Es gibt einige Setzungen, die im linken Spektrum so hingenommen werden. Die wichtigsten:
- Der Mensch ist ein Zoon Politikon, ein politisches Wesen.
- Der Mensch ist ein rationaler Entscheider. Deswegen sind alle Entscheidungen, die kollektiv, also demokratisch entschieden werden, gerecht.
- Die Demokratie ist die beste aller Herrschaftsformen. Weil sie einen internen Lastenausgleich sucht und findet.
- Konflikte lassen sich friedlich lösen. Konflikte zwischen Menschen, aber auch Konflikte zwischen Nationen und Regionen. Alles Interessensausgleich.
Wer alle diese Bilder an sich vorüberziehen lässt, im dem steigt unwillkürlich ein Bild unendlicher Idylle und Friedlichkeit auf.
Grüne Idylle. So schön!
Warum schreibe ich das?
Ich lese gerade Giorgos Chondros, Die Wahrheit über die Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas. Nicht, dass ich irgendeine Position, die Syriza vertreten würde, teile. Im Normalfall bin ich Schäubles Ansicht (oder jedenfalls der Ansicht, der Schäuble meiner Meinung nach ist), nämlich der, dass die Griechen sich erst politisch besser aufstellen müssen (nationale Governance, öffentliche funktionierende Strukturen), bevor weiteres Geld Sinn macht. Ich weiss, dass das alles Gleichungen sind, die nicht aufgehen müssen. Deswegen lese ich gerne Bücher von Menschen, die völlig anderer Meinung sind.
Weil man dazu lernt.
It’s a MAN MADE World!
Mir ist bewußt, dass alle Konstruktionen, mit denen wir die Welt erklären, MAN MADE, menschengemacht sind. Unser Hirn ist begrenzt, wir sind nicht rational (oder nur eingeschränkt sequenziell rational), wir haben, auch als moderne Menschen, Instinkte, zeigen Rudelverhalten (auch, wenn wir da schon besser geworden sind), wir sind alle eine Sammlung hochkomplexer Vorgänge, die mal so, mal so funktionieren.
Und weil das so ist, suchen wir uns einfache Bilder, an die wir glauben.
- Das Bild von der Demokratie.
- Das Bild von der fairen Gesellschaft
- Das Bild vom rationalen Menschen.
Würden wir uns umsehen, könnten wir erkennen: Es ist nicht so.
Die Grünen sind die wichtigste Partei Deutschlands. Oder vielmehr: Sie könnte die wichtigste sein!
Die Grünen, mein Lieblingsthema und meine Partei, sind auf dem Weg, die wichtigste Partei Deutschlands zu werden.
Oder vielmehr: Die Grünen hätten das Zeug, wenn sie den Korridor erkennen, in dem sie sich bewegen und in dem sie Kraft aus der Gesellschaft schöpfen können, die wichtigste Partei Deutschlands zu werden.
Und wie?
Politik kann Gesellschaft nicht neu erfinden. Parteien sind Mehrheits- und Kompromissfindungsmaschinen. Wer jemals den reibungslosen Irrsinn grüner Abstimmungsmechanismen beobachtet hat, weiß, wie der Prozess von einem in sich logischen Dokument zu einem mehrheitsfähigen, aber im wesentlichen irrationalen Beschluss aussieht (und das, obwohl und weil die Menschen, die diese Totalamputationen durchführen, fest daran glauben). Der Innenansicht der Politik steht aber eine Außenansicht gegenüber. Die ist völlig anders. Von außen betrachtet (und nicht aus dem Blickwinkel des Hartz IV Empfängers, sondern aus dem Blickwinkel eines interessierten, aber passiven Politikbeobachters) sind die Grünen für viele aufgeklärte Menschen noch immer die rationalste und beste aller Parteien.
Warum andere die Grünen so lieben
Das hat mit ganz verschiedenen Elementen zu tun: Sie sind gewohnt, sich argumentativ auseinanderzusetzen, sie sind nicht denkfaul (wiewohl jeder von ihnen, so wie wir alle, Anker im Treibsand unseres Denkens ausgeworfen haben, um irgendwo Halt zu finden). Sie sind neugierig. Und sie können auch mit argumentativen Konflikten leben.
