Wir Demokraten. Die mit dem Balken im eigenen Auge

Es bleibt ein Verdienst des Handelsblatts, den Balken im Auge der Freiheit zu erkennen. Die große demokratische Nation, USA, ist in Wirklichkeit eine Oligarchie. Nur dass die Gesamtaufstellung des oligarchischen Systems so konzipiert ist, dass kein Zwang notwendig ist, um Zustimmung zu erzeugen, sondern die dominierende Ideologie das von selbst erzeugt: Vom Tellerwäscher zum Millionär, wer verliert, hat Pech gehabt. Und ständig schaufelt sich die USA immer neue Migrantengruppen ins Land, zumeist illegal.

Wir erinnern uns an Charlie Chaplin, Modern Times, dieses Bild, kurz bevor er in das Räderwerk des Kapitalismus gezogen wird?

Auch, wenn es uns nicht gefällt, weil wir uns Demokratie schön träumen. Nur eine Demokratie, die die strengen Maßstäbe, die sie an Länder mit anderer Verfassung richtet, selbst einhalten kann, überzeugt.

Und die USA sind demokratiepraktisch schon ein unterirdisch trauriges Kapitel.

Die legalisierte Korruption

In den USA sichern sich Oligarchen politischen Einfluss mithilfe des Obersten Gerichts. Dessen Urteile befeuern den Trend, dass Wahlkämpfe zu immer härteren Materialschlachten werden. Wer ein hohes Amt anstrebt, braucht reiche Gönner.

Moritz Koch | Donnerstag, 3. April 2014, 20:00 Uhr

Als der Milliardär Tom Perkins vor ein paar Wochen gebeten wurde, eine Idee zu skizzieren, die die Welt verändern würde, musste er nicht lange grübeln. „Das Tom-Perkins-System lautet: Du darfst nicht wählen, solange du keine Steuern zahlst.“ Und da er schon dabei war, setzte der Investor gleich noch einen drauf: „Es sollte sein wie bei einem Konzern. Zahlst du eine Million Dollar Steuern, erhältst du eine Million Stimmen. Wie wäre es damit?“

Das Echo war erwartungsgemäß verheerend. Hohn und Spott prasselten auf den maßlosen Mister Perkins ein. Dabei ist seine Idee gar nicht annähernd so absurd, wie sie erscheint. Schließlich kann man das Tom-Perkins-System auch als Transparenzinitiative deuten: Das Klassenwahlrecht würde für alle Welt erkennbar machen, wie ungleich die politischen Einflussmöglichkeiten in den USA inzwischen geworden sind.

Denn das demokratische Grundprinzip, wonach jeder Wähler eine Stimme hat, ist zwar unverrückbar – aber es ist immer weniger wert. Amerika verfügt nicht nur über das fortschrittlichste Militär und die weltbesten Universitäten. Amerika hat auch, Perkins ausgenommen, die raffiniertesten Oligarchen. Sie würden nie auf die Idee kommen, sich mit Vorschlägen für Wahlrechtsbeschränkungen lächerlich zu machen. Ihr Einfluss ist auch so gesichert. Schließlich gibt es ja das Oberste Gericht.

Dort vertritt eine knappe Mehrheit der Richter die Ansicht, dass Wahlkampfspenden Ausdruck von Meinungsfreiheit sind – und daher nur in seltenen Ausnahmefällen beschnitten werden können. Urteil um Urteil stößt der Supreme Court die Fluttore auf, die das politische System seit dem Watergate Skandal davor schützen sollten, von Geld überschwemmt zu werden. Nun ist klar, dass der korrumpierende Pegelstand in Washington noch weiter steigen wird. Mit fünf zu vier Stimmen hob das Gericht am Mittwoch die Grenze auf, die bisher festgelegt hat, wie vielen Kandidaten und Parteien ein einzelner Spender Geld überweisen kann.

Das eigentliche Urteil ist dabei weniger bedeutsam als der Trend, der hier zum Ausdruck kommt: die schleichende Oligarchisierung Amerikas. Wahlkämpfe werden zu Materialschlachten – und Großspender zu Feldherren. Denn wer es in Amt und Würden bringen will, braucht reiche Gönner. 2012 investierten die Wahlsieger im Schnitt 1,7 Millionen Dollar für einen Sitz im Abgeordnetenhaus. Um in die zweite Kammer des Kongresses einzuziehen, den Senat, waren sogar 10,5 Millionen nötig. Jetzt wird ein Mandat noch teurer.

Eine „Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk“ hatte Abraham Lincoln einst versprochen, doch das Washington der Gegenwart entwickelt sich zu einem Zerrbild dieses Ideals, einer Regierung von und für die Oberschicht. Die Amerikaner haben in den vergangenen Monaten viel über die wachsende soziale Kluft in ihrem Land diskutiert. Doch so gewaltig sie auch ist, die politische Ungleichheit ist noch erschreckender. „Die Leute ereifern sich über die Ein-Prozent-Wirtschaft“, kommentiert die Financial Times. „Sie sollten sich eher um die Ein-Prozent-Demokratie sorgen.“

Das Oberste Gericht spricht dem Kongress das Recht zu, Partei- und Politikerspenden einzudämmen, solange dies dem Kampf gegen Korruption dient. Zugleich aber haben die Richter den Korruptionsbegriff so eng gefasst, dass er faktisch nur noch dann gilt, wenn ein Politiker einem Großspender den Verkauf seiner Stimme vertraglich zusichern würde. Ein wirklichkeitsfremderes Urteil kann man sich kaum vorstellen. Die Macht des Geldes wirkt subtiler.

Wenige Milliardäre entscheiden heute über Wohl und Wehe politischer Kandidaten. Die Castingshow beginnt, lange bevor die Wähler ihre Stimme abgeben können. Vergangenes Wochenende etwa bestellte der Kasino-Milliardär Sheldon Adelson die Hoffnungsträger der republikanischen Partei nach Las Vegas. 2012 hat er ausgewählte Kandidaten mit 150 Millionen Dollar unterstützt, bei künftigen Wahlen sollen es noch mehr sein. Die Selektionskriterien sind kein Geheimnis. Zum einen fordert Adelson die bedingungslose Unterstützung Israels im Konflikt mit dem Palästinensern, zum anderen ein Verbot des Internetglückspiels, das sein Imperium bedroht.

Natürlich, die Finanzhilfen sichern niemandem einen Wahltriumph. Aber sie machen Kandidaten konkurrenzfähig, die es sonst nie wären. Und so verschaffen sie Partikularinteressen ein unverhältnismäßig starkes Gewicht im politischen Prozess. Spenden lohnt sich. Oder wie der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama es ausdrückt: „Es gibt in Washington keine Korruption mehr. Wir haben sie legalisiert.“

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Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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