Weltinnenpolitik. Keine Frage der Intelligenz. Sondern von Haltung und Interessen

Was für ein Wahnsinn! Die USA drängen die G20 Länder, für sich selber Wachstumskorridore zu definieren und zu beschließen, wie sie die Wirtschaft ankurbeln wollen. Man kann einfach sagen: Gar nichts gelernt! Und wer das Interview mit dem ehemaligen Obama-Berater Steven Rattner liest, muss einfach feststellen: Der Herr ist unterkomplex. Man kann nicht einfach auf der einen Seite stolz sein auf niedrige Löhne, sich nicht fragen, ob Menschen davon leben können und im selben Interview beklagen, dass das Wachstum schwächelt, weil die Löhne zu niedrig sind.

Man kann doch! Weiter unten ist es nachzulesen.

Wie muss man das Ganze also interpretieren?

Ich finde die Position der Bundesregierung gut. Wer noch etwas Restverstand hat, der kann jetzt nicht einfach fordern, dass die Länder Wachstumskorridore definieren, dann mit Konjunkturprogrammen die Wirtschaft ankurbeln und die damit entstehenden Blasen mit Krediten finanzieren. Schon besser, wenn sie die internationale Debatte dahin lenkt, zu untersuchen, wie wirksam die entsprechenden Programme waren. Dann wird ein Schuh draus.

Niemand kann wollen, dass sich jetzt wieder Blasen bilden. Außer denen, die diese Programme finanzieren und somit ihre Geschäftstätigkeit in andere Länder ausweiten können und ihre Definitionshoheit ausweiten.

Es geht um Interpretationsmacht und die dahinter liegenden Interessen. Es geht auch nicht um Konsistenz und der Argumentation, sondern einfach darum, wer seine Interpretation durchsetzen kann. Es ist, wie der grüne Finanzexperte Gerhard Schick schreibt, die Wallstreet, die ihre Sicht der Dinge durchsetzen will. Also, wenn bis vor kurzen immer die Sanierung der öffentlichen Haushalte gefordert wurde, ist das jetzt obsolet. Der Finanzbereich befürchtet eine Schwächung der Weltwirtschaft und will die anstehende Korrektur von Buchwerten in Vermögenspositionen vermeiden. Vorwärtsverteidigung der eigenen, kurzfristigen Interessen. Mittel- und langfristig denken wollen „Global Finance“ nicht. Es geht ihnen nicht um die richtigen Balancen zwischen Entwicklung, Finanzierung, stabile Entwicklungen mit einer Steigerung des Allgemeinwohls in den Ländern unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Ressourcenfrage. Die eigene Hose ist ihnen näher.

Wenn Politiker aller Länder beginnen würden, ihre nationalen Interessen mit denen der internationalen Interessen abzuwägen, ich nenne das Reflexive Modernisierung auf Weltniveau, dann könnten gleichgerichtete Interessen entstehen. Weil sich die kurzfristigen Wünsche vor dem Hintergrund der mittelfristigen Gesamtinteressen relativieren müssten. Und jedes Land bei sich selbst nachsehen müsste, wie es mit seiner Balance steht.

Aber es ist für jedes Land eine große Versuchung, diese Einsicht zu ignorieren. Der Westen muss seine reduzierte Position akzeptieren. Das heißt, dass die auf Wachstum basierende öffentliche Verschuldung und öffentliche Aufgabenlast muss reduziert werden. Auf Dauer. Gleichzeitig darf das nicht zu einem Umschlagen in Raubtierkapitalismus a la USA führen (Steven Rattner ist dafür ein gutes Beispiel, wenn weder die Klimafrage noch die Frage des sozialen Zusammenhalts und von Fairness Kategorien gesprochen wird). Die Schwellenländer, bei denen mit dem Boom überdimensionierte Infrastrukturprojekte entstanden sind und sich die herrschenden Politiker ebenfalls an ihrer Macht klammern (zum Teil mit einem erheblichen Schwächeln in Governancefragen, sprich, einem echten Korruptionsproblem), fordern, klar, ebenfalls, dass die Investitionsmittel in ihren Ländern verbleiben.

