Auf dem Papier ist alles ganz einfach. Und so geschah es. Das Gesundheitssystem, so schien es vielen von uns, ist dadurch geprägt, dass zu viele Lobbyinteressen zu viele für sie nutzenorientierte Bilder zeichnen und am Ende die Politik den Überblick verliert. Deshalb schien eine unabhängige, wissenschaftlich basierte Faktengrundlage für Entscheidungen der richtige Weg. Ein paar Fragen an die heute alternativlos herrschende Konstruktion.
So ging es dann weiter
Der reale Weg war dann, dass die Verantwortung für diese Fragen an ein Selbstverwaltungsgremium delegiert wurde, den Gemeinsamen Bundesausschuss. Dort treffen Vertreter von Leistungserbringern und Kostenerstattern dann Entscheidungen. In der Folge wurden die Interessen der Interessensgruppen gebündelt, jetzt sitzen sich die Gruppeninteressen in destillierter und in wachsender Mannstärke gegenüber. Ach ja, und um Sachverhalte zu haben, über die man reden kann, werden Gutachten erstellt und wissenschaftliche Beratungsgremien eingerichtet. Auf dem Schlachtfeld der Honorarverteilung treten alle Beteiligten als sachorientierte Friedensengel auf. Eine schöne Inszenierung.
Man dann das auch so übersetzen: Um gegenüber Lobbyisten von Außen ein stärkeres Gewicht zu haben, haben sich die Lobbyisten von Innen, Ärzte, Krankenkassen, Krankenhäuser, abgeschottet und organisiert, um im zähen Ringkampf zu Lösungen zu kommen.
Ist das schlecht? Ist das gut?
Es wirkt in erster Linie mal alternativlos. Alle Bundestagsparteien favorisieren dieses Modell zentraler bürokratischer Selbstverwaltung.
Die Kritik daran ist erst einmal formaler Natur:
Das spricht gegen die Konstruktion G-BA
Eine Zentralisierung der Entscheidungen führt zu einem Flaschenhalseffekt. Durch diesen Flaschenhals müssen alle durch, also gibt es einen Entscheidungsstau.
Eine Zentralisierung führt zu Erpressbarkeit. Wer so viele Entscheidungen treffen muss, dem ist das erste Anliegen, diese schnell wieder vom Tisch zu kriegen. Also ist im Ernstfall die Frage, ein Thema konfliktfrei wieder vom Tisch zu bekommen, wichtiger als die richtige Lösung zu finden.
Die Zentralisierung führt im Grunde zu Laienentscheidungen. Niemand kann diese ganzen komplexen Themen überschauen. Deshalb geht es um Plausibilität, das ist aber etwas anderes als die konkrete, richtige Entscheidung.
Die Verwaltung im Selbstverwaltungsmodus führt dazu, dass das Motiv des „Weiter so“ dominiert. Bestehende Interessen gegenüber künftigen „Markterwartungen“. Veränderungen sind in einem solchen Gremium schwer zu erreichen.
Die Verwaltung im Selbstverwaltungsmodus führt auch dazu, dass Machtfragen als Sachfragen verkleidet werden. Damit wird das Modell eines deliberativen Verfahrens, aus der Idee geboren, dass viele Fragen sachlich zu klären sind, ins Absurde geführt. Es geht eben nicht um sachliche Fragen, es geht um Machtfragen.
Und dann bleibt da noch der systemische Nachteil von Verhandlungsmodellen, bei denen Entscheidungen und Anpassungen alleine durch Verhandlung und Beratung stattfinden. Es bedarf erst eines Problems in einer relevanten Größenordnung, bevor es zur Beratung kommt. Marktmodelle funktionieren ja so, dass sich die Erwartungen der Kunden verschieben. Und die Anbieter auf den Märkten, und zwar ohne Diskussion, sich auf diese Verschiebung reagieren. Und zwar von sich aus, in der Auseinandersetzung von Kunden und Leistungserbringern. Im Gesundheitssystem kann so eine spontane Adaption der Leistung schon deshalb nicht mehr erfolgen, weil das Honorierungsmodell die Kostenerstattung immer zentraler organisiert. Selbst wenn also Institutionen erkennen, dass Leistungen anders besser zu erbringen wären, passen sie sich nicht an. Ausnahmen bestätigen die Regel, also etwa bei Laborleistungen etc. Bei diesen einfachen Preiseffekten kann man Einsparungen erzielen. Sobald es komplexer wird, etwa, wenn Ärzte nicht mehr nach Einzelleistung für Krankheitsreparatur, sondern für die Gesundheitserhaltung ihrer Patienten belohnt werden sollten, funktioniert das nicht.
Und weil es darüber keine Diskussion gibt, fängt das Gesundheitssystem immer stärker an zu hinken.
Was tun? Anders denken!
Die menschliche Erkenntnisfähigkeit ist schwach. Das erkennt derjenige, der sich mit der Unterkomplexität des menschlichen Geistes beschäftigt, oder der sich über die magere intellektuelle Qualität der politischen Debatte erregt hat.
Woran das liegt? Klar, auch an den Folgen einer Überpolitisierung der Gesellschaft. Wenn alles politisch ist, dann gehört alles auf den Tisch der gesellschaftlichen Debatte. Die Piraten haben in ihrer kurzen Geschichte gezeigt, dass das Modell, alles immer zu thematisieren, eben zum Ende der Debatte, und, noch wichtiger, zu Nichtentscheidung führt. Weil die Debatte Mittel zum Zweck ist.
Deshalb braucht es nach der Phase der Politisierung der Gesellschaft jetzt eine Rückbesinnung auf die spontane Handlungsfähigkeit der Gesellschaft. Wenn ständig alles thematisiert wird, will keiner mehr mitmachen. Es gibt ein Leben außerhalb der Politik. Und das ist schön. Jeder von uns kann einen Beitrag zu einer gut funktionierenden Gesellschaft leisten, wenn er gut arbeitet. Die unreflektierte Lust an Leistung, wenn sie sich für den Einzelnen auch lohnt, ist eine starke Triebkraft einer spontan gut funktionierenden Gesellschaft, nicht die ständige Partizipation. Und gegen Wutbürger braucht es Politiker mit Rückgrad, um Aufreger wieder abregen zu können.