstellation ergeben kann. Niemand von uns hätte geglaubt, die Mauer könne fallen. Niemand von uns hätte geglaubt, dass eine Angela Merkel, eine Frau aus den neuen Bundesländern, der CDU der Realitätsverweigerung ein Ende macht. Respekt (Das ist jetzt nicht taktisch gemeint, nein, das ist Respekt vor einer Lebensleistung und kein Koalitionsangebot). Jetzt steht die CDU nackt da, weil sie statt sich auf ihre Werte zu besinnen, an strukturellen Lösungen festhält. Christentum qua Verordnung festzuschreiben, wo es um gelebte Werte geht, Familie zu zementieren, wo wir alle nach Wegen suchen, Verlässlichkeit und Glück zu finden, Dreigliedrige Schulwesen, um die eigenen Kinder ins Trockene zu bringen (auch Grünen ist das nicht fremd) und das andere zu ignorieren.

Jetzt rotgrün werben. Aber ohne Lagerkoller!

Darum geht es bei der anstehenden Wahl. Diejenigen anzusprechen, die längst wissen, dass die Nachkriegszeit vorbei ist, dass wir, also die westliche Zivilisation, Europa, Deutschland, einen Weg finden müssen, die Energieerzeugung regenerativ zu machen, darauf zu achten, dass wieder mehr Menschen die öffentlichen Dinge zu ihren Dingen machen (die Bilder der griechischen Agora hat uns unser Latein- und Griechischlehrer dann doch mitgegeben, auch wenn es nur der Mythos einer Oberschicht war, es war auch Verheißung), denen, den wachen, neugierigen, manchmal verzagten, aber auch denen, die super neue Ideen haben (ohne Ingenieure und mittelständischen Unternehmern ist das nämlich alles nix) deutlich zu machen, wie sie die Welt mit bewegen können. Dass Veränderung mit den Menschen stattfindet, nicht gegen sie. Dass das das attraktive, selbstbewußte Lager der unentwegt suchenden, hart diskutierenden und anpackenden ist. Dass am Ende die Tat zählt. Und sie auch bereit sind, für große Schritte in die richtige Richtung neue Lösungen zu finden.

Bei dieser Wahl wird das, nach dem Gemurkse von Schwarzgelb, rotgrün sein. Damit die CDU ihrem Modernisierungsrückstand aufarbeiten kann. Und in fünf Jahren kann das alles schon längst anders aussehen. Politik ist ein offenes System, das die Suche nach gesellschaftlichen Lösungen organisiert. Niemand hat per se Erkenntnisvorsprünge. Jeder der Parteien muss ihn sich immer wieder neu erarbeiten. Und die Durchsetzung der Erkenntnisse organisieren. Das ist Demokratie, Wettstreit um die beste Lösung. Und zwar jenseits alter Lager.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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