Es ist also wie schleichendes süsses Gift. Und, das sollte man auch mal festhalten, die Wallstreet, wenn das als Metapher für die „großen, globalen Kapitalinteressen“ mal unhinterfragt stehen bleiben darf, denkt und redet nicht marktwirtschaftlich, sondern machtpolitisch, wenn sie vordergründig kapitalistisch argumentiert. Das große Kapital ist größenwahnsinnig geworden, auch, weil es kein Gegenüber hat, der seine Macht beschneiden kann. Ein klassisches Kartell- oder Monopolproblem.

Das sind die Schlachtfelder, auf denen die wirklich wichtigen Schlachten geschlagen werden. Wer den Blick auf die politische Arena in Berlin richtet, ahnt erst, wie klein das Karo ist, das man dort trägt. Und jetzt kommt der Witz: Erkannt haben das Sara Wagenknecht, Gerhard Schick, Angela Merkel und Finanzminister Schäuble. Bei Steinmeier würde man immer vermuten, dass er ähnlich ticken würde, aber das ist jetzt Spekulation.

Die sogenannte Tagespolitik treibt dann immer ganz andere Säue durchs Dorf. Was für ein Irrsinn!

————————-

Der G20 Beitrag im Handelsblatt:

Schäuble gegen Wachstumsziele

Die Bundesregierung lehnt verbindliche Vorgaben für G20-Staaten ab. Regierungsvertreter sehen Auswirkungen in den Schwellenländern als „unvermeidbare Korrektur“.

Torsten Riecke, Jan Hildebrand | Berlin | Dienstag, 18. Februar 2014, 20:25 Uhr

Zwischen den Finanzministern der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) bahnt sich ein neuer Konflikt an. Beim Treffen am Wochenende in Sydney dürfte vor allem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) unter Druck geraten: Die USA und Kanada, aber auch einige Schwellenländer wollen von der Bundesregierung erneut mehr Einsatz fordern, um die Konjunktur anzukurbeln.

Einige Staaten fordern, dass die G20-Runde möglichst verbindliche Wachstums- und Investitionsziele für jedes Land definiert. Schäuble lehnt aber Zahlenvorgaben ab: „Da sind wir skeptisch“, sagte ein ranghoher Regierungsvertreter. Quantitative Zielvorgaben seien doch „eine antiquierte Form der Wirtschaftsplanung“.

Der Konflikt um die richtige Dosierung zwischen Haushaltskonsolidierung und Konjunkturimpulsen schwelt schon lange zwischen Deutschland und den USA. Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten bei den vergangenen G20-Treffen auf möglichst verbindliche Ziele zum Abbau der staatlichen Defizite gedrängt. Nun werden sie viel zu tun haben, um die Wachstumswünsche anderer Staaten abzuwehren.

„Das wichtigste Thema des Treffens ist das Wachstum“, sagt Barry Eichengreen, renommierter Wirtschaftsprofessor an der US-Universität Berkeley. Auch Gastgeber Australien und wichtige Schwellenländer wie Brasilien und Südkorea sehen das Thema ganz oben auf der Tagesordnung. Australien möchte am Ende seiner Präsidentschaft, beim G20-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im November in Brisbane, einen Aktionsplan verabschieden. Darin sollen sich die Staaten zu Maßnahmen verpflichten, mit denen sie ihre Konjunktur in Schwung bringen.

Die Bundesregierung will dann vor allem Projekte präsentieren, die bereits im Koalitionsvertrag vereinbart sind — etwas die zusätzlichen Investitionen in die Infrastruktur. Die Frage ist: Geben sich die USA und ihre Verbündeten in der G20 damit zufrieden? Statt quantitativer Wachstumszahlen hält man in Berlin eine andere Variante für kompromissfähig: Die vereinbarten Maßnahmen der Staaten könnten von einer internationalen Organisation auf ihre Wirkung hin analysiert werden.

Zweites großes Streitthema beim Treffen der Finanzminister in Sydney dürfte die Geldpolitik werden. Hier stehen die USA und Deutschland auf derselben Seite, die Konfliktlinie verläuft zwischen Industrie- und Schwellenländern: Konkret geht es darum, dass die sich anbahnende Zinswende in den USA massive Kapitalabflüsse aus den Schwellenländern ausgelöst hat. Zuvor hatten internationale Investoren rund eine Billion Dollar in die Wachstumsmärkte verschoben. Jetzt ziehen sie große Summen wieder ab. Dadurch sind die Zahlungsbilanzen der Schwellenländer ins Wanken und ihre Währungen unter Abwertungsdruck geraten.

