Was schlechte Regierungskunst ist, scheint weitgehend bekannt. Nicht umsonst zeigen sich noch immer fast die Hälfte aller Wahlberechtigten zurückhaltend, was ihr Interesse an der Wahl – und auch die Festlegung einer parteilichen Präferenz betrifft.
Anders als mancher andere halte ich die politische Zurückhaltung für ein politisches Signal und nicht etwa für das Gegenteil. Die Menschen sind, das zeigt sich an Beispielen wie der Kommunalwahl in Stuttgart, durchaus an Politik interessiert, wenn sie das Gefühl haben, es steht eine Entscheidung an. Und es gibt Alternativen. Das macht die Grünen denn, zumindest kurzzeitig, zur Volkspartei.
Was zur Wahl steht, diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Aber fangen wir mal an. Sprechen wir doch einfach einmal von Angela Merkel. Der Kanzlerin der politischen Handwerkskunst. Ihre Reden sind – und das waren sie immer – state of the art. Sie spricht von der Welt, die wir kennen. Und sie spricht darüber so, wie die viele die Welt kennen. Nicht mit dem Gestus des „Ich weiss doch sowieso mehr als ihr da drunten“, sondern mit der Haltung dessen, dem es ernst damit ist, die Grundzüge seiner Politik zu erklären. Das Kontrastprogramm zum testerongewaltigen Schröder, der (erst) auf der Bühne zu großer Form auflaufen konnte.
Will heißen: Wir haben eine Bundeskanzlerin, die von vielen, gerade außerhalb der CDU, geschätzt wird wegen ihrer unaufgeregten und sachlichen Art. Aber im Bewußtsein, dass es mit ihren politischen Visionen nicht weit her ist. Sie selber nennt das Fahren auf Sicht. What you see is what you get. Das war nicht bei jedem Kanzler so.
Erinnern wir uns an Merkels Auftreten bei Anne Will. Zu der Zeit, als Merkel wirklich unter Druck war, weil ihr die CDU-Männer alle die Hölle heiß machen wollten, sass sie seelenruhig im Studio, ließ eine vordergründig erregte gelaufene Anne Will ganz alt aussehen und hatte auch das persönliche Standvermögen, der im Studio anwesenden Opel Familie ins Gesicht zu sagen, dass sie und die Bundesregierung alles machen werde, um Opel zu retten, aber die Politik werde Opel nicht übernehmen: „Politiker sind nach meiner festen Überzeugung nicht die besseren Manager“. Die Klarheit, hier eine Grenze zu ziehen, sind für mich ein beeindruckendes Merkmal persönlichen Standvermögens. Und damit politisches Kapital.
Persönliche Glaubwürdigkeit ist schon mal ein sehr wichtiges Merkmal für politsche Führungskraft. Angela Merkel hat dies sehr persönlich definiert, indem sie die Inszenierung ihres Selbst hintan gestellt hat. Auf Durchsetzung statt auf Inszenierung geachtet hat. Denn Obama ist nur der Ausnahme- und Glücksfall in der Politik. Einer der reden und denken kann. Einer der gewinnen und planen kann. Einer der schon im Wahlkampf alles auf eine, die Außenseiter-Karte setzt (und setzen muss). Risiken eingeht. Und deshalb gewinnt.
Vielleicht ist es das, was Obama und Angela Merkel eint. Beide waren über ihren biographischen Hintergrund nicht dafür geboren, eine entsprechende Karriere zu machen. Beide haben sich nicht der klassischen Wege des Establishments bedient, um an die Macht zu kommen. Beide haben Verantwortung für sich selbst übernommen, sind Risiken eingegangen. Wenngleich sie unterschiedlich damit umgegangen sind.
Ist es nicht das, was viele Wählerinnen und Wähler von ihrem politischen Führungspersonal verlangen, für sich selbst Risiken einzugehen? Seinen Weg zu gehen, auch wenn er nicht schon geschrieben steht. Beharrlich, fast stur, wie im Beispiel Angela Merkel, durch das Tal der Irritationen zu gehen (wir erinnern uns an den Beginn der letzten Legislaturperiode, als sich die ratlosen medialen Auguren die Finger über Angela Merkel wundschrieben und wirklich nichts überzeugendes zustande bekommen haben, weil sie immer nur auf die Inszenierungen gewartet haben und sich nicht für den eingeschlagenen Kurs interessiert haben.
Auf den Punkt: Als Person Führung übernehmen und ins Risiko zu gehen, ist ein wichtiges Element, um die Macht erobern zu können. Sicher, Angela Merkel ist niemand, die Deutschland in die Zukunft führt. Denn dazu bewegt sich das Ganze zu sehr auf Sicht. Aber im Ernst. Ist da irgend jemand anderes, dem wir das zutrauen würden. Ist im Moment auf dem Markt der politischen Möglichkeiten eine Idee vorhanden, hinter der sich die Wählerinnen und Wähler versammeln könnten, weil sie eine Alternative zum aktuellen ideologischen Einheitsbrei sichtbar machen würde?
Nicht wirklich. Und deshalb halten sich Wählerin und Wähler zurück, warten ab. Wenn nichts zur Wahl steht, kann ich auch nicht zur Wahl gehen. Das ist schon mal ein Anfang. Und nicht das Ende, wie viele Kommentatoren meinen.