Deswegen begegne ich so vielen Menschen, gerade Menschen aus Wirtschaftskreisen, die von Gesprächen mit Grünen geradezu euphorisiert zurück kommen.
Intellektualität hat auch was schönes. Zumal in einer Gesellschaft, in der der gesellschaftliche Aufstieg durch den Deutschen Bildungskanon bestimmt ist.
Intellektualität hat aber auch seine Grenzen. An denen befinden wir uns gerade. Und darüber wird, meine ich, zu wenig gestritten.
Intellektualität kommt dann zum Tragen, wenn es einem gut geht. Wer Ängste hat, und das können berechtigte wie unberechtigte Ängste sein, der wird das geistige Glasperlenspiel (wie mache ich die Welt noch schöner) nur daran messen, ob er in diesem Glasperlenspiel auch eine bedeutende Rolle einnimmt.
Der Praxistest der Gutmenschlichkeit
Spätestens mit der Flüchtlingsfrage schlagen die Krisen der Welt jetzt ganz nah bei uns auf.
Die grünlinksintellektuelle Seite hat, im Sommer euphorisiert, auch durch eine Angela Merkel, die eine menschliche Seite gezeigt hat, sich das „Welcome Refugees“ auf die Fahnen geschrieben.
Das ist schön, das ist menschlich, das war auch nichts oberflächliches, weil es bei vielen Menschen dazu geführt hat, dass sie sich gekümmert haben.
Das ist und war ein wirklich schöner Zug aus der Mitte unserer Gesellschaft.
Bei den Polen und den Ungarn war das ja schon anders.
Bei den Pegida Leuten auch.
Die CDU hat deswegen geblutet, die SPD ist weiter ausgeblutet, die FDP schleicht sich wieder zurück an die Macht. Und die Grünen haben, weil das Leuchtfeuer Kretschmann bundesweit zu erkennen ist, einen unglaublichen Schub an Zustimmung erhalten.
Die geläuterten Steineschmeißer und Werkstorflugblattverteiler der Siebziger und Achziger sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Eine unglaubliche Karriere, schon das. Und sie haben dabei das Denken über Gesellschaft in Deutschland revolutioniert.
Die schweigenden Macher von Gestern, also die Deutschen, mit Scham nationalsozialistischer Gräueltaten und Morden, sind politisch geworden, haben Demokratie gelernt, anfangs nicht immer friedlich, aber das hat sich gelegt.
Wie keine andere Partei haben sich das Denken und Reden über Politik und Gesellschaft verändert.
- Der Mensch ist rational.
- Der Mensch will mitbestimmen.
- Nur demokratische Entscheidungen sind gute Entscheidungen.
Schöne Glaubenssätze, aber ich befürchte, diese Glaubenssätze müssen sich in Zukunft bewähren, erfordern Einschränkungen, Priorisierungen und und und.
Sie gehen nämlich, deswegen Kuschelmonster, davon aus, dass alle Konflikte friedlich zu lösen sind.
Der Hegelsche Weltgeist lässt, grün angestrichen, grüßen.
Oder eben Kant’s moralischer Imperativ.
Wir sind Deutsche. Deswegen wird bei uns alles bis ans Ende durchdekliniert.
Niemand sonst nimmt Logik so todernst.
Geländebetrachtungen. Looking forward!
Der Westen, die Demokratie, die Idee des mündigen Bürgers steht, ich erwähnte das, vor schwierigem Gelände. Es heißt: Globalisiertes Feld. Es heißt: Kampf der Kulturen. Es heißt: offener Ausgang, keine feststehenden Regeln. Und, auch wenn wir das wünschen würden, keiner, der die Regeln durchsetzen kann.
Wir selber müssen dafür sorgen, dass sich Regeln etablieren, dass auch andere erkennen, dass Interessensausgleich gut ist (weil Krieg scheußlich ist). Aber ganz im Ernst: Wenn man, sagen wir mal, in Afghanistan lebt und der Krieg ohnehin Alltag ist, dann ist es auch kein großer Schritt mehr, selber in den Krieg zu ziehen.
Man muss das nicht billigen, man muss nur akzeptieren, dass es so sein kann.
Und wenn man gute Politik machen kann, aus deutscher, europäischer Sicht, wenn man gute Politik machen will als Grüner, dann muss man sich fragen, wie man auf diesem übergeordneten Schlachtfeld, das Welt heißt, Ordnung reinkriegt.
Sicher nicht mit mehr Partizipation, mehr internen Debatten, mehr KuschelKuschel.
Sondern nüchterner Abwägung: Welche Rolle haben wir, der Westen, Europa, in den Augen der Anderen. Was bewundern sie an unseren Gesellschaften? Was stößt sie ab? Wem kann man trauen (und wem muss man mißtrauen)? Was können wir tun, damit wir Vorbild bleiben (was wir oftmals sind) und nicht nur weltvergessene Imperialisten?
Ne Menge Fragen.
Ich behaupte ja, dass viele Menschen, die jetzt mal durch ne AfD Wahl ihre (Protest-)Haltung zeigen wollen, genau diejenigen sind, die das alles ausblenden wollen. Wir sind wir, wir sind Deutsche, wir sind leistungsstark, wir können das alles alleine. Scheiß auf die anderen!
Das ist falsch, weil gerade Deutschland vom Weltoffenen lebt. Aber es ist legitim, dieses Gefühl zu artikulieren.
Pegida und die AfD haben die politische Bühne erobert. Ende der Kuschelmonsterzeit, jetzt wird es robust, jetzt müssen alle argumentativ die Ärmel hochkrempeln.
Immer dieselbe Frage: Was tun?
Und was tun?
Endlich mal darüber reden, dass die Welt von morgen nicht die von Gestern sein wird. Und zwar nicht, weil wir uns nach Plan der grünen Transformation der Gesellschaft auf eine schöne neue grüne Welt hinbewegen, sondern, weil es jetzt darum geht, mit denen, die diese Gesellschaft für ein attraktives und weit besseres Modell halten als ein Putinsches Oder Erogansches „Dicker Max machen“-Modell (wiewohl man mit beiden jetzt umgehen muss) sich darauf zu verständigen, was wirklich wichtig und prioritär ist auf der Welt.
Und diese Dinge dann auch angeht. Was wir suchen, ist eine Art Pioniersmentalität. Die ersten Schritte tun, die Dinge nicht danach sortieren, ob sie links oder rechts sind. Sondern ob sie die richtigen Maßnahmen heute (und zwar auch aus dem Blick von morgen) sind.
Was die Mehrzahl der deutschen Bürger von den Grünen fordert, ist, dass sie endlich mal auf dem Boden der Tatsachen ankommen.
Fällt mir ein: Das Interview, das Robert Habeck heute in der taz gegeben hat, ist von bestechendem Liebreiz. Er geht ins Risiko. Er macht das wirklich charmant. Er macht das klug. Wenn er es ernst meint, Respekt. Wenn er es nicht ernst meinen würde, ist es nicht das Problem seiner Wähler.
Die Schlacht ist eröffnet. Was macht Cem? Was macht Toni? (By the Way, Peter Unfried hat einen ganz großartigen Kommentar geschrieben in der heutigen taz!).
Nix Neues an der Frauenfront?
Und was ist eigentlich mit den grünen Frauen los? Gibt’s da nur die Alternative zwischen Katrins Kochrezepten und, möglicherweise, der Predigerin des grünrotroten Nirwanas, Simone Peter? Wo sind die grünen Frauen?
Was wir jetzt, glaube ich, erleben, ist dass die ganze Scheinkulisse des fein austarierten Machtkartells innerhalb der Grünen aufgebrochen wird, werden muss. Und zwar nicht aus Fundi-Realo-Gründen (wieder mein Dank an Peter Unfried). Sondern, damit mal die kalte Luft von außen (und das ist nicht die reinste Freude) in den Kuschelmonstermief von Innen reinblasen kann.
Die Grünen können eine große Zukunft haben. Wenn jetzt Menschen mit Haltung mal ihre Ellebogen einsetzen.
Kuschelmonsterdeutschland war gestern. Grüne, willkommen in der Wirklichkeit. Die Frage ist: Wollt ihr mit 30 Prozent der Deutschen einen Kurs verantwortlicher Leistungsfähigkeit gehen?
Oder weiter diese links-staatsfixierten wünschdirwas Paradiesträume träumen?
Winfried hat den ersten Schritt gemacht. Jetzt kommt es darauf an, wer den zweiten Schritt macht. Und zwar, ohne dass ein Parteitag das alles schon abgesegnet hat!