Beim Treffen in Sydney dürften die USA den Frust der Schwellenländer zu spüren bekommen. Der indische Notenbankchef Raghuram Rajam, der wie Brasilien, die Türkei und Südafrika mit Zinserhöhungen versucht, eine Kapitalflucht zu verhindern, hat den USA bereits Egoismus in der Wirtschaftspolitik vorgeworfen und auf eine stärkere Kooperation gedrängt.

Dass die Beschwerden große Wirkung zeigen, ist eher zweifelhaft — wirtschaftspolitisch stehen bei jedem Land die eigenen Interessen an erster Stelle. „Wer etwas anderes erwartet hat, ist einer Illusion nachgejagt“, sagt Moses Naim, ehemaliger Industriemister Venezuelas und lange Jahre Direktor bei der Weltbank. Janet Yellen, die neue Vorsitzende der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), stellte erst vor kurzem noch einmal klar, dass sie die aktuellen Kapitalabflüsse aus den Schwellenländern zwar im Auge habe, die Geldpolitik sich aber an den Interessen der USA ausrichte. Das ist in abgewandelter Form die alte Linie, wie sie bereits der ehemalige US-Finanzminister John Connally auf den Punkt gebracht hat: „Der Dollar ist unsere Währung und euer Problem.“

Ganz so deutlich hört man das aus Berlin nicht. Aber Vertreter der Bundesregierung machen keinen Hehl daraus, dass sie die USA unterstützen wollen, wenn diese die Politik des billigen Geldes langsam zurückfahren. „Wir werden dafür eintreten, dass man sich dieser Normalisierung nicht entgegenstellt und nicht den unabhängigen Notenbanken hineinredet,“ hieß es.

Die Auswirkungen in den Schwellenländern sehen Regierungsvertreter eher als eine unvermeidbare Korrektur. Darauf müssten sich die Länder einstellen, indem sie ihre internen Reformen vorantreiben. „Jeder muss sein Haus in Ordnung bringen“, hieß es in Berlin. Dann würden die Länder auch mit den weltwirtschaftlichen Entwicklungen zurechtkommen.

Dieser Artikel wurde Ihnen aus der ‚Handelsblatt Live‘-App für das iPad versendet.

—————————-

(c) Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Nutzungsrechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.

Zum Industrieboom in den USA:

„Der Industrieboom ist nur ein Mythos“

Astrid Dörner, Thomas Jahn | New York | Dienstag, 18. Februar 2014, 06:00 Uhr

Er war Präsident Obamas oberster Berater bei der Rettung der US-Autoindustrie, heute verwaltet er die Milliarden des Geschäftsmanns und ehemaligen New Yorker Bürgermeisters Michael Bloomberg und unterstützt Hillary Clinton. Im Gespräch mit dem Handelsblatt wiederspricht Steven Rattner dem Eindruck, es gäbe in den USA eine industrielle Revolution und erklärt, warum es Hillary Clinton als Präsidentschaftskandidatin im Wahlkampf schwer haben wird.

Herr Rattner, Sie waren gerade auf Besuch in Deutschland. Wie ist Ihr Eindruck?Bis auf weiteres ist das Land aus der Krise. Wahrscheinlich für eine ganze Weile. Aber nichts beim Euro ist wirklich gelöst. Griechenland ist nicht wirklich wichtig, Irland geht es gut, Portugal ist okay und Spanien schlägt sich angesichts der Umstände sehr gut. Aber jetzt müssen wir uns Sorgen um Italien und Frankreich machen. Überspitzt gesagt: Die Situation hat sich im Vergleich zu vor zwei Jahren umgekehrt. Damals bangten wir um die Peripherie, jetzt um den Kern.

Das hört sich düster an.Wir werden nicht wieder eine Kreditkrise haben wie die letzte. Aber es wird eine subtilere und vielleicht schlimmere Krise geben: die des schwachen Wirtschaftswachstums. Es ist eine Art Tod durch tausend Schnitte. Schauen sie sich Italien an, gerade ist der Ministerpräsident zurückgetreten.

Deutschlands Wirtschaft vermeldet gutes Wachstum. Wie passt das zusammen?Deutschland ist sicherlich die stärkste Volkswirtschaft in Europa. Aber das Wachstum allein reicht nicht aus. Auch die anderen Länder müssen wachsen, ansonsten kehrt die Krise wieder zurück. Über kurz oder lang wird Deutschland durch den Euro mit hineingezogen.

Vor einigen Jahren haben Sie noch ganz anders argumentiert. In einem Artikel stellten sie die Vorteile des Euros für Deutschland heraus, dessen Wechselkurs durch die schwachen anderen Länder niedrig liegt – und so die Exporte ankurbelt.Das ist das kleine, schmutzige Geheimnis von Deutschland. Bei meinen Gesprächen mit deutschen Geschäftsleuten haben alle immer das Gleiche gesagt: Rettet den Euro, egal was ihr macht, er ist großartig für uns.

Hat die lockere Geldpolitik der EZB nicht die Eurokrise beendet?Gestern habe ich mich mit US-Finanzminister Jack Lew darüber unterhalten. Eine aggressive Geldpolitik räumt nicht die strukturellen Probleme aus der Welt. Europa hat sie, Deutschland vielleicht nicht ganz so stark. Ähnlich wie in Japan ist bislang wenig getan worden, um die strukturellen Probleme anzugehen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Spanien dazu gezwungen wurde, während Italien und Frankreich sehr wenig unternehmen.

Welches sind für Sie die drängendsten Strukturprobleme?Arbeitsmarkt und Arbeitsmarkt. Ich nenne ein Beispiel, das nur zur Hälfte als Scherz gemeint ist: Als die US-Regierung die Detroiter Autofirmen rettete, tat sie das nur unter einer Bedingung: Die Unternehmen müssen die Mitarbeiterzahl so senken, dass sie wieder profitabel arbeiten können. Als die Regierung in Frankreich Peugeot rettete, tat sie das nur unter der Bedingung, dass die Belegschaft nicht abgebaut wird.

Wie bewerten Sie die Arbeit von Kanzlerin Merkel?Sie hat wunderbare Arbeit geleistet. Mir ist die deutsche Voreingenommenheit beim Thema Inflation und Haushaltsdisziplin bekannt. Aber wissen Sie, die Weimarer Republik gibt es schon seit langer Zeit nicht mehr. Verstehen sie mich nicht falsch, in den USA bin ich für einen harten Sparkurs und für Defizitabbau. Trotzdem bin ich überzeugt, dass ein bisschen weniger Sparen und mehr Ausgaben für produktive Dinge wie Infrastrukturprojekte sowohl gut für Europa als auch für die USA wären.

Das hört sich an wie die Schelte, die es vor wenigen Monaten vom US-Finanzministerium gab: Deutschland konsumiert zu wenig und exportiert zu Lasten der anderen Länder. Hat Finanzminister Lew das in Ihrem Gespräch noch einmal thematisiert?Er hat sich nicht so zugespitzt ausgedrückt wie ich es in anderen Kommentierungen gelesen habe. Aber ja, das sagen alle Länder – mit Ausnahme von Deutschland. Jeder will Deutschland weniger wettbewerbsfähig haben, um selbst konkurrenzfähiger zu werden.

Aber sollte das nicht genau umgekehrt sein?Man muss sich in der Mitte treffen. Deutschland spart zu sehr, aber es stimmt sicherlich: Die anderen Länder müssen wettbewerbsfähiger werden. Es kann nicht in der Verantwortung von Deutschland liegen, weniger konkurrenzfähig zu sein. Meiner Meinung nach hat Deutschland größtenteils Recht, könnte aber etwas den Fuß von der Bremse nehmen.

Deutsche Unternehmen fürchten sich vor den niedrigen Energiekosten in den USA. Zu Recht?Das fand ich wirklich interessant. Die deutsche Energiepolitik ist der Wahnsinn. Ich meine das Mandat, bestimmte Mengen von erneuerbarer Energie im Netz einspeisen zu können, was die Versorger entsprechend bezahlen müssen. Weil die Windkraftanlagen nicht immer laufen, braucht es Kraftwerke für die Ausfallzeiten – die mit Kohle aus Amerika laufen! Wir wollen das Zeug hier nicht haben, also schicken wir es nach Deutschland.

Das ist mit ein Grund, warum der CO2-Ausstoß in Deutschland steigt und in den USA nicht.Auch die Entscheidung, die Atomkraftwerke abzuschalten, war unglaublich – wenn keine 100 Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Grenze in Frankreich Atomkraft genutzt wird. Wenn eine der Anlagen in die Luft geht, ist Deutschland direkt betroffen. Warum also?

Vielleicht aus Prinzip. Nun, das mag so sein, aber es ist immer noch töricht. Die deutsche Energiepolitik ist ein Chaos. Alle deutschen Geschäftsleute, mit denen ich gesprochen habe, schauen mit Neid in die USA. Ein großer Energienutzer wie BASF wird bei sonst gleichen Bedingungen seine Fabrik in den USA bauen.

BASF mag das tun, weil bei Chemiewerken Energiekosten eine große Rolle spielen. Aber das ist bei einer Autofabrik nicht der Fall. Sie haben Recht. Die Anzahl der Unternehmen, für die Energie mehr als zehn Prozent der Gesamtkosten ausmacht, ist sehr gering. Die schaffen dazu auch noch vergleichsweise wenige Arbeitsplätze. Warum soll man sich da um ein paar petrochemische Werke aufregen? Amerika im Ganzen hilft der Energieboom in der Zahlungsbilanz. Wir importieren weniger Öl und schaffen Wohlstand.

Sie haben einmal geschrieben, dass Amerika Arbeitsplätze aus Deutschland absaugt. Wie kommt das, wenn Energie nicht der zentrale Faktor ist?Die USA saugen Arbeitsplätze auf verschiedene Weise ab. Nehmen Sie das Beispiel von Volkswagen. Ein Grund für das neue Werk in Chattanooga war, dass die Lohnkosten in Amerika nur etwa halb so hoch sind wie in Deutschland. Amerika ist ein Niedriglohnland. Dazu kommen die niedrigen Energiekosten. Das geschieht nicht aus Absicht. Wir haben einfach flexiblere Arbeitsmärkte.

VW hat auch Subventionen vom Bundesstaat Tennessee erhalten: 288.000 Dollar pro Arbeitsplatz. Das Problem haben wir seit langem in den USA. Die Bundesstaaten stehen im Wettbewerb miteinander. Sehen sie sich das neueste Beispiel an: Washington State gab Boeing acht Milliarden Dollar, damit der Konzern eine Jet-Produktion nicht nach South Carolina verlagert. In einer vollkommenen Welt würde es das nicht geben, aber was sollen wir machen.

Kürzlich schrieben Sie in der „New York Times“ über den „Mythos der Renaissance der verarbeitenden Industrie in den USA“. Staunen wir in Deutschland fälschlicherweise über die Rückkehr von „Made In USA“?Ich habe das Stück vor allem geschrieben, um ein bisschen mehr Realität in die Diskussion zu bringen. Ich habe zu viele Artikel gelesen, die sich mit dem sogenannten „Manufacturing Boom“ beschäftigen und die Leute haben angefangen, das zu glauben und nachlässig zu werden. Die Leute müssen einfach verstehen, wie die Faktenlage wirklich aussieht.

Wie denn?Erstens: Die Anzahl der Jobs, die durch Manufacturing entstehen, ist geringer, als wir glauben. Sie liegt bei ungefähr 580.000. Die stehen den sechs Millionen Jobs gegenüber, die wir verloren haben. Und die Jobs im produzierenden Gewerbe wachsen nicht so schnell wie andere Bereiche der Wirtschaft. Zweitens. Die neuen Jobs werden deutlich schlechter bezahlt. Wenn man die Inflation berücksichtigt, dann sinken die Löhne. Das ist derzeit das größte Problem unserer Wirtschaft. Und drittens: Die Jobs sind schwer subventioniert.

Was schlagen Sie vor?Ich habe keine gute Lösung, das ist genau das Problem. Ich habe erst vor kurzem mit einem früheren US-Finanzminister darüber geredet und er sagte: Je schlauer die Person, die sich diesem Thema annimmt, desto weniger hat sie eine Ahnung, wie man das Problem lösen soll.

Mit Ihrer These wiedersprechen Sie Ihrem früheren Chef, Präsident Obama, der seit Monaten auf die Erfolge der Industrie verweist. Ich wiederspreche ihm nicht komplett. Ich lobe ja auch jene Dinge, die er vorhat, wie etwa das „Advanced Manufacturing Institute“ aufzubauen. Er hat die richtigen Ideen. Und – was genauso wichtig ist – er verfolgt keine schlechten Ideen. Aber es ist ein schwieriges Feld und eine schwierige Zeit in den USA, um etwas umzusetzen. Und es ist ja auch die Aufgabe eines Präsidenten, etwas optimistisch und inspirierend zu sein.

Die Regierung hat im Dezember all ihre General-Motors-Aktien verkauft, allerdings mit einem Verlust. Rückblickend, würden Sie die Autokonzerne wieder retten?Sicherlich würde man einige Dinge anders machen. Das war ein riesen Projekt, es war kompliziert und wir hatten nicht viel Zeit, da kann man nicht alles richtig machen. Aber wenn Sie grundsätzlich fragen: War es richtig, dass die US-Regierung interveniert und der Autobranche geholfen hat, dann ist die Antwort: auf jeden Fall! Ich glaube an Kapitalismus, bin schon lange Kapitalist. Aber Märkte versagen. Sie sind nicht immer perfekt. Und wenn das passiert, wie im Frühjahr 2009 als Investoren unter keinen Umständen in die Autoindustrie investieren wollten, musste der Staat einspringen.

Wie sehen Sie GM heute?Es ist ein ganz anderes Unternehmen.

…das jetzt von einer Frau geführt wird.Ja, auch das. Aber ihre zwei Vorgänger, Ed Whitacre und Dan Akerson kamen beide nicht aus dem Konzern und auch nicht aus der Branche. Und sie haben viel erreicht, um GM wieder zu einem funktionsfähigen Unternehmen zu machen. Aber beide würden sagen, dass sie ihr Ziel noch nicht komplett erreicht haben. Wenn man sich die Profitabilität von GM im Vergleich zu Ford ansieht, dann sind die Gewinnmargen bei GM immer noch geringer. GM hat seine Kostenstruktur immer noch nicht ganz im Griff. Wenn man sie zu der Unternehmenskultur fragt, dann würden sie sagen, dass GM immer noch nicht schnell genug ist.

Was halten Sie von Marry Barra, der ersten Frau an der Spitze des Konzerns?Ich kenne sie nicht gut. Aber ich kenne ihren Vorgänger Dan Akerson gut. Und Ich denke, er hätte sich nicht für sie eingesetzt, wenn er sie nicht für die beste Wahl gehalten hätte. Allerdings muss man bedenken: Sie hat ihre ganze Karriere bei GM verbracht, das macht wir etwas Sorgen.

Sie sind ein Unterstützer von Hillary Clinton. Könnten Sie sich vorstellen für sie zu arbeiten?Ach, da liegt noch ein weiter Weg vor ihr. Wir kennen die Clintons schon lange. Präsident Clinton hat mich erst gestern angerufen, um über einige der Dinge zu reden, über die wir hier gesprochen haben. Wir haben sie stark im Wahlkampf 2008 unterstützt und bewundern sie sehr. Aber erst einmal muss sie sich entscheiden, ob sie überhaupt antreten will. Dann muss sie von ihrer Partei als Kandidatin nominiert werden und dann muss sie die Wahl gewinnen.

Aber es sieht doch ganz gut für sie aus. Ich glaube, es wird ganz schön schwer werden, die Wahl zu gewinnen.

Warum?Wir hatten in der Vergangenheit nur ein Beispiel seit dem zweiten Weltkrieg, wo eine Partei für acht Jahre an der Macht war und dann noch einmal vier Jahre lang an der Macht blieb. Und das war in den 1980er Jahren mit Präsident George Walker Bush. Aber sei es bei Bill Clinton, Kennedy, Johnson, Eisenhower. Nach acht Jahren hat die Regierungspartei immer gewechselt, weil das Land nach einer bestimmten Zeit Veränderung will – vor allem, wenn die Lage nicht gut ist und das ist sie nicht. Selbst Präsident Obama würde Ihnen nicht sagen, dass er mit der wirtschaftlichen Entwicklung zufrieden ist.

Herr Rattner, vielen Dank für das Interview.

Dieser Artikel wurde Ihnen aus der ‚Handelsblatt Live‘-App für das iPad versendet.

Holen Sie sich die App unter: http://apps.handelsblatt.com/live-app/

(c) Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Nutzungsrechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

Schreiben Sie einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .