Rund 2000 Gäste haben im Tempelhofer Hangar das Ankommen der Grünen in der Mitte der Gesellschaft gefeiert. Eine wohlverdiente Wohlfühlveranstaltung. Und das Nette an den Grünen ist ja, dass sie sich durchaus erinnern, dass Geschichte eine Geschichte der Widersprüche ist. Zum Beispiel die Rettung der Westgrünen durch die Ostdeutschen Bündnis 90 Menschen im Bundestag.
Wir sind vorne, wir sind Mainstream, wir sind besser ist die Botschaft, die Grün nach außen sendet. Aber es ist ein Unterschied, ob diese Aussage empirisch stimmt oder ob sie monstranzmäßig vor sich hergetragen wird. Übermut kommt selten gut. Es bleibt wieder einmal Winfried Kretschmann vorbehalten, daran zu erinnern.
Mit etwas Abstand vom Feierlärm bahnen sich neue Diskussionen an. Deren Titel lauten: Wie kommt das Neue in die Welt? Die Antworten auf diese epochale Frage sind ganz unterschiedlich.
Ralph Fücks hat ein jetzt ein Buch geschrieben, über das ich mir noch nicht ganz im Klaren bin. Es liest sich wie ein Kompendium der modernen Gesellschaft. Zahlen, Beobachtungen, Überlegungen, keine wirklich neu, aber in der Fülle unerwartet. Unter dem Titel „the great transformation“, unter dem die Grünen neuerdings antreten, wird ein hohes Lied der Veränderungen, des Wachstums und des dafür vorhandenen Wachstumspotentialen von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung gesungen. Wer mal sicher gehen will, dass er keine Entwicklung übersehen hat, wird das Buch mit großem Gewinn durcharbeiten. Wer immer dachte, die Grünen, das sind die, die Landwirtschaft am liebsten selber und im Hinterhof und ohne Düngemittel betreiben möchten, ansonsten Fahrrad fahren und selber stricken, der wird erkennen, dass sich die Vordenker davon längst gelöst haben, dass sie ergebnisoffen referieren, was sich tut auf der Welt, welche Ansätze es gibt, Dinge anders zu gestalten. Wer, wie Harald Welzer, die Grünen als schlimmer als alle andere Parteien betrachtet, weil sie die Illusion des Weiter so mit neuen Weihen versehen, auch der wird sich bestätigt fühlen.
Weil der gefühlte Subtext des umfangreichen Werks Ralph Fücks schon ein technokratischer ist. Keine Sorge, wir, die Grünen, wir haben alles im Blick. Und im Vertrauen darauf könnt ihr, Wählerinnen und Wähler, uns Eure Stimme geben. Wir machen das Beste draus. Ändern muss man sonst nix.
Wenn sich die Grünen so darstellen (und die Rezeption der Hartz IV Geschichte durch die beiden Spitzenkandidaten, die Grünen hätten schon damals den Mindestlohn eingeführt, wenn sie gewollt und gedurft hätten, zielt ja auf ein Bild ab, das sagt, wir Grünen machen auch harte Reformen grundsätzlich ganz sanft, da könnt ihr uns vertrauen, da gibt es keine Ungerechtigkeiten, keine Schieflagen, weil wir die Klügeren sind, diese Rezeption der Hartz IV-Geschichte finde zumindest ich, ist enttäuschend. Klar hatte die ganze Hartz IV Reform auch ihre Verwerfungen, aber der entscheidende Punkt war, dass die GROBE Botschaft an die Menschen ging, jeder von Euch muss selbst anpacken, in Arbeit gehen. Und wer nicht genug verdient, dem wird zugeschossen. Das war sicher bei vielen Alleinerziehenden Frauen ohne Möglichkei, ihre Kinder unter zu bringen, beispielsweise, ungerecht. Aber nur die grobe Botschaft „Kümmere dich selbst“ hat diesen Ruck durch die Gesellschaft ausgelöst. Wer anderes sagt, meine ich, will vor allem beschönigen), wenn sich also die Grünen so darstellen, wir sind die sanften Technokraten, die eine Energiewende machen, die niemandem weh tut, übernehmen sie in der Tat den Gestus der Nachkriegspolitik, ich bin Euer Kümmerer, für das 21. Jahrhundert.
Und damit auch sein Risiko des Scheiterns.
