Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Ich hege keinerlei Sympathien für beide, ich halte den Rückfall in nationale Interessen für vollkommen verkehrt. Und brandgefährlich. Dennoch muss man eines sagen: Beide haben Bewegung ins Spiel gebracht.
Lesson 1: Scham- und Hemmungslosigkeit kann ein Konzept sein
Bei Donald Trump ist es einfach: Die völlige Unberechenbarkeit ist bei ihm Konzept. Indem er keinerlei Respekt vor anderen Nationen, ihren Repräsentanten, aber auch nicht vor den eigenen Regierungsmitgliedern hat, konnte er den (Ver)Handlungsspielraum für seine Politik wesentlich erhöhen.
Basis dafür ist allerdings die Dominanz der USA als (noch) stärkste Ökonomie und Hort der Finanzökonomie. Und, was Trump treibt, ist das Spiel mit dem offenen Feuer: Die Zunahme der Verschuldung ist eine tickende Zeitbombe.
Niemand kann heute mehr sagen, wie wir jemals wieder zu realen Verhältnissen in der internationalen Ökonomie zurückkehren können.
Lesson 2: Wo die Gefahr wächst, wächst das Rettende auch!
Kommen wir zu Boris Johnson: Ein Spieler, auch er. Die Situation: Die Nation ist gespalten, ob etwas mehr für den Brexit oder etwas weniger, schwankt etwas, aber der Spalt wird tiefer, nicht geringer. Hinzu kommt, dass mit Labour Chef Corbyn ein zynisch taktierender und unentschiedener Gegenspieler existiert, dem es nicht gelingt, eine handlungsfähige Gegenmacht zu organisieren.
Womit wir zum eigentlichen Problem kommen: Die mangelnde Offenheit der Parteien für neue Argumente und veränderte Rahmenbedingungen.
Das Problem: Der Diskurs in den Parteien hat sich längst von den gesellschaftlichen Debatten abgekoppelt, wird schwerfälliger, träger. In der Politik, besonders in der Parteipolitik gilt die Regel, “Man sieht sich immer dreimal”. Also vermeidet man offene Kontroversen und Konflikte. Und hangelt sich an alten Platitüden entlang.
Die Framing-Idee ist zum Totengräber des politischen Meinungsstreits geworden.
Zudem hat sich mit dem “Framing-Ansatz” ein fataler Irrtum durchgesetzt: Man will nicht nur seine Meinung, sondern man will seine Wahrnehmung, das Meinungsset durchsetzen.
Beispiel Flüchtlingspolitik. Immer noch wird öffentlich so getan, als ob die einen (Links von der Mitte, inclusive Merkel) alle Flüchtlinge ins Land lassen möchten, während die anderen “Germans first” rufen. Der Frame „Weltoffenheit“ gegen den „Fremdenfeindlichkeit“. Umgekehrt, der Frame „Nationale Identität“ gegen Unterwanderung des Volkswillen oder ähnlich.
Beides ist falsch. Und längst nicht mehr Teil der realen Politik. Framing funktioniert nur mit Polarisierung, Idealisierung der eigenen Position. Lösungen sehen immer komplexer aus, manchmal, siehe die ganze Abschiebungsfrage scheitern sie nämlich an ganz pragmatischen Fragen.
Die Polarisierung ist schon deswegen albern, weil sie längst nicht mehr der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger entspricht.
Die Wählerinnen und Wähler nehmen nämlich wahr, dass die politischen Debatten das eine, das politische Alltagshandeln das andere ist. Und beide nicht sehr viel miteinander zu tun haben.
Auf diesem Boden der irrelevanten Debatten wachsen dann populistische Gewächse wie Trump und Johnson (wobei der Mutterboden national unterschiedlich zusammengesetzt ist).
Die Ursache des Stillstands: Das Ende westlicher Vorherrschaft
Was derzeit alle Parteien, auch die im aktuellen Höhenflug, ausblenden: Der Westen, westliche Werte verlieren ihre Vormachtstellung.
Der Trump’sche Rundumschlag ist ein letzter und sehr robuster Rundumschlag, das Wohlergehen des Landes (oder vielmehr des Rust Belts und der Weiten des mittleren Westens per Gewalt abzusichern) vor dem Hintergrund des Verlustes der Vormachtstellung des Westens abzusichern.
Und was Trump als im großen Stil inszeniert, zeichnet Boris Johnson als Farce nach. Die einstige Weltmacht Großbritannien will sich als unabhängiges Land, Modell, steht da die Schweiz Modell, frei schwimmen.
Übersetzen wir doch mal das Vorgehen Johnsons machtpolitisch. Er hebelt einfach den Gesetzgeber Parlament aus. Die Briten sind da pragmatisch.
Wir wissen noch nicht, wie es ausgeht. Aber es deutet sich doch an, wie sich das Flußbett neu ordnet: Johnson setzt darauf, dass er als Charismatiker dafür belohnt wird, endlich Risiko und Verantwortung zu übernehmen und damit die (ich weiß, dieses Wort ist gefährlich) die “Schwatzbude” Parlament auszuhebeln. Und die Queen lässt ihn machen.
Lessons learned? Ich deute das so: In einer politischen Öffentlichkeit, die von Prinzipien und Regeln völlig verstopft ist und sich selber blockiert, setzen sich plötzlich Kräfte frei, die sich über diese allmächtige Ohnmacht institutionell demokratischer Willensbildung hinwegsetzen. Eben, wo die Gefahr wächst ……
Da das nicht nur in Washington, London, sondern auch in Rom und anderen europäischen Ländern immer wieder zu beobachten ist, sollte uns, die wir an institutionelle Regelsetzung glauben und ihr vertrauen möchten, das zu denken geben.
Das unvollendete Versprechen: Change, we can believe in.
Was wäre also ein gangbarer Weg, um aus dieser Krise des demokratischen Parlamentarismus heraus zu kommen?
Meines Erachtens gibt es da nur einen Weg: Politiker müssten aufhören, Heilsversprechen (Wählt uns, und alles wird gut) in die Welt zu senden.
Sie sollten Mut machen. Beispiel Deutschland: Mut, einerseits die Herausforderungen der Digitalisierung und Globalisierung anzunehmen (und zwar nicht durch semantischen Irrsinn wie die “Digitalen Airbus” oder die “Agentur für Sprunginnovation”), indem sie sich darauf besinnt, dass Politik, Staat und Verwaltung Innovation nicht machen, sondern nur vorbereiten können.
Also: Mehr Sonderwirtschaftszonen anstatt kohlekommissionskonform Geld sanft auf die Regionen regnen zu lassen, das versickert. Gefragt ist die Selbstertüchtigung der Gesellschaft, national, aber auch europäisch. Die Selbstblockade der Politik spiegelt sich im Ping-Pong von nationaler und europäischer Politik wieder: Und immer mehr Gremien auf immer mehr Ebenen sind Teil des Problems. Und nicht Teil der Lösung.
Zum Schluß noch eine Empfehlung: Factfullness von Hans Rosling. Ein weiteres Buch, das eine Menge Anregungen dafür gibt, dass die Welt eben nicht so ist, wie wir sie uns komplexitätsreduzierend vorstellen. Sondern eben anders, vielfältiger.
Was in einer politischen Debatte, in denen die Weltbilder einfältig eindimensional gestanzt werden, ein Problem ist.
P.S. Meine aktuelle Schlußfolgerung ist übrigens: Der öffentliche Meinungsstreit und die „reale Politik“ sind zwei immer mehr zu separierende Spielfelder. Die Partei, die das als erstes verstanden hat und die beiden Ebenen in ein konstruktives Verhältnis zueinander bringt, die hat gewonnen.