Sauberer Aufschlag. So geht Politik. Nicht selbstbesoffen, sondern klar.
Heute im Handelsblatt.
„Wir sind keine Verbotspartei“
Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg über vegetarisches Essen, die Probleme bei der Energiewende, seine Abneigung gegen „Ausschließeritis” möglicher Koalitionspartner und sein Faible für die Pkw-Maut.
Hans-Jürgen Jakobs, Barbara Gillmann | Sonntag, 18. August 2013, 19:44 Uhr
Im Büro des Bundesratspräsidenten warten Schokolade, Kekse und Bonbons auf Winfried Kretschmann (Grüne). Der schwäbische Ministerpräsident hat um elf Uhr morgens noch nicht gefrühstückt – und vertröstet sich mit Süßem.
Herr Kretschmann, hatten Sie diese Woche schon den Veggie-Day? Ja. Bei uns zu Hause gibt es sehr viel vegetarische Kost. Unterwegs auf Staatsempfängen bekomme ich ja immer nur Fleisch vorgesetzt. Das ist die lange Linie aus Zeiten der Armut: der Sonntagsbraten und der Sonnenkönig, der den Bürgern ein Huhn in der Suppe verspricht.
Der Veggie-Day soll das beenden?Bei den Katholiken hat das eine ganz lange Tradition, wenn auch mit anderer Begründung. Insofern stehen die Grünen da in gutem konservativem Umfeld.
Haben Sie keine Angst, dass das als Tugenddiktatur rüberkommt?Doch. Aber man darf sich nicht von Angst leiten lassen. Es ist auch nur eine Anregung. Es ist eine absurde Kampagne, aus den Grünen eine Verbotspartei machen zu wollen. Verbote und Gebote, besser Regeln, sind der Inhalt von Gesetzestätigkeit, denken Sie nur an die Impfpflicht von Herrn Minister Daniel Bahr. Die Frage ist nur, ob wir zu viele haben oder an der falschen Stelle.
Helmut Schmidt wollte einen fernsehfreien Tag. Brauchen wir internetfreie, verkehrsfreie Tage?Der autofreie Sonntag ist alt und vernünftig. Das sind Nachdenkvorschläge. Ich selbst hätte ab und zu gern einen politikfreien Tag.
Erstmals können die Grünen im Bundestagswahlkampf einen eigenen Ministerpräsidenten aufbieten. Wie groß ist Ihre Last?Das ist keine Last. Ich profitiere ja auch davon. Wir haben im Land Baden-Württemberg gezeigt, dass wir in ganz andere bürgerliche Dimensionen vorstoßen können, als die Partei bislang geschafft hat. Da sind wir Benchmark.
Im Wahlkampf verzichtet die Partei weitgehend auf diesen Vorteil, indem sie sich links positioniert.Das sehe ich nicht so. Die Ökologie ist bei den Mitgliedern das Topthema. Und sozial ist die Partei seit der Gründung. Wir sind eine Partei des ökologisch und sozial gesinnten Bürgertums.
War der Ruf nach Steuererhöhung, gleich dreimal, zu laut? Ich habe ja gesagt, dass mehr als zwei Steuererhöhungen pro Legislaturperiode schwierig sind. Die Partei hat es anders beschlossen. Richtig ist: Wegen der Schuldenbremse, des Sanierungsstaus in der Infrastruktur und auch in der Bildung kommen wir um moderate Steuererhöhungen nicht herum. Ich spüre natürlich sehr heftigen Widerstand der Wirtschaft vor allem gegen Vermögensabgabe und Vermögensteuer. Der globale Wettbewerb ist nun mal hart und scharf. Ich habe der Wirtschaft zugesichert: Baden-Württemberg wird nichts zustimmen, was ihr schadet.
Das heißt?Keine Substanzbesteuerung, Steuererhöhung nur in Maßen und Erhalt der Fähigkeit, zu investieren, zu forschen und zu entwickeln. Das haben wir auf meine Anregung hin auch so beschlossen – eine wichtige Korrektur!
Beruhigt das Weltmarktführer und Mittelständler im Ländle?Ich hoffe, es dämpft zumindest ihren Zorn.