Harald Welzer, der mit Klaus Leggewie bereits ein Buch geschrieben hat, „Wer soll das alles ändern?“ und als Vorsitzender der Stiftung Futurzwei an den Fragen forscht, wie man das alles ändern soll, hat da eine andere Antwort als die handelnden Grünen. Während er, im klassisch-medialen Hau-Drauf-Stil in der Sonntaz vom 10.3. die Grünen als die Schlimmste der Parteien bezeichnet, formuliert er ein Programm, das nicht ohne Reiz ist. Er meint, man müsse einfach die Dinge tun, die einem wichtig sind und von denen man will, dass künftige Generationen von ihr erzählen. Und dann sollte man das Klima und die anderen Überlebensfragen einfach vergessen.
Das sollte man erst mal wirken lassen. ………. In diesem Zusammenhang auch interessant ist Natalie Knapps Buch „Kompass neuen Denkens“, im März 2013 als Taschenbuch erschienen. Sie skizziert darin ein drei Punkte-Programm, wie man in komplexen Situation Orientierung kriegt: Komplexität verstehen, Haltung entwickeln, Zukunft gestalten. Klingt ganz einfach, oder?
Ich musste das alles erst einmal auf mich wirken lassen. Die erste spontane Frage lautet: Wer hat jetzt eigentlich recht? Ist der Königsweg also die neuen Technologien, die uns die Lösungen servieren, auf die wir immer schon gewartet haben? Oder nutzt das alles nichts, wir müssen uns selber ändern, wir müssen unseren Lebensstil ändern, unseren carbon foodprint, wie diese Klimageisel neudeutsch genannt wird, damit alles besser wird.
Ich finde, die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Beides ist richtig. Ja, Politik, grüne Politik, muss sich, in die Verantwortung gekommen, auch ein weiterentwickeltes Bild der globalen gesellschaftlichen Entwicklung aneignen und daran arbeiten, dass die Wählerinnen und Wähler lernen, neben ihrem eurozentrischen, postkolonialen, mittelschichts- und bildungsbürgerlichen Weltbild auch andere mögliche Deutungen der Welt wahrzunehmen. Und darüber nachzudenken, wie und mit welchen Einflußmöglichkeiten „der Westen“ auf globaler Ebene agiert und agieren möchte (die Frage von Krieg, Frieden und Befriedung spielt da übrigens schnell eine Rolle, unter dem Titel der Friedenseinsätze wird dieses aktuell lediglich umgedeutet).
Und auf der anderen Seite: Ja, wir wissen alle, dass SUVs schlecht sind, weil überflüssig, auch wenn sie die Kinder in die Schule und die die Biolebensmittel nach Hause fahren. Zu viel Ressourcenverbrauch, zu wenig Nutzen. Nein, wir brauchen kein schlechtes Gewissen haben, wir sollten uns lediglich, jeder für sich, Gedanken machen, wo es uns, wo auch immer, am Arbeitsplatz, zuhause, in der Erziehung, im Urlaub, wichtig ist, die Dinge, von denen wir alle wissen, dass sie zu tun sind, zu tun. Und sie gemeinsam mit anderen zu tun. Niemand von uns kann ein perfektes Leben führen, gut für sich und gut für die Umwelt, aber jeder von uns kann einen Beitrag dazu leisten, dass das eigene gute Leben und die gemeinsame Zukunftsperspektive besser zusammen gehen.
Insofern, auch das hat Natalie Knapp in ihrem vorherigen Buch zum Thema „Wie die Physik unser Weltbild geprägt ht“, gut beschrieben, die Welt ist vielfältiger und komplexer als wir denken. Wer darüber diskutiert, was der Königsweg ist, um das Klima zu retten, hat längst darauf verzichtet, darüber nachzudenken, wo er einen Beitrag dazu leisten kann, Zukunft zu gestalten. Und dann werden viele theoretische Debatten, was zu tun wäre (vorzugsweise von anderen) und was richtig wäre, überflüssig. Der Skandalhype nähme ab, die Politik müsste nicht dauernd so tun, als wenn sie die Welt retten wollte, sondern könnte sich darauf konzentrieren, gut, dh. wie eine schwäbische Hausfrau, zu regieren.
Und alles wird anders. Manches besser, manches besser. Ich erinnere mich an die berühmten Malthus-schen Progosen, wenn sich der Londoner Pferdekutschenverkehr so weiter entwickelt, würde London in 100 Jahren im Pferdemist ersticken. Es ist dann anders gekommen. Das soll nicht in dem Sinne beruhigen, dass wir einfach weiter machen können, nein. Wir wissen, dass wir unser Leben ändern sollten. Nur was welchen Beitrag zu einer besseren Zukunft bringt, das wissen wir nicht.