Es ist eine schöne und scheinbar unscheinbare Geschichte. Denn der Mann schien erledigt. Es lohnt sich, Christian Wulff, den ehemaligen Bundespräsidenten, weiter zu beobachten. Er wird zurück kommen. Warum das so ist. Und warum das Bild, das sich die deutschen Medien und die Mainstream Öffentlichkeit ein falsches Bild von ihm macht.
Meine These war immer: Christian Wulff hat die Quittung dafür bekommen, dass Angela Merkel, wie immer, auf alles Zugriff haben wollte. Also auch darauf, wer Bundespräsident wird. Da war Gauck, da war Wulff, der eine hatte die Rolle oberhalb der parteipolitischen Öffentlichkeit, der andere sollte aus parteipolitischen Gründen positioniert werden. Es nahm seinen Lauf. Und es war, zumindest für Wulff, ein Pyrrussieg.
Ein bißchen Neid spielte wahrscheinlich auch mit, wegen der neuen Gattin, wegen der medialen Inszenierung.
Durch Christian und Bettina Wulff ist der Bundespräsident im politischen Alltag angekommen. Man kann das bedauern, begrüssen, erst mal ist es eine Feststellung. Die von der Bundespräsidentengattin zur Exfrau mutierte Bettina hat dazu ja auch medial Stellung genommen.
Der eigentliche Zündfunke der Affäre hätte blöder nicht sein können. Nein, man hinterlässt keine Mailbox Botschaften auf dem Anrufbeantworter eines mit allen Wassern gewaschenen Bild-Chefs, auch wenn man mit ihm schon ein paar Mal unterwegs war. Hoch unprofessionell.
Aber es war nur ein Funke, das Pulver war schon da.
Es ist explodiert und hat viele Verletzte hinterlassen. Und jetzt?
Der Umgang mit Glaeseker war nicht ganz professionell. Mitarbeiter im Regen stehen lassen, ist unfair.
Aber den ganzen Prozess durchzustehen, weil man davon überzeugt ist, zu Unrecht beschuldigt worden zu sein, Chapeau!
Jeder PR-Profi hat ihm da sicher abgeraten. Das ist der Unterschied zwischen geschmeidiger PR und persönlicher Haltung.
Das hat, völlig zurecht, zu dem Freispruch geführt.
Schon das verdient Respekt.
Es gibt, und darauf hat die FAS heute hingewiesen, aber auch noch eine andere Wulff Wahrnehmung. Die des Christian Wulff, der sich am Tag der Deutschen Einheit hingestellt hat und darüber geredet hat, dass der Islam auch zu Deutschland gehört.
Das war echt mutig. Das war, und das haben wir alle, die in unserem biodeutschen Empörungswahn waren und deshalb Wulff für den falschen hielten, nicht verstanden.
Wenn die FAS heute nachzeichnet, wie das alles zustande kam, tastend, nicht sicher, dann wirft das einmal ein sehr realistisches Bild darauf, wie Meinungsbildung hinter den Kulissen stattfindet (und es ist gut so), lenkt den Blick aber auch darauf, dass es, und in einem für Deutschland sehr wichtigen Punkt, auch ein anderes Wulff-Bild gibt.
Wir können gespannt sein, was da folgt.
P.S. Eines finde ich auch noch bemerkenswert: Es gibt keine echten Helden mehr. Ich messe die Vertrauenswürdigkeit von Politikern ja daran, wie sie Krisen durchstehen. Ganz eindeutig: Da hat Wulff wirklich gewonnen. Auch wenn man keinem Menschen so einen Horrortrip wünschen würde.
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Der FAS-Beitrag:
SONNTAG, 27. APRIL 2014
POLITIK
Auf einmal war da dieser Satz
Der Islam gehört zu Deutschland, hat Christian Wulff als Bundespräsident gesagt – ausgerechnet an einem Tag der Deutschen Einheit. Warum hat er das gemacht? Das fragen sich heute noch viele, zum Beispiel seine Redenschreiber. Von Mehmet Ata
Es gibt einen Satz, der mit Christian Wulff verbunden bleibt. Der Bundespräsident sagte am 3. Oktober 2010, dem 20. Jahrestag der Deutschen Einheit: Der Islam gehört zu Deutschland. Sehr viele Muslime in Deutschland lieben ihn für diesen Satz. Sie nennen ihn noch heute „unser Präsident“. Bei vielen Parteifreunden hat der CDU-Mann Wulff mit der Rede aber Sympathien verloren. Auch aus der Bevölkerung kamen fast nur negative Reaktionen, wie er später in einem kleinen Kreis erzählte.
Eine Rede sagt viel über den Menschen, der sie hält. Genauso viel sagt aber auch die Entstehung einer wichtigen Rede aus. Wer hat die entscheidenden Botschaften verfasst? Wer wusste Bescheid? Wie viele Entwürfe gab es? Eine Spurensuche.
Christian Wulff zu fragen ist unmöglich. Er gibt keine Interviews. Etliche Anrufe bei ehemaligen Mitarbeitern. Niemand kann oder will etwas verraten, die meisten aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen. Sie haben im Bundespräsidialamt lange Verschwiegenheitsklauseln unterzeichnen müssen. Ein ehemaliger Redenschreiber verrät dann doch etwas. Der erste Redeentwurf ging demnach etwa zwei Wochen vor dem 3. Oktober an Wulff. Das war für seine Verhältnisse eine Menge Vorlauf. Als Ministerpräsident hatte er sich bei weniger wichtigen Reden gar keine Entwürfe zeigen lassen, sondern schaute sich die Rede eine halbe Stunde, bevor er sie hielt, an. Auch als Bundespräsident hielt er oft mehrere Reden am Tag, lange Vorbereitungen waren da nicht möglich. Wulff hat ein ausgezeichnetes Kurzzeitgedächtnis. Er merkte sich seinen Redetext und sprach dann frei. Oft redete er über Integration, auch wenn davon nichts im Manuskript stand.
Am 3. Oktober sollte etwas über Integration drinstehen, das hatte Wulff festgelegt. Natürlich wollte er auch über die Mauer und die friedliche Revolution sprechen. Das wussten seine Redenschreiber. Von dem Islam-Satz aber wussten sie nichts. Mehrfach gingen die Entwürfe für die Rede an Wulff und wieder zurück an das Redereferat. Die Mitarbeiter feilten am Einstieg, an den Übergängen. Nichts Substantielles. Drei Tage vor der Rede erwarteten die Redenschreiber die letzte Überarbeitung ihres Chefs. In der neuen Version stand nun – wie aus heiterem Himmel – der Satz vom Islam. „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Einen weiteren Rücklauf gab es nicht mehr. Hatte sich Wulff erst kurzfristig entschieden, oder hatte er seine eigenen Leute ausgetrickst?
Klar ist, dass Wulffs Rede ohne diesen einen Satz kein besonderes Echo gefunden hätte. Dass er über Ost- und Westdeutsche reden würde, war unvermeidlich und erwartbar. Und von der „bunten Republik“ hatte er bereits bei seiner Antrittsrede als Bundespräsident ein halbes Jahr zuvor gesprochen.
Die Geschichte des Satzes begann Mitte September 2010. Der Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges und der Medienmanager Walid Nakschbandi trafen sich zufällig auf einem Wochenmarkt in Berlin. Der gebürtige Afghane Nakschbandi war bedrückt. Er erzählte, wie sehr ihn die Debatte belaste, die Thilo Sarrazin mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ angestoßen hatte. Er fühle sich als Deutscher und Muslim verletzt. Nakschbandi spielte mit dem Gedanken, Deutschland den Rücken zu kehren. „Es geht um ein gesellschaftliches Zeichen“, sagte Nakschbandi zu Jörges. „Der Bundespräsident müsste sagen, dass der Islam zu uns gehört.“ Jörges drängte ihn, seine Gedanken aufzuschreiben, doch Nakschbandi wehrte ab. „Soll ich Wulff darauf ansprechen?“, fragte Jörges. Er hatte erst wenige Tage zuvor in einem Vieraugengespräch mit dem Bundespräsidenten über die bevorstehende Rede gesprochen. Auch das wollte Nakschbandi nicht. Jörges erzählte dennoch Wulffs Sprecher Olaf Glaeseker davon.
Zwei Tage später klingelte Nakschbandis Handy. Glaeseker war dran. Beide kannten sich seit vielen Jahren, verstanden sich gut. Sie redeten lange über Sarrazin. Nakschbandi erinnert sich daran, dass es ein sehr intensives Gespräch war. „Könntest du das in Form eines Briefes an den Bundespräsidenten schreiben und per E-Mail zuschicken?“, habe Glaeseker ihn gefragt. Auch Wulff und Nakschbandi kannten sich, sie hatten sich bei einer Gesprächsrunde im Haus von Nakschbandi kennengelernt.
Der Medienmanager verfasste einen drei Seiten langen Text. Er schrieb über „Ängste“ und „Befürchtungen“, über „Pauschalurteile“ und „Verletzungen“. Und weiter: „Es gibt nicht wenige Deutsche mit Migrationshintergrund, die sich angesichts der jetzigen Diskussion von diesem Land innerlich abwenden und ihr Leben in ihrem gemütlichen Mikrokosmos einrichten. Um dies zu verhindern, ist die Stimme eines ernsthaften Mahners und Versöhners gefragt.“ Von einem wie Wulff. Nakschbandi schrieb, er selbst sei überzeugt, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Glaeseker schickte mehrere SMS an Nakschbandi, hielt ihn auf dem Laufenden. Wie toll er selbst den Brief finde, dass Wulff ihn jetzt auch auf dem Tisch habe, dass er ihn nun gelesen habe. Glaeseker rief Nakschbandi ein weiteres Mal an: „Ich soll dir sagen, wie sehr dein Text Herrn Wulff bewegt hat. Darf er Teile davon in seine Rede einbauen?“ In der Nacht vor dem 3. Oktober erhielt Nakschbandi eine E-Mail von Glaeseker. Im Anhang war die finale Version der Rede. Zur Ansicht, natürlich vertraulich.
Wulff wusste, dass der Satz über den Islam heftige Reaktionen hervorrufen würde. Zwar hatte der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble bereits 2006 etwas Ähnliches formuliert: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas.“ Aber es war halt nur der Innenminister und nicht der höchste Repräsentant des Staates. Und Schäuble hatte den Satz zu Beginn der Deutschen Islamkonferenz gesagt. Ein paar warme Worte für die Muslime, das durfte man nicht zu hoch hängen. Wulff wollte den Satz aber an dem Tag sagen, der den Deutschen eine neue Identität gegeben hatte. Wulff hätte es sich einfach machen können. Er hätte in seiner Rede Schäuble zitieren können. Oder sagen können, dass die Muslime zu Deutschland gehören. Doch er wollte auch die Religion würdigen, die die Einwanderer mitgebracht hatten.
Der Bundespräsident holte sich Rat von außen, so wie er es oft machte. Er lud häufig Menschen zu sich ein, denen er vertraute, und diskutierte mit ihnen. Am Morgen des 30. September waren der Bild-Chef Kai Diekmann und seine Frau zum Frühstück ins Schloss Bellevue gekommen. Auch Bettina Wulff und Olaf Glaeseker waren dabei. Sie diskutierten zunächst eher allgemeine Fragen. Wie oft sich ein Bundespräsident in den Medien zu Wort melden sollte, zum Beispiel. Dann erzählte Wulff von dem Satz. Er wollte von Diekmann wissen, mit welchen Reaktionen er in den Medien rechnen müsse. Der Bild-Chef sagte ihm Kontroversen voraus. Zudem äußerte er Zweifel, ob der Tag der Deutschen Einheit der richtige Anlass für diesen Satz sei. Diekmann hatte den Eindruck, dass Wulff fest entschlossen zu dem Satz war.
Die Themen Integration und Islam lagen Wulff am Herzen, das sagen viele, die ihn in Niedersachsen und Berlin begleitet haben. Er hat nicht nur mit Aygül Özkan die erste Muslimin zur Landesministerin gemacht und auch noch an ihr festgehalten, als sie die Abschaffung von Kruzifixen in Klassenzimmern forderte. Wulff war auch derjenige, der eine Frau mit Migrationshintergrund zur Landesintegrationsbeauftragten gemacht hatte – als Erste in Deutschland. Er setzte sich für islamische Theologie an Universitäten ein und pflegte in Niedersachsen beste Kontakte zu Migrantenorganisationen.
Geprägt haben Wulff neben Gesprächen mit jungen Menschen auch viele Hintergrundgespräche mit intellektuellen Muslimen. Er lud immer mal wieder Leute wie die Publizistinnen Hilal Sezgin und Hatice Akyün oder die Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates zu sich ein, um mit ihnen zu diskutieren. „Ich verstehe das nicht, erklären Sie mir das bitte“, sagte er dann oft. Er hörte viel zu, erzählen Teilnehmer dieser Runden. In der Kreditaffäre hatte man den Eindruck, dass Wulff etwas Größeres sein wollte, als er tatsächlich war. In den Hintergrundgesprächen erlebten die Anwesenden das Gegenteil: einen Mann, der sich klein machte, der bescheiden auftrat und viel zuhörte.
Es gab etliche Menschen in Wulffs Umfeld, die ihn vor dem Satz warnten. Auch seine Ehefrau Bettina, eine erfahrene PR-Frau, soll ihm abgeraten haben, heißt es aus Wulffs Umfeld. Womöglich hat Wulff seinen Redenschreibern den Satz zunächst verschwiegen, um sich noch mehr Gegenwind zu ersparen. Jemand aus dem Umfeld von Wulff behauptet sogar, der Satz sei am Tag vor der Rede gestrichen und dann wieder reingeschrieben worden. Andere bestreiten diese Darstellung.
Am Tag der Deutschen Einheit hielt Wulff seine wohl wichtigste Rede. 1400 Gäste hörten ihm in der Bremen-Arena zu. Wulff wirkte angespannt, als er zu Anfang über Ost und West sprach. Nach knapp zehn Minuten war er bei den Migranten und dem Islam angekommen. Seine Stimme wurde lebendiger, seine Gestik eindringlicher. Mehrfach huschte ein Lächeln über sein Gesicht.