Daniel Goffarts Buch über Steinbrück ist ein ganz guter Anlass, die Rolle der Parteien in unserer Gesellschaft zu reflektieren. Jedenfalls die Rolle, die politische Parteien spielen könnten.
Meine These: Parteien, die ihre politischen Lager verwalten wie einen Bestand, den es zu bewahren gilt, haben die gesellschaftliche Situation noch nicht verstanden. Wir befinden uns in einer Epoche der dreifachen Umwälzungen, der technologischen Umwälzung, die im Wirtschaftsleben zur vielbeschworenen „kreativen Zerstörung“ des Kapitalismus führt, der Verschiebung der politischen Achsen vom Westen weg, hin nach Asien und auch in den vorderasiatischen Raum. Ferner erleben wir ganz persönlich erleben wir das als Umwälzung der persönlichen Verhältnisse, biographisch, unter dem Schlagwort „Patchwork“ gut beschrieben, aber auch der Umwälzung der gesellschaftlich sozialen Sicherheiten. Wer glaubt heute denn tatsächlich noch, der Staat könne ihm Sicherheit, etwa Rentensicherheit bieten?
In dieser Situation des Umbruchs sind politische Parteien gezwungen, sich zu behaupten. Wer dabei zu sehr zurück blickt und festhält, verliert den Kompass für die Zukunft. Angela Merkel, deren Verdienst, die CDU von ihrem westdeutsch strukturkonservativen Teil zu befreien, hat die CDU erst in eine kompetitive Situation gebracht; auch, wenn ihr jetzt das Personal und die Ideen ausgehen, was konservativ denn sein könnte.
Die SPD übt sich ja schon länger in ritueller Selbstzerfleischung. Der linke gegen den rechten Flügel, übermässige Hoffnungen auf einen Staat, der alles regelt und der Gerechtigkeit garantieren soll, hier gegen einen oftmals etwas blassen, fortschrittsgläubigen Modernismus der großen Einheiten und einen oftmals sehr nüchternen Hau-Rück-Patriotismus auf der anderen Seite.
Ja, es könnte sein, dass sich die Partei jetzt findet. Goffart beschreibt die aktuelle Situation und wie Steinbrück das reflektiert, ganz gut. Das Management der Drei, auch wenn es am Ende etwas missraten schien, war es nicht; man verkenne nicht, wie kräftezehrend dieses Arrangement gewesen sein muss und wie reibungslos es fast zwei Jahre geglückt ist; Zeit, die der Kandidat Steinbrück gebraucht hat, um zu reifen, den Test in die Partei und die Öffentlichkeit zu absolvieren (und sich selber davon zu überzeugen, dass er es ist und kann). Im Gründe war dieser Vorlauf so eine Art informelle Vorwahl. Und die Partei, das zeichnet sie aus, has diese informelle Vorwahl akzeptiert.
Und GRÜNs? Nach diesem Wochenende wissen wir mehr, aber dem erfolgreichen Experiment Baden-Württemberg steht eine auf Bundesebene eher uninspirierte Führung gegenüber. Jürgen Trittin, dem effektiven Techniker der Macht, fehlt ein Gegenüber, das einen weiteren überzeugenden Impuls setzt. Claudia Roth ist grünes Retro, Künast verbissen verkämpft und Katrin Göring-Eckart hat nicht vermitteln können, wofür sie steht.
Und inhaltlich können die GRÜNEN derzeit nicht vermitteln, wofür sie eigentlich stehen, wozu man sie braucht in der aktuellen Situation. Es fehlt das, was Grüne bisher immer ausgemacht hat, Inspiration im Blick auf die aktuelle politische Situation, etwas Eigenes in ihrer Sicht auf die Dinge. Und ihre Gedanken, wie die Dinge zu lösen sind.
Parteien, so meine These, könnten Heimat für Menschen sein, nicht in dem Sinne direkten Heimat, sondern in dem Sinne, wie sich Menschen in der Sicht, die Welt zu sehen, aufgehoben fühlen. Es ist eine Mixtur von Faktoren, die eine Rolle spielen. Parteien sind Gemeinschaft, in der man sich (medial vermittelt) wohlfühlen sollte und Institution.
Gemeinschaft mit allem, was an Ausstrahlung dazu gehört, wie die Dinge geregelt werden sollten, welche Menschen dort tätig sind, ihr sozialer Gestus, der Stil, in dem sie auftreten. Institution, also wie sie ihre Rolle interpretieren, ihr Verhältnis zu Technologie und ihr technologisches Weltbild, ihre instrumentelle Interpretation von Gesellschaft, also das Verhältnis zuvor bürgerschaftlichem Engegement, Gemeinwohl und Eigennutz und natürlich der Rolle des Staates.
Letzeres halte ich für besonders interessant. Während die derzeitig heranreifende Politikergeneration von Jens Spahn bis Gerhard Schick alle auf einen intervenierenden Staat setzen und die Lösungskompetenz von Gesellschaft unterhalb von Politik weitgehend ausblenden, kommt auf die Spitzenkandidaten der Parteien die Rolle zu, den Dialog mit den Menschen zu führen. Wenn Parteien Gemeinschaften sind, dann kommt der Frage, wer vornedran steht, eine wichtige Rolle zu. Denn Spitzenkandidaten und Wahlkämpfe können Situationen sein, die Gesellschaft für Zukunft öffnen; wenn Politiker den Mut haben, den Blick nach vorne zu richten, Mut zu machen und Menschen an sich zu binden. Willy Brandt ist so ein Fall, ein Mensch, der über seine Biographie und seine Kommunikationsfähigkeit die Reichweite der Sozialdemokraten hegemonial ausgeweitet hat. Für Baden-Württemberg gelingt das im Moment Winfried Kretschmann sehr gut, auf Bundesebene kann eine ähnliche Kraft, so nehme ich das aktuell war, nur von Steinbrück ausgehen. Er ist die Sprachgewandte Antwort auf den sprachlos orientierungslosen Pragmatismus einer Angela Merkel. Auch wenn im Moment zurecht niemand die Verdienste von Frau Merkel bei der Modernisierung Deutschlands vergessen machen möchte. Aber es ist wie bei Schröder, als dessen Zeit abgelaufen war, auch für jemanden, der rotgrün richtig, der die Hartz-Reformen richtig und wichtig gefunden hat.
Deshalb sind Meinungsforscher und Milieubeschreiber nicht sonderlich hilfreich, wenn man sie als Politikersatz missbraucht. Die Aufgabe von Politikern ist es, wahrzunehmen, was in der Gesellschaft vorgeht und das in die wahrgenommene Identität seiner Partei zu integrieren, Mentalität. umzubauen und zusammen zu bringen.
Welche der beiden alten Großparteien das schafft, der hat Chancen bei der kommenden Bundestagswahl. Und, auch wenn der Ausgang und die Folgen einer schlecht gemanagten Führungduofrage sie ein tiefes Tal durchschreiten lässt, das hegemoniale Potential der GRÜNEN ist weiterhin nicht zu unterschätzen; wenn, aber nur dann, wenn sie sich darauf konzentrieren, ihre Rolle als selbstbewusste Thematisierer und effektive und unbestechliche Politikumsetzer wahrzunehmen und sie überzeugend zu gestalten.
Mit der Sozialdemokratie könnte das Zusammenspiel übrigens darin liegen, dass die Sozialdemokratie eine Affinität zu institutionellen Großlösungen und Großtechnologien und -Institutionen zeigt, während GRÜN mehr mit reversiblen Technologielösungen, reflexiv, abwägend und auf die Kompetenz der kleinen Netze und auch hoffentlich auf das innovative Unternehmertum, Kreative Zerstörung, setzen würden. Dann würde eine rotgrünen Regierung sich die ganze Bandbreite der Zukunftsbewältigung erschließen können, undogmatisch und der Lösung der wichtigsten anstehenden Sachfragen verpflichtet. Und davon gibt es genügend.
Eines sollten wir nicht vergessen: Dass Rotgrün ein Erfolg war, hatte erstens mit einem geplanten und in die Wege geleiteten Konzept der Energiewende zu tun. Es hatte aber auch damit zu tun, dass der Egomane Gerhard Schröder in einem fast blinden und ohne seine Partei beschlossenen Akt die Hartz Reformen durchgezogen hat. Das erst hat die Gesellschaft durchgerüttelt, leistungsfähig gemacht, ja, auch etwas härter und verteilungstechnisch, unsozialer. Und jetzt sollte eine künftige Regierung darüber nachdenken, wie Zukunftsfähigkeit, das heißt, eine Flexibilität der Gesellschaft und soziale Mindeststandards, z.B. Mindestlöhne, zusammen passen. Dann hat sie ein Angebot an die Gesellschaft, das Boot flott zu machen für die künftigen Stürme und die Moral der Mann- und Frauschaft lebendig zu halten.
So geht Zukunft.