Viele Grüne unterschätzen den Wettbewerb. Den Fehler machen Menschen und Politiker jeglicher Couleur leicht. Aber es ist ein Irrtum. Ich war in Korea und Japan – der wirtschaftliche Schwerpunkt der Welt verlagert sich. Diese Länder haben alle einen schwachen Sozialstaat und können so mehr investieren. Die Kombination ist nicht erstrebenswert, aber wir müssen unsererseits alles tun, um unsere Innovationsfähigkeit zu erhalten – deshalb wollen wir ja den Steuerbonus für Forschung. Aber keine Frage: Für die Verbreitung solcher Erkenntnisse muss ich in meiner Partei noch mehr tun.
Braucht die Partei Rat aus der Wirtschaft?Ich bin gut beraten, habe einen engen Draht zur Wirtschaft. Aber das gilt nicht für alle, da hilft mir mein Amt. Deutschland geht es relativ gut, da neigt man dazu, sich zurückzulehnen. Andere schlafen nicht: China bildet jährlich eine Million Ingenieure aus, Hyundai kommt sehr früh mit dem Brennstoffzellenauto, das ist kein Zuckerschlecken.
Die Hoffnung der Wirtschaft auf die Chance der Energiewende sinken. Ausgerechnet Bosch ist aus der Photovoltaik ausgestiegen.Das ist kein gutes Signal. Man kann von Bosch nicht erwarten, dass sie investieren, wenn man mit herkömmlichen Solar-Modulen keine schwarzen Zahlen schreiben kann. Strategisch laufen wir aber Gefahr, bei einer Technologie zurückzufallen, die mit 100-prozentiger Sicherheit global führend sein wird. Daher bin ich froh, dass Bosch den Forschungsbereich dazu erhält.
Selbst den Grünen fehlt ein Plan für die Energiewende. Ihre Kritik ist nicht ganz falsch: Den großen Wurf müssen wir noch erarbeiten. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist sehr erfolgreich, muss aber grundlegend umgebaut werden. Mit dem Rumgebossel von Herrn Altmaier kommen wir da nicht weiter. Der Boom war stärker, als selbst wir erhofft hatten. Wir brauchen Kapazitätsmärkte: Vor allem moderne Gaskraftwerke müssen Geld bekommen, dass sie bereitstehen, die Lücken zu füllen, und nicht zugunsten alter Kohlekraftwerke vom Netz gehen. Das haben wir sehr früh angemahnt. Aber es hat ein Jahr gedauert, bis wir in der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin darüber reden konnten. Und es kamen nur Bedenken, keine Vorschläge. Das ist eine evidente Führungsschwäche der Kanzlerin – auch weil sie die Kompetenzen nicht bündelt wie wir. Wir haben sämtliche Fragen der Energiewende zusammengefasst im Ministerium für Umwelt und Energiewirtschaft.
Sie wollen ein Energieministerium einrichten.Genau. Wirtschafts- und Umweltminister können sich nicht ewig beharken und die Energiewende durch Kompetenzgerangel blockieren.
Und Sie fordern ein Verbot von Kohlekraftwerken.Wenn der Zertifikatshandel funktioniert, ist das nicht nötig. Das ist der marktwirtschaftliche Weg seit Ludwig Erhard: Die Politik setzt einen ordoliberalen und technologieoffenen Rahmen, die Wirtschaft bewegt sich in dem Rahmen. Wir werden nicht wie die Bundesregierung zuschauen, wie die Preise beim Emissionshandel bis zur Unwirksamkeit verfallen. Das ist ein hervorragendes marktwirtschaftliches Instrument, um global zu steuern. Auch hier versagt die Bundesregierung kläglich, genau wie beim Netzausbau.
Und bei dem Schadstoffausstoß von Fahrzeugen …… müssen wir einen ordoliberalen Rahmen setzen und dann Technologiefreiheit erlauben: Wenn man konsequent den CO2-Ausstoß der Flotten deckelt, kann die Industrie die Ziele erreichen, wie sie will: über bessere traditionelle Motoren oder mit Elektroautos. Grenzwerte müssen aber auch durchgesetzt werden: Es kann nicht sein, dass Autos bei der Prüfung dramatisch niedrigere Abgaswerte erreichen als in der Praxis. Ich habe darüber viel mit der Wirtschaft geredet. Politik muss wissen, was geht und was nicht geht – und falsches Jammern vom richtigen unterscheiden.
Geht Energiewende besser mit der Kohlepartei SPD oder CDU?Mit keiner besonders gut. Das ist unabhängig von der Farbe. In der Ministerpräsidentenkonferenz zählt, welches Land Kohle hat, welches Windenergie, welches viele Atommeiler.
Mit einer Großen Koalition gibt es gar keine Energiewende?Große Koalitionen haben noch nie Großes vorangebracht. Das Gefährlichste ist, dass sie mit Verfassungsänderungen regieren. Sie taugen vielleicht für Krisenmanagement; das kann ja auch Frau Merkel gut. Unklar ist, wohin sie will. Und Große Koalitionen fällen erst recht keine Richtungsentscheidungen. Das ist auch logisch, sie vereinen ja zwei Lager.
Sie stehen nicht im linken Lager?Nein. Wir sind eine eigenständige Kraft. Ein Großteil meiner Partei rechnet sich natürlich zum linken Lager – aber ich nicht.
Dann macht’s ja nichts, wenn es für Rot-Grün nicht reicht.Doch. Wir wollen mit der SPD regieren. Da eiern wir nicht rum.
Sehen Sie eine Wechselstimmung? Bisher nicht. Aber es gibt 40 Prozent unentschiedene Wähler. Die Dynamik kommt, wenn alle aus dem Urlaub zurück sind.
Wie lange will die Partei der Frage ausweichen, was passiert, wenn es für Rot-Grün nicht reicht?Ich bin nie ausgewichen. Wenn es nicht reicht, müssen wir offen sein. Wir werden hoffentlich nicht zugucken, wie andere andere Bündnisse schmieden. Sondern uns einmischen, sondieren. Ich bin gegen Ausschließeritis.
Würden Sie mit der CDU reden?Falls es für Rot-Grün nicht reichen sollte, würde ich erst einmal sondieren. Ich habe Erfahrung: Wenn 2006 Herr Mappus es nicht verhindert hätte, hätte Herr Oettinger mit uns verhandelt. Dann wäre ich allerdings heute sicher nicht Ministerpräsident. Scheitern hat manchmal auch Gutes.
Wie sehen Sie die Bahnprobleme? Wer ist denn Eigentümer? Wenn der Bund trotz der dramatischen Unterfinanzierung meint, die Bahn müsse eine halbe Milliarde für den Haushalt abdrücken, ist das unverantwortlich.
Trägt Minister Ramsauer Schuld?Wenn ich mir ansehe, wer alles Verkehrsminister wird, denk’ ich: Das ist doch das Strafbataillon der Republik. Klimmt, Tiefensee, Ramsauer … Das wichtigste Infrastrukturministerium wird mit solchen besetzt, die es definitiv nicht können oder wollen.
Haben Sie einen besseren?Zum Beispiel Boris Palmer – ein leidenschaftlicher, hochkompetenter Verkehrspolitiker mit der nötigen Durchsetzungskraft.
Was würde er anders machen?Schauen Sie sich die wichtigste Bahntrasse Mitteleuropas an – die von der Nordsee übers Rheintal und den Gotthard nach Norditalien – von eminenter wirtschaftlicher Bedeutung. Dramatisch unterfinanziert, allein für den Abschnitt in meinem Land fehlen vier Milliarden Euro. Unseren Vertrag über die Anbindung erfüllen wir Deutschen nicht. Die kleine Schweiz schafft das, wir blamieren uns bis auf die Knochen. So was geht doch an die Substanz einer Industrienation.
Was halten Sie von der Ausländer-Pkw-Maut des Horst Seehofer?Das ist Populismus und rechtlich nicht machbar. Ich bin dezidiert für eine satellitengestützte Pkw-Maut für alle, auf allen Straßen – statt Kfz-Steuer. Das kann man auf Europa ausdehnen, der Satellit Galileo hätte was zu tun. Wir könnten dann intelligent nach Ort, Zeit und Fahrzeug differenzieren – und so die Verkehrsinfrastruktur viel besser nutzen. Die Fahrt zur Rush-Hour in der Stadt wäre teurer als nachts auf dem platten Land, sparsame Autos günstiger als Dreckschleudern. So erobern wir auch die Technologieführerschaft. Das ist ein Riesenmarkt: Die halbe Menschheit wohnt in Ballungsräumen.
Im Parteiprogramm steht das nicht. Wo sind Ihre Mitstreiter?Es gibt gute Leute in der Industrie, die das unterstützen, selbst in der Autoindustrie. Die Staus, etwa im Großraum Stuttgart, gehen an die Substanz der Wirtschaft. Zugleich haben wir exzellente öffentliche Verkehrssysteme, die nicht genügend genutzt werden. Also muss man intelligent umlenken.
Herr Kretschmann, wir danken Ihnen für das Interview.
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