Der Landesausschuss hat gezeigt: Noch treten die Grünen auf der Stelle, fast pupertär klammert sich Trittin am Begriff des Linksseins fest. Ähnlich der neue grünlinke Abgeordnete Chris Kühn. Er will, schreibt er auf Facebook, Politik nicht für die Mitte, sondern für die ganze Gesellschaft machen. Aber wer Politik nicht an der Reinheit und Schönheit, ihrer Papierform misst, sondern daran, was sie bewegt, kommt zu anderen Schlussfolgerungen:
1) Die Tragik des Linksbegriffs besteht darin, die Gesellschaft von morgen in den Begriffen von Gestern zu zementieren. Links fühlen sich nur diejenigen, die sich politisch fest verorten. Wenn es den Grünen darum geht, Menschen zu bewegen, zu gewinnen, neue Wege zu gehen, neue Gedanken zuzulassen, tun sie gut daran, sie nicht in alte Begriffsmuster zu pressen. Links ist doch fest verbunden mit dem Begriff der Gerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit. Bürgerrechtsfragen liegen schon quer zur traditionellen Links-Rechts Auffassung, die ökologischen Fragen sowieso. Und auch in der Partizipationsfrage ist die Frage, links/rechts nicht so einfach zu beantworten. Immer mehr Partizipation kann auch immer mehr Blockaden bedeuten, auf die richtige Mischung kommt es an.
2) Die Grünen, das macht ihren Charme und ihr Angebot an die Gesellschaft aus, sind von einem säkularen Heilsversprechen getrieben. „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt“. Was heißt, wir fühlen uns dafür verantwortlich, was wir unseren Kindern hinterlassen. Dieses Versprechen ist, und dadurch unterscheiden wir uns von der CDU, nach vorne gerichtet (die CDU hat ein konservatives Erbe, da geht es mehr ums Festhalten an etwas), es unterscheidet sich von der SPD, bei der Verteilungsgerechtigkeit und Staatsgläubigkeit die Kernüberzeugungen sind. Im Grunde fordert es uns als Partei und jeden von uns als Person auf, zu definieren, was dieser Satz bedeutet.
3) Der Wunsch, die Welt zu retten, führt fast zwangsläufig dazu, durchzudeklinieren, wie die Welt zu retten ist. Das ist ein Teil des linken Erbes. Diesen Geist hat auch das letzte Wahlprogramm geatmet. Und: Dieser Wunsch ist völlig verständlich. Das meint auch Chris Kühn, wenn er sagt, wir wollen Politik für die ganze Gesellschaft machen. Dieses Erbe der rationalistischen Moderne, daran haben wir schwer zu tragen. Ich werbe dafür, mit dem Ulrich Beck’schen Begriff der Reflexivität zu arbeiten. Reflexivität, das bedeutet, etwas zu tun, die Welt zu verändern, aber gleichzeitig zu erkennen, dass in dem, was man tut, bereits die Fehler angelegt sind, die man später korrigieren muss. Reflexivität verlagert den Blickwinkel. Nicht die Klarheit die Argumente zählt, sondern die praktischen Resultate.
4) Diese Reflexivität würde uns auch ermöglichen, zu erkennen, dass zwischen dem Wunsch, die Welt zu retten, und seiner Instrumentierung eine erhebliche, mit rationalen Mitteln nicht zu behebende Lücke entsteht. Ein Beispiel? Wir alle wissen, dass die Klimakatastrophe eine Tatsache ist, sozusagen die Zielebene Eins unseres Anspruchs, die Welt möglichst unbeschadet an unsere Kinder zurück zu geben.
Nur wie wir diesen Anspruch umsetzen können, wissen wir nicht. Selbst wenn Deutschland bis 2030 auf Regenerative Energien umsteigen würde, würde das die Welt nicht retten. Selbst wenn wir wissen, dass Daimler und BMW zu dicke Autos baut, für die Merkel Umwegtatbestände schafft, könnten wir andere Regulierungen fordern, müssten uns aber mit der Tatsache auseinandersetzen, dass Daimler und BMW ihre Autos im USA und China verkaufen. Und da sind halt dicke Autos gefragt, ein Irrsinn, ja, wissen wir alle, aber einen, den wir nicht abschaffen können. (Von den SUV unserer Biomarktkunden mal ganz abgesehen). Wir können sagen, Daimler soll kleinere Autos bauen, aber dann müssen wir abschätzen, ob bei dieser Forderung Aufwand (Gegenwind von Gewerkschaften und Unternehmen, die Sorge um Arbeitsplatzverlust und Marktverlust) und Ertrag in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Es geht also um die richtigen nächsten Schritte, die richtige Mischung, ein Kalkül, von dem niemand weiß, ob es aufgeht.
5) In diesem Wahlkampf haben wir uns vorgeführt, wie das ist, wenn wir uns in dem bisherigen, bewussten oder unbewussten Linksschema bewegen. Wir kommen zu einer gefühlten Zwangsbewirtschaftung unserer Gesellschaft. Da helfen auch Appelle an die Wirtschaft nix. Wenn Grün moralinsauer daherkommt, verlieren wir das stärkste Pfund, nämlich, das sich Menschen von unserem Engagement, unserer Freiheit, anders zu denken, unserer Streitlust, unserer Neugier anstecken lassen, dass wir es also verhindern, die Menschen zu begeistern, ihnen, auch den Ingenieuren, Unternehmern und allen anderen, der ganzen Gesellschaft ein Angebot machen, Geld zu verdienen und die Gesellschaft voran zu bringen. Ob wir damit letztlich die Welt retten! ob die Schritte seit genug sind, darüber können wir diskutieren, aber erst einmal geht es darum, die nächsten Schritte zu tun. Und da braucht es die ganze Gesellschaft, die Mitte, die Elite. Der Hartz IV Empfänger, ja, lieber Chris, den sollten wir nicht vergessen, aber verändern wird der die Welt nicht. Und uns wählen sie im übrigen auch nicht. Den Hartz IV Bezieher zu ernst zu nehmen, bedeutet dann, dass wir die eigenen, grünen Potentiale nicht aktivieren können. Die liegen nämlich quer zu den Links-Rechts-Schemen. Weil „in Veränderung Denken“ eben das Privileg derer ist, die sich das leisten können, die etwas bewegen können und wollen. Nicht alle, denen es gut geht, werden das tun. Manche sind zu faul, zu träge, zu ängstlich, aber die Mutigen, die Neugierigen, die würden wir kriegen. Und die brauchen wir.
7) Gesellschaft bewegt man nicht nur über Sitzblockaden, Demonstrationen und Partizipation. Sondern über Erfindungen, neue Geschäftsmodelle, Risikobereitschaft, Verbohrtheit, Verliebtheit in eine Idee, usw. Wir, reflexive Grüne, sollten wahrnehmen, dass es nicht alle Menschen sexy finden, über Politik zu streiten. Sie wollen etwas machen, damit sie mit sich im Reinen sind. Sie zeigen Haltung im Alltag. In ihrem Alltag, als Eltern, als Mitarbeiter in Unternehmen, als Unternehmer. Und wenn wir einen Beitrag dazu leisten wollen, dass dieses Umdenken einsetzt, dann müssen wir mit dem Bevormunden aufhören, unsere politischen Umverteilungskonzepte zurückschneiden, weil mehr Staat mehr kostet und immer ewiger bringt. Wir sollten mit den Menschen reden, nicht aus taktischen Grünen, sondern deswegen, weil die Politik die Welt zwar im Bahnen zwängen kann, aber nur wenig neue Ideen hervorbringt. Weil wir neue Ideen kennen lernen möchten. Weil wir die Einfälle der Menschen brauchen für die nächsten Schritte. Und weil wir sie kriegen können! Wir, und nur wir. Die SPD muss Modernisierungsverlierer und -gewinner zusammenbringen, die CDU organisiert dem unpolitischen Bauch der Gesellschaft, die FDP fragt sich aktuell, wer bin ich und wie viele. Nur wir, wir müssen uns mit dem dagegen klitzekleinen Thema beschäftigen, ob wir unsere Attraktivität, unsere Strahlkraft in die Mitte der Gesellschaft nutzen wollen, ob wir uns selbst verändern wollen, ob wir mit eigenen Ideen auf die Gewinnerseite wechseln wollen und, ausgehend von unseren Stärken, die Welt verändern können oder ob wir im unser gewohntes, linkes Eck zurück fallen, die Bitterkeit und Überheblichkeit, die in diesem Wahlkampf zu spüren war, unser Gefühl, die Verfolgten zu sein, auf der Seite der Unterdrückten zu stehen (und nur auf der). Wir stehen vor der Frage, ob wir uns verlieben ins Gelingen oder verliebt bleiben im ewigen Nimbus des Besserwissers und Rumnörglers. Ob wir Neues probieren oder festhalten an unserem altem Links-Rechts-Maßstäben. Ob wir uns nach Max Weber verantwortungethisch die Hände schmutzig machen oder uns gesinnungsethisch ins linke Eck zurück ziehen.
Wir haben es in der Hand. Sonst niemand.