Wer mitreden will, soll mitreden. Wenn wir unsere Gesellschaft aber ansehen, stellen wir fest, immer weniger wollen mitreden im Sinne von Mitgestalten. Der inzwischen geflügelte Wutbürger ist eine neue Kunstfigur des öffentlichen Lebens, die klassische ist der Staatsbürger, der gemeinsam mit anderen Staatsbürgern die besten Lösungen finden soll. Jürgen Habermas, die Blüte des deutschen politischen Idealismus, stellt sich das vor als Dialog miteinander, als herrschaftsfreien Diskurs um die objektiv beste Lösung für ein Problem. Soweit der Dojen der deutschen Diskurs-, Herrschafts- und Demokratietheorie. Wie passen Staatsbürger, Wutbürger und Politikverdrossene eigentlich zusammen? Ein paar Rahmensetzungen.
Ich halte mich lieber an die Angelsachsen. Politik ist das Aushandeln von Interessen. Dazu brauchen wir Regeln, die es jedem ermöglichen, sich zu beteiligen. Ob die Menschen zufrieden sind mit ihrem System, kann also daran liegen, dass sie sich einbringen können mit ihren Ideen, ihrer Person, ihren Vorstellungen, dass sie in diesem Zusammenhang Gehör finden, eine Rolle finden, sich darstellen können. Oder aber, dass ihnen dieses System die Möglichkeit gibt, das zu verfolgen, was ihnen wichtig ist. Ein gutes Leben zu führen, zum Beispiel. Soviel Geld zu machen, dass sie nie mehr hungern müssen, also die „vom Tellerwäscher zum Millionär“-Variante, oder die klassisch deutsche Version, dass sie ihr Auskommen haben und die Sicherheit, dass die für später angesparten Gelder auch für die Zeit nach dem Arbeitsleben reichen. Oder, oder, oder.
Die Heterogenität unserer Gesellschaft, das große Verdienst der Angela Merkel, haben jetzt auch die Funktionäre der CDU zur Kenntnis nehmen müssen. Aber wie macht man aus diesem System, an dem wir alle hängen, ein dauerhaftes Erfolgskonzept?
Ich sage mal so: Die Linksparteien, und mit diesem Programm gehören auch die Bündnisgrünen dazu, sagen, gerecht ist es, wenn wir in einer Bestandsaufnahme, einer Momentaufnahme unserer Gesellschaft gerechte Verhältnisse haben. Sie diskutieren das dann anhand der Hartz IV Sätze, die dann um 20 Euro hoch oder runter diskutiert werden. Um diese 20 € mehr Gerechtigkeit herzustellen, muss man die Steuern erhöhen. Ist das wirklich Gerechtigkeit?
Ich wage mal nen anderen Ansatz: Eine nachhaltig faire Gesellschaft, ein resilientes Gesellschaftssystem ist eines, das offen genug ist, jedem seine Version vom richtigen oder guten Leben entwickeln zu lassen. Und die sich darauf verständigt, Regeln zu setzen, dass Einzelne diese Offenheit und Freiheit für Lebensentwürfen nicht über Gebühr ausnutzen. Und die eine gemeinsame Kultur entwickeln, diese Regelsetzung zu überprüfen und zu reorganisieren, zu verteidigen, wenn es notwendig ist. Politik ist also Verständigungsmanagement. Alles andere ist ideologisches Getöse.
Die Frage, ob 20 € mehr also ein richtiges Konzept ist, müsste sich dann gegen andere Ideen verteidigen. Die, dass jeder für sich mehr in der Tasche hat. Die, dass man die Schulen besser macht. Die, dass man einen Mindestlohn einführt. um nur einige Beispiele zu nennen.
Aber zu einer Auseinandersetzung über diese Fragen sind die Parteien offensichtlich nicht bereit. Denn alle Versprechen alles. Das macht Politikversagen aus. Kein Wunder, wenn Menschen die Reihungen uneinlösbarer Versprechen nicht mehr dekodieren können. Deshalb nachlassende Wahlergebnisse.
Ein ungelöstes Problem moderner Demokratien. Können sie das Schwinden der Ressourcennutzung moderieren? Können sie, können wir uns gegenüber anderen Kulturen und Kontinenten behaupten? Wie sehen bessere Arrangements aus als die, die wir jetzt haben (Ausblendung, was um uns rum ist, Aufrichtung politischer Wolkenkuckucksheime).
Die westliche Zivilisation ist im Selbstversuch. In der Selbstfindung. Wie können wir mit den anderen Zivilisationen einen Modus Vivendi erreichen, ohne dass Krieg ausbricht. Und welche Leitidee des Westens ist konkurrenzfähig zu